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Mit Hilfe von Gustav C. F. Partheys Verzeichnis »Die Mitarbeiter an Friedrich Nicolai's Allgemeiner Deutscher Bibliothek« (1842, reprogr. Nachdruck 1973) kann das Autorenkürzel "Gk." in Frakturschrift (dasselbe Kürzel in Antiqua entspricht einem anderen Autor) entschlüsselt werden. Es stand in den Jahren 1802-1806 (Bd. 69 bis Ende) für den Mitarbeiter »v. Rohr, Regierungsrath in Berlin«, zu dessen Arbeitsgebiet "Jurist., Romane, Schöne Künste, Vermischtes" zählten. Die Rezension wird hier vollständig veröffentlicht, die Seitenumbrüche des Originals sind mit angegeben. Als Vorlage dienten die Scans des Projektes Retrospektive Digitalisierung der Universität Bielefeld. Die Bibliografische Angabe der Rezension: Neue Allgemeine Deutsche Bibliothek, Bd. 90, 1. Stück, 1. Heft. Berlin; Stettin 1804. S. 49-56. Sie ist hier in digitalisierten Faksimile einsehbar. (f.f.) * Novalis Schriften. Herausgegeben von Fr. Schlegel und L. Tieck. 2 Theile. Berlin, in der Realschulbuchhandlung. 1802. 2 Alph. 9 Bogen. 8. 3 Rthlr. 16 gr. Der früh verstorbene Schriftsteller, dessen poetisch-physikalische Analekten hier zwey seiner Freunde zu Tage fördern, vereinigte unstreitig nicht wenige Erforderniße eines nicht nur talentvollen, sondern auch gewissermaaßen genia- lischen, aber auch sicherlich eines seltsamen Mannes in sich. Eine flammende Phantasie; eine Beschaulichkeit, seltene Individualität und Eigenthümlichkeit, mit einem Reichthume nicht gemeiner Kenntnisse gepaaret, bezeichnen das Materielle; entschiedene Gewalt über die Sprache, ein sehr feuriges Darstellungsvermögen und eine ziemliche Gewandtheit im Ausdrucke, das Formelle seiner Geisteswerke. Gewiß war er unter seinen Freunden derjenige, der, hätte er länger gelebt, und hätte bey reiferm Alter seine zügellose Phantasie durch gesunden Verstand zu züchtigen gelernt, vorzüglich viel, vielleicht das Meiste geleistet, und unter den Poeten unsers Zeitalters einen sehr ehrenvollen Platz würde eingenommen haben. Von seinem hier anzuzeigenden Nachlasse läßt sich dieß nun freylich nicht behaupten. Es sind disjecti membra poetae [zerstückelte Teile des Dichters; f.f.], ungeregelte Bestrebungen eines Jünglings von Geist, unvollkommne Keime eines edeln Gewächses. Vielleicht würde Novalis, wenn er seine Zeitigung erlebt hätte, über das, was den Geist der Schule, der er anhieng, in seinen Erstlingskindern so sichtlich athmet, selbst mitleidig gelächelt, und sich mit leichter Mühe überzeugt haben, daß das elende Kopiren grotesker katholischer Alfanzereyen, eben so wenig ächte Poesie ist, als man das ewige Geplauder lebloser Dinge, (was eigentlich Tieck's wahrer Wolfszahn ist, auf dem sich dieses poetische Kind die Milchzähne fast ausbeißt,) dafür halten darf. In Novalis lag, um mit der beliebten Schlegelschen Terminologie Schritt zu halten, sichtlich eine höhere Tendenz; wiewohl man sie, in seinen höchst manierirten und dabey stellenweise ganz rohen Ueberresten, oft nur mit Mühe ahnet. – Dies ist unser Glaubensbekenntniß über das Ganze; wir wenden uns nun