Wenn zu Hause die Milchflasche umfällt
Kai Agthe stellte Sagen und Erzählungen aus der Region vor
In seiner 114. Veranstaltung seit Bestehen
des Vereins gab der Literaturkreis Novalis
dem Naumburger Herausgeber und Referenten
Kai Agthe am letzten Mittwoch im
Weißenfelser Novalis-Pavillon Gelegenheit,
die zweite Edition des Buches »Die
vergrabene Truhe« vorzustellen, die 2002
im Wartburg-Verlag Weimar erschienen ist.
Diese von Adolf Schmiedecke gesammelten
Sagen waren schon einmal vor genau drei
Jahrzehnten gedruckt und damals als ein
Bestseller der DDR binnen vierzehn Tagen
verkauft worden. Dennoch erhielt das Buch
keine Neuauflage, weil der Standpunkt der
Arbeiterklasse nicht genügend zum Ausdruck
kam.
Der Herausgeber Kai Agthe studierte
Germanistik und Kunstgeschichte in Halle
und Jena, war als Journalist tätig und
übte in Halle einen Lehrauftrag aus. Nach
der Veröffentlichung »Wo liegt
Kaisersaschern – Friedrich Nietzsches
mitteldeutsche Herkunft und Heimholung« im
Jahr 2000 (gemeinsam mit J. F. Dwars)
erscheinen von Agthe im April 2003
Nietzsches »Frühe Autobiografien«. Er ist
auch Herausgeber der Edition Muschelkalk
der Literarischen Gesellschaft Thüringen.
Die Lesung aus der Sammlung von Adolf
Schmiedecke hatte eine Anzahl von alten
Sagen und Erzählungen aus dem Gebiet um
Weißenfels, Hohenmölsen und Zeitz zum
Inhalt, die von wunderlichen Dingen
berichten. Da tummeln sich im ersten Teil
des Buches eine »böse Gräfin« im Schloß zu
Droißig, ein »dreibeiniger Hase« bei
Dehlitz, mythische Gestalten, ein
»kopfloser Reiter« nach der Schlacht bei
Lützen 1632 (der als Filmvorlage von
Hollywood übernommen wurde) und Kobolde
und Kellergeister. Jeder sollte auch heute
noch darauf achten, wenn zu Hause die
Milchflasche umfällt, empfahl der Referent
den Zuhörern.
Wie das Saale-Hochwasser schon damals den
Menschen zu schaffen machte, erfuhren die
Besucher des Vortrags in der Sage »Die
Glocken der Leißlinger Marienkirche«. Die
Legenden »Ludwig der Springer und die
Weißenfelser Fischer«, »Wie die vier
Werbendörfer entstanden« und »Der heilige
Leonhard in der Zeitzer Schloßkirche«
gaben Einblick in die zeitliche und
örtliche Bindung der Sagen unserer Heimat.
Die Erzählungen und Anekdoten im zweiten
Teil der Buchvorstellung entstanden nach
schriftlichen Zeugnissen. Es wurde von
Zunftstreit (»Die ungehorsamen
Schuhknechte«), vom Bierkrieg zu
Weißenfels, Rekrutenwerbung und
stadtbekannten Originalen berichtet. Dazu
schilderte Agthe als Beispiel den
Streikversuch der Weißenfelser Bauarbeiter
im Jahr 1706, die infolge einer durch den
Nordischen Krieg hervorgerufenen Teuerung
die Arbeit niederlegten und die Empörung
des Herzogs Johann Georg herbeiführten.
Die von Generation zu Generation meist in
der Mundart unserer Region überlieferten
Sagen und Geschichten sind noch nicht in
ihrem ganzen Reichtum erschlossen, so dass
Kai Agthe zum Weitersammeln solcher
unveröffentlichter Texte anregte.
Wolfgang Fischer, 4. Februar 2003
Adolf Schmiedecke: Die vergrabene Truhe.
Sagen und Erzählungen aus dem Gebiet um Weißenfels,
Hohenmölsen und Zeitz. Wartburg Verlag 2002.
148 Seiten. 9,90 Euro. ISBN 3-86160-099-4.
Leseproben:
Das Gespenst unter der Eiche (S. 11)
Luther in Stößen (S. 52-53)
Der seltsame Reiter in der Kreuzhohle bei Hohenmölsen (S. 100-101)
Louise von Francois über Novalis, Müllner, Brachmann u. a. (S. 125-128)
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