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Aquarium > Weißenfels > Veranstaltungen 2003 > Vortrag 29.01. > Louise von Francois über Novalis, Müllner, L. Brachmann und Seume


Louise von Francois über Novalis, Müllner, L. Brachmann und Seume

Ich durchschlenderte die kleine freundliche Stadt (Weißenfels) ... Am Ende einer Gasse sah ich ... über einem Gittertor die goldenen Worte Memento mori (denk an den Tod). Die Stätte der Toten lag vor mir ... Ich stieg die Eingangsstufen hinan, und mein erster Blick fiel auf einen sauber neu eingehegten Platz ... Das erste Grab auf dem Gottesacker zeigte auf einer bräunlichen Marmorplatte den Namen Novalis. Da ruhte er, der Sänger, der unser Dante hätte werden können, wenn die scharfe Sichel ... ihn nicht erfasst hätte, ehe er seine Reife vollbringen konnte ... Er entschlief bei den Tönen des Klaviers.

So wurdest Du zum Himmel hingezogen.
Sanft in Musik schiedst Du in Freundes Armen.
Der Frühling wich, und Klagen ziemt uns Armen.

So schließt Ludwig Tieck das schönste seiner Sonette an den Dichterfreund.

Und

Du schienest, losgerissen von der Erde
Mit leichten Geistesschritten schon zu wandeln
Und ohne Tod der Sterblichkeit genesen.

beginnt A. W. Schlegel sein »Totenopfer an Novalis«, Friedrich Schlegel war Zeuge dieses stillen, schönen Sterbens. Wie mich der grüne Hügel berührte. Ein Fliederbusch duftete in seiner Nähe, und ein Vögelchen zwitscherte in seinen Zweigen ... Leise umschwirrten mich seine Gotteslieder und Auferstehungshymnen. Ich fühlte alles, was er uns war, was er uns werden sollte ...

In dem Augenblicke sah ich nur wenige Schritte von dem Grabe dieses idealistischen Menschen einen Würfel mir entgegenspringen, von einfachem, rötlichen Stein. Eine Linde beschattete ihn, und unter einem goldenen Eichenkranze las ich den Namen: Adolph Müllner.

Was der Tod nicht alles duldet! – Der Wind kann den Staub dieser Leiber ineinander wehen, und wie würden die Geister sich geflohen haben.

Zwar, sie lebten dicht beisammen in der kleinen Stadt, in der stillen Straße nahe dem verödeten Kloster und seiner Kirche. Nur wenige Häuser trennten sie. Sie waren fast gleichen Alters und vollen Strebens, der junge rechtskundige Advokat und der junge naturkundige Assessor der Salinen. Aber welche Kluft der Geister!

Alles, was Menschen trennen kann, lag zwischen diesen beiden. Die ganze Wucht des Tiefsinns, aller Zauber der Liebe und der Natur in ihrer größten Bedeutung trieb sie auseinander. Und dennoch – von dem eigentlichen Leben des schönen mystischen Denkers und Dichters wirkt noch eine Spur unter seinen nächsten Umgebungen? – ... Ich glaube es nicht ... Er war ein Einzelwesen, Novalis. Wie die blaue Wunderblume seiner Träume stand er inmitten eines Küchengartens, und Adolph Müllner war der Baum, der diesen Garten überschattete ... Müllner war seiner Natur nach Advokat; er hätte es bleiben sollen ... Eine Ader seines Oheims Bürger hatte sich in seinen Organismus verirrt. Sein Platz auf dem Gottesacker liegt an der Grenze eines schmalen, grünen Tales. Ein halbes Stündchen geht man längs eines plätschernden Bächleins zwischen Obst- und Wiesenbäumen und ist in Langendorf. Hier wurde Müllner geboren. Sein Vater war Amtsverwalter des Klosters ... Jetzt ist es ein Waisenhaus. Im elterlichen Hause sah der Knabe als Alumnus von Pforta mehrmals den Bruder seiner Mutter und blieb mit dessen Familie in naher Verbindung. Marianne Bürger, die Tochter des unglücklichen Dichters von der unglücklichen Molly lebte in Zeiten der Verlassenheit in ihres Vetters Hause. Auch Müllners Gattin trug einen Dichternamen. Sie hieß von Logau. Aber auch durch sie konnte kein poetischer Hauch in sein Leben ... dringen ... seine Theaterpassion bestimmte ihn, eine Liebhaberbühne zu errichten, auf welcher er selbst die ersten Rollen spielte. Er hatte eine große Gabe, darstellende Kräfte aufzuspüren und auszubilden. In dieser Beziehung entwickelte er eine Tätigkeit, die eines größeren Terrains würdig gewesen wäre. Und besonders die Aufführung seiner eigenen »Schuld« (Schicksalstragödie von Müllner) soll nach der Aussage von Kennern und Künstlern ein Muster- und Meisterstück gewesen sein ... Eines Tages, im hohen Sommer, verbreitete sich wie ein Blitz die Nachricht: Müllner ist tot (gestorben 29. 6. 1829) ... Ob ein Auge ihn beweint hat mit Tränen wahrhaftiger Liebe? – fragte ich mich, als ich vor dem roten Würfel stand, und unwillkürlich setzte ich im Geiste zwischen diesen und den Hügel des liebesseligsten Dichters auf jener Seite ein drittes Grab, das hierher gehörte.