zur nähern Beschauung der einzelnen Bestandtheile dieser Bruchstücke. Den ganzen ersten Theil, und etwa ein Sechstheil des zweyten füllt der Anfang eines unvollendet gebliebenen Romans: Heinrich v. Ofterdingen. Der Held desselben hat mit dem bekannten Minnesänger nur das gemein, daß er, wie dieser, aus Eisenach gebürtig ist, und zugleich soll er ein poetisches Schooskind der Natur seyn. Der eigentliche große Zweck, welcher dem Verfasser bey diesem Werke vorschwebte, war der: die Geschichte der geheimsten, fast sich selbst unbewußten Gefühle eines Dichters im höchsten edelsten Sinne des Wortes, d. h. sein ganzes inneres Leben, in seinen feinsten Nüanzirungen darzustellen; von dem Momente an, wo er das Göttliche in sich ahnet, bis zu demjenigen, wo es ihm ganz klar wird, und er das Unendliche in sich aufnimmt. Wahrlich! eine Aufgabe, die nicht leicht, die vielleicht unter allen gedenkbaren, eine der schwersten war! – Die Ausführung ist aber auch nur Bruchstück geblieben, und entbehrt dabey der letzten ordnenden Hand, die so manche harte Ecken hätte ründen, so manchen üppigen Auswuchs hätte wegschneiden können! – Das kräftige Leben, welches das hier gelieferte Fragment, vorzüglich zu Anfange und gegen das Ende des ersten Theiles athmet, die reine Gemüthlichkeit, (um fein Schlegelisch zu reden) welche sich vorzüglich in Heinrichs, Klingsöhrs und Mathildens Aeußerungen so unverkennbar ausspricht, die zarte innige Anhänglichkeit, mit welcher Heinrich die ganze Schöpfung, mit der Innbrunst eines liebenden Geliebten umfaßt, können den Leser mächtig anziehen. – Unter den eingestreueten oder vielmehr innig ins Ganze verflochtenen Gedichten sind mehrere, die den Dichterberuf ihres Urhebers ungezweifelt dokumentiren. Einer vorzüglichen Auszeichnung sind folgende werth: das Lob des Bergmännischen Lebens, S. 351. Das Lied vom Ursprunge des Weins, S. 223. vor Allen aber die Klage des sarazenischen Mädchens, S. 116. Nachstehende Strophe, welcher die übrigen an Lebhaftigkeit nicht nachstehen, mag unser Urtheil rechtfertigen:
»Hier, wo um krystall'ne Quellen, Zum Beweise, daß der Verfasser, auch da, wo er sich die Fessel des Metrums nicht anlegt, mit einer sinnvollen Klarheit zu schreiben weiß, mögen folgende Stellen dienen: S. 36. »Eine erste Ankündigung des Todes, bleibt die erste Trennung unvergeßlich, und wird, nachdem sie lange, wie ein nächtliches Gesicht den Menschen beängstigt hat, endlich, bey abnehmender Freude, an den Erscheinungen des Tages und zunehmender Sehnsucht nach einer bleibenden sichern Welt, zu einem freundlichen Wegweiser und einer tröstenden Bekanntschaft.« S. 161 dürfte leicht die besten Schilderungen J. P. Richters aufwiegen, ja übertreffen: »Der Abend war heiter und warm. Der Mond stand in wildem Glanze über den Hügeln, und ließ wunderliche Träume in allen Kreaturen aufsteigen. Selbst wie ein Traum der Sonne, lag er über der, in sich gekehrten Traumwelt, und führte die, in unzählige Gränzen getheilte Natur in jene fabelhafte Urzeit zurück, wo jeder Keim noch für sich schlummerte, und einsam und unberührt sich vergeblich sehnte, die dunkle Hülle [HKA: Fülle; f.f.] seines unermeßlichen Daseyns zu entfalten.« Bedauernswerth ist es aber gewiß, daß sich, neben dem wahrhaft Schönen, welches man diesem romantischen Fragmente, ohne ungerecht zu seyn, nicht absprechen kann, sehr vieles findet, was ein recht wehmüthiges Gefühl des Mißfallens erweckt, an einem Schriftsteller erweckt, der Besseres hätte liefern können, und müssen. Dahin gehören Witzeleyen, wie folgende: S. 162. »Die Worte des Alten hatten eine versteckte Tapetenthüre in ihm geöffnet.« Die vorspringende Affektation, sich gleich den précieuses ridicules ungewöhnlich ausdrücken zu wollen, wohin z. B. zu rechnen ist, S. 131. das verdünken, Klingsöhrs Bewunderung des Religionskriegs, S. 253. Das Wortspiel, S. 153. zwischen Dichten als Poesie genommen, und dem Dichten und Trachten, und endlich das Mährchen, S. 269., welches den höchsten Gipfel des Verwirrten, wir sind versucht zu sagen, Unvernünftigen erfliegt. – Hier zeigt es sich recht sichtlich, daß der Verf. ein unvollendeter Jüngling war, der durch Thorheiten neuer transcendentaler Aesthetiker verführt, Unsinn für Sinn hervorbrachte. Indeß ists immer Schade, daß Novalis seine Charakteristik des innern Menschen im Dichter nicht vollendet hat. Was Th. 2. S. 50-78. Hr. Tieck von dem muthmaaßlichen Fortgange und Schlusse dieses Romans lallt, ist ein Kindergeschwätz, von welchem es uns bedünkt, als ob Trotz Hrn. Tiecks Protestation Manches von dem Seinigen hinzugethan sey. – Denn der Gang, den die Begebenheiten hier unter seiner Feder nehmen, schlägt sehr in die Art geschwätziger Tieck'schen Rothkäppchen, und Zerbino's; die vielen Verwandlungen und Gespräche der Steine und Pflanzen, erinnern sehr lebhaft an das Knäblein Tieck, hätte aber Novalis wirklich seinen Ofterdingen so Tieckisch endigen wollen: so wäre dieß ein neuer Beweis, wie wenig sein Talent entwickelt gewesen, und wie sehr es ihm an Beurtheilungskraft gefehlt hätte. Die zunächst folgenden, bereits im Schlegelschen Athenäum abgedruckt gewesenen, Hymnen an die Nacht sind so durchsichtig, klar und gehaltlos, wie ein Sieb. Es ist erstaunenswürdig, wie man so, ohne Verstand zu brauchen, schwärmen kann. Mit jeder Periode glaubt man etwas zu fassen und festzuhalten; und wird zuletzt stets überzeugt, daß man einem Dunstgebilde nachgejagt hat. – Sowohl hier, als in den später abgedruckten geistlichen Liedern, glaubt man oft in einem Gesangbuche der mährischen Brüdergemeinde zu lesen: S. 108.
»Hinunter zu der süßen Braut, S. 134.
»Unter tausend frohen Stunden, S. 134.
»Wenn ich Ihn nur habe,
Wenn ich Ihn nur habe, Wir wollen übrigens gar nicht in Abrede seyn, daß der Verfasser einiges Talent für die geistliche Lieder=Poesie gehabt habe. Nur die grobsinnlichen Bilder, die wässerichten Reimereyen, kann man ohnmöglich gut heißen. Die vermischten Gedichte sind von sehr ungleichem Werthe. In manchem, besonders in dem Frühlingsliede, S. 116. und in der niedlichen Spielerey, S. 119. vernimmt man – um Schlegelisch zu reden – rein=poetische Anklänge. Wie widrig ist dagegen folgender Singsang: S. 114.