Wie oft hatte Luise Brachmann es in diesen Mauern gesucht! Aber ihr seltsames Schicksal wollte, dass sie nicht starb, wo sie gelebt und gelitten hatte, und dennoch, dass es die Fluten ihres heimischen Flusses waren, die sie in ihrem Schöße bergen sollte. (Sie ertränkte sich am 22. 9. 1822 bei Giebichenstein.) ... Es war ein heißes, irrendes Herz, das sich da unten kühlte ... Mißverstanden, verlacht, verlassen, voll Scham über sich selbst suchte sie schon in früher Jugend aus dem Leben zu flüchten ... Ihre Sucht zu sterben, war Sehnsucht, Sehnsucht frei von den Hemmnissen des Leibes, ganz ein liebender Geist, sich hinzugeben an einen höheren Geist ... Sie war eine Zeitgenossin von Novalis, seine Freundin und die tägliche Gefährtin seiner Schwestern. Aber ihr Leben ragte auch noch hinein in das des juristischen Dichters. Mit welcher Gelassenheit hat sie seinen Spott getragen! ... Sie sollte nicht ganz vergessen sein, die arme Luise. Viele ihrer Lieder sind noch heute warm von dem Blute ihres Herzens. Keines von allen war ihr eine Phrase. Als ich den Kirchhof verlassen hatte ... erinnerte ich mich lebhaft eines Abends, den ich ... in diesem Städtchen verbrachte, auch in dem Hause einer Dichterin ... Fanny Tarnow hatte eben damals ihre »Zwei Jahre in Petersburg« erscheinen lassen, und mancher fragende Blick schweifte nach dem »alten Diplomaten«, dem Freunde Klingers, hin und her, zwischen der stolzen Newa und der bescheidenen Saale. Wir sprachen damals vieles über diese einstigen Koryphäen der kleinen Stadt, was in dieser Stunde wieder in mir lebendig wurde ... Waren es nicht wirkliche, eigenartige, selbstlebende Gestalten, die in dem engen Raume an mir vorüberschwebten? – Gestalten, an welchen einst die Guten und Besten ihres Landes sich erfreuten, sich noch erfreuen? Und doch sind wir noch nicht zu Ende mit den Dichternamen, die über die Mauern dieser kleinen Stadt hinausgeklungen sind.

Ei, Kleiner! Du in der schwarzen Lederhose und blauen Leinenjacke, mein Junge, sollte ich dich nicht kennen? – Ja, du kleine ehrliche Haut, das sind schon die Augen und Züge des Mannes, der »die Krankheit hatte, keine Ungerechtigkeit sehen zu können, ohne aufzuschreien«. Aber was machst du hier ganz allein in der Stadt, kleiner Gottfried? Willst du den Pfingstkuchen deiner Vettern und Basen über der Saale kosten? – Nimm dich in acht, die Seumes sind zahlreich in dieser Gegend, und wohlhabend. Du sitzest mitten drin im Lande des Kuchens, du wirst dir den Magen verderben, mein Junge! Oder willst du auf dem Markte eine Maie kaufen? Das Haus deiner Mutter zu schmücken zum morgenden Feste? – Freilich, in deiner Fläche wachsen nur Pflaumen und Kirschen. Der Boden ist viel zu saftig für Pfingst- und Weihnachtsbäume. Ach das träumst du wohl nicht, du ehrlicher Knabe, dass in deinem lieben heimischen Poserna bald einer predigen wird, den sie hernach den deutschen Eugen Aram nennen, ein Priester, der eine Frau, eine befreundete Frau totschlägt, um sich mit ihrem Gelde Bücher zu kaufen, um lernen zu können. (Tinius). Kannst du das fassen, so arm du bist und leselustig, Gottfried Seume? – Du echtes Thüringer Blut! Ja, ich kenne dich, ich kenne auch deinen strengen, tugendhaften Andreas (Vater des Dichters), und die gute freundliche Alte. Ja, wir sind eines Stammes, du und ich. Und wenn ich mal eine Dorfgeschichte schreibe, da sollt ihr meine Vorbilder sein, ihr Leute von Poserna ...

Aber es sei genug für heute. Wir sind geneigt, bis auf wenige, unsere Geister schnell zu vergessen. Einen Augenblick blenden sie uns, und dann lassen wir sie schwinden und wenden uns neueren Sternen zu. Das ist natürlich und vielleicht auch recht. Nur Sonnen leuchten über alle Zeiten. Auch mag wohl ein gutes Teil Eitelkeit unter der Dankbarkeit sein, mit welcher das Vorvolk in dem Kultus des Genius auch seine Geister zweiten und dritten Ranges in der Erinnerung hegt und pflegt. Von Zeit zu Zeit aber sei es vergönnt, ja sei es uns Pflicht, das Verlöschende anzufachen und auf die Geister hinzudeuten, die ihrer Stunde und ihrem Kreise geleuchtet haben, zu fragen, was sie noch heute uns sind und werden können. Vor allem aber liegt es uns ob, aus der Umgebung, in welcher sich diese Geister entfalten, die Eigentümlichkeit deutschen Lebens zu entwickeln, die in der um sich greifenden poetischen Zentralisation zu versinken droht.

Aus: Die vergrabene Truhe. Sagen und Erzählungen aus dem Gebiet um Weißenfels, Hohenmölsen und Zeitz. Ausgewählt und zusammengestellt von Adolf Schmiedecke. Weimar: Wartburg-Verlag 2002. S. 125-128.



 


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Letzte Änderung am 21.03.2004.
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