»Was paßt, das muß sich ründen, (Nicht allemal, wovon der Verfasser ein redender Beweis ist!) Die Lehrlinge zu Sais. Wir bescheiden uns gern, in diesem bunten Gemische der barockesten Schlegelisch-Tieckischen Seltsamkeiten, die hohe Weisheit nicht gefunden zu haben, welche die geschwornen Verehrer des Verfassers mit wahren Spürhunds=Organen, darin wittern: Wahrscheinlich ist es mit diesem krausen Machwerke gerade so beschaffen, wie mit Göthe's famosem Mährchen in den Horen; wo man wetten möchte, daß der Verfasser gar keinen Sinn hat hineinlegen, und nur den soi-disant Wallfischen eine Tonne zum Spielen hat vorwerfen wollen. Die Fragmente vermischten Inhalts, welche den Beschluß machen, sind, wenn wir nicht irren, zum Theil schon durch das Athenäum bekannt geworden. Auch sie sind von sehr ungleicher Beschaffenheit; theils gute Gnomen, von gedrängter Kürze, zuweilen von reichem, oft doch von einigem Inhalt; theils leerer Wortschwall und voll grober Albernheiten. Die Richtigkeit dieses Anführens mögen folgende wenige aus vielen beweisen. – Also zuerst inhaltreiche Sätze: S. 315. »Der größeste Zauberer würde der seyn, der sich zugleich so bezaubern könnte, daß ihm seine Zaubereyen wie fremde, selbstmächtige Erscheinungen vorkämen. Könnte das nicht mit uns wirklich der Fall seyn?« – S. 316. »Wunder stehen mit naturgesetzlichen Wirkungen im Wechsel: sie beschränken einander gegenseitig und machen zusammen ein Ganzes aus. Sie sind vereinigt, indem sie sich gegenseitig aufheben. Kein Wunder ohne Naturbegebenheit und umgekehrt.« Sollte man es wohl für möglich halten, daß der Mann, der dergleichen Sätze niederschrieb, faseln könnte, wie folget: S. 323. »Die Lust ist ein Brachmane.« – S. 395. »Eine Wissenschaft gewinnt durch Fressen, durch Assimiliren andrer Wissenschaften. So die Mathematik, z. B. durch den gefressenen Begriff des Unendlichen.« – S. 398. »Am Ende beruht die Begreiflichkeit eines Phänomens auf Glauben und Willen.« – S. 339. »Traurigkeit ist Symptom der Sekretion; Freude Symptom der Nutrition.« – S. 338. »Die Flamme ist thierischer Natur.« – S. 339. »Je lebhafter das zu Fressende widerstrebt, desto lebhafter wird die Flamme des Genuß=Moments seyn. Anwendung auf das Oxygen. Das Weib ist unser Oxygen.« – S. 357. »Absolute Vereinigung des Baßes und Diskants – das ist die Systole und Diastole unsers Lebens.« – S. 350. »Das Bücken vor Menschen ist eine Huldigung der Offenbarung im Fleisch.« – S. 312. »Das Beste am Brownschen Systeme ist die große Zuversicht, mit der Brown sein System als allgemein geltend hinstellt; es muß, es soll so seyn, Erfahrung und Natur mag (mögen) sagen, was sie will (wollen).« – S. 348. »Die Seele ist unter allen Giften das stärk'ste.« – S. 435, 436. »Das Leben der Götter ist Mathematik. – Der ächte Mathematiker ist Enthusiast per se. Reine Mathematik ist Religion. Die Mathematiker sind die einzig Glücklichen. Der Mathematiker weiß Alles. Im Morgenlande ist die ächte Mathematik zu Hause. – Wer ein mathematisches Buch nicht mit Andacht ergreift, und es wie Gottes Wort lieset, der versteht es nicht. Jede Linie ist eine Weltaxe.« – S. 493. »Die christliche Religion ist die eigentliche Religion der Wollust. – Die Sünde ist der größeste Reiz für die Liebe der Gottheit; je sündiger sich der Mensch fühlt, desto christlicher ist er. Unbedingte Vereinigung mit der Gottheit ist der Zweck der Sünde und Liebe.« Doch wir sind müde, mehr von diesem tollhäuslerischem Nonsense abzuschreiben. Es erregt wahrlich eine wehmütige Empfindung, wenn man sieht, daß ein talentvoller junger Mann sich von der Jagd nach Paradoxien zur Aufstellung so hirnloser Sätze hat verleiten lassen können. Und was soll man von den Herausgebern, (besonders von Hrn. A. W. Schlegel) denken, welche sich nicht schämen, solche aegri somnia [kranken Träume; f.f.] öffentlich bekannt zu machen? Gk. |