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Aquarium > Wirkungsgeschichte im 19. Jahrhundert > Thomas Carlyle: Novalis (1829) > [VI. Novalis als Dichter: Hymnen an die Nacht, Heinrich von Ofterdingen]

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Thomas Carlyle: Novalis (1829). In: Thomas Carlyle's ausgewählte Schriften. Deutsch von A. Kretzschmar. Zweiter Band. Voltaire. – Diderot. – Novalis. – Charakteristiken. Leipzig: Otto Wigand 1855. S. 154-210, hier S. 198-204.

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Bis jetzt haben unsere Leser von Novalis in seiner Eigenschaft als Dichter, was man eigentlich darunter versteht, noch nichts gesehen, denn die »Lehrlinge zu Sais« gehören mehr einer wissenschaftlichen als einer poetischen Richtung an. Wie wir schon oben angedeutet, rechnen wir seine Begabung in diesem letztern Zweige nicht zur ersten oder auch nur zu einer hohen Gattung; es müßte denn, wie er selbst behauptet, wahr sein, daß der Unterschied zwischen Dichter und Philosoph ein nur scheinbarer und zum Schaden beider ist. In seinen selbst so genannten poetischen Produkten liegt eine unleugbare Weitschweifigkeit, ein Grad von Mattigkeit, nicht Schwäche, sondern Trägheit. Der Sinn ist zu sehr ausgesponnen und zwar nicht in einer lebhaften, wechselvollen Musik, wie wir es z. B. bei Tieck finden, sondern vielmehr in einer leisen, obschon nicht unmelodischen Eintönigkeit, deren dumpfes Summen nur in seltenen Zwischenräumen, obschon zuweilen durch Töne von der reinsten und fast geistiger Weichheit, unterbrochen wird.

Wir reden hier hauptsächlich von seinen nicht metrischen Sachen, seinen Gedichten in Prosa. Die metrischen sind überhaupt wenig an der Zahl, betreffen größtentheils religiöse Gegenstände und scheinen trotz einer entschiedenen Wahrheit des Gefühls und des Ausdrucks, doch keine große Geschicklichkeit oder Praxis in dieser Form der Composition zu verrathen. In seinem prosaischen Style ist er glücklicher. Er strebt hauptsächlich nach Einfachheit und nach naturwüchsiger Bündigkeit. Hier und da hat er uns in seinen ausgearbeiteteren Stellen, besonders in seinen »Hymnen an die Nacht« an Herder erinnert.

Diese »Hymnen an die Nacht« wurden, wie wohl zu beachten, kurz nach dem Tode seiner Geliebten geschrieben, zu jener Zeit tiefen Kummers oder vielmehr heiliger Erlösung vom Kummer. Novalis betrachtete sie als seine vollendetsten Leistungen. Sie sind von seltsamer, verschleierter, fast räthselhafter Art; nichtsdestoweniger erscheinen sie, wenn man sie näher prüft, keineswegs ohne wahren poetischen Werth. Es liegt darin, so zu sagen, eine Unermeßlichkeit der Idee; eine erhabene Ruhe herrscht in ihnen, eine Einsamkeit wie von erloschenen Welten. Hier und da streift uns ein Lichtstrahl in der leeren Tiefe, und wir werfen einen klaren staunenden Blick in die Mysterien dieser geheimnißvollen Seele. Ein vollständiger Commentar über die »Hymnen an die Nacht« wäre eine Auseinandersetzung von Novalis' ganzem theologischen und moralischen Glaubensbekenntniß, denn es steht hierin ausgezeichnet, obschon symbolisch, und in lyrischer, nicht in didaktischer

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Sprache. Wir theilen hier die dritte als die kürzeste und einfachste mit. Unter dem Worte »Nacht« versteht Novalis, wie man sehen wird, weit mehr als das gewöhnliche Gegentheil des Tages. »Licht« scheint in diesen Gedichten unser irdisches Leben anzudeuten; »Nacht« dagegen das uranfängliche himmlische Leben.

»Einst, da ich bittere Thränen vergoß, da in Schmerz aufgelöst meine Hoffnung zerrann, und ich einsam stand am dürren Hügel, der im engen, dunkeln Raum die Gestalt meines Lebens barg; einsam, wie noch kein Einsamer war, von unsäglicher Angst getrieben, kraftlos, nur ein Gedanke des Elends noch: – wie ich da nach Hülfe umherschaute, vorwärts nicht konnte und rückwärts nicht, und am fliehenden, verloschnen Leben mit unendlicher Sehnsucht hing: – da kam aus blauen Fernen, von den Höhen meiner alten Seligkeit ein Dämmerungsschauer, und mit einemmale riß das Band der Geburt des Lichtes Fessel. Hin floh die irdische Herrlichkeit, und meine Trauer mit ihr, zusammen floß die Wehmuth in eine neue, unergründliche Welt; du Nachtbegeisterung, Schlummer des Himmels kamst über mich: die Gegend hob sich sacht empor, über der Gegend schwebte mein entbundener, neugeborner Geist. Zur Staubwolke wurde der Hügel, durch die Wolke sah ich die verklärten Züge der Geliebten. In ihren Augen ruhte die Ewigkeit; ich faßte ihre Hände, und die Thränen wurden ein funkelndes, unzerreißliches Band. Jahrtausende zogen abwärts in die Ferne, wie Ungewitter. An ihrem Halse weint' ich dem neuen Leben entzückende Thränen. – Es war der erste, einzige Traum, und erst seit dem fühl' ich ewigen, unwandelbaren Glauben an den Himmel der Nacht und sein Licht, die Geliebte.«

Welchen Grad von kritischer Befriedigung, welchen Einblick in die große Krisis von Novalis geistiger Geschichte, welche hier angedeutet zu werden scheint, unsere Leser aus dieser dritten »Hymne an die Nacht« schöpfen werden, darüber wollen wir keine Muthmaßungen aufstellen. Mittlerweile würden wir ihnen aber eine falsche Vorstellung von dem Dichter geben, wenn wir ihn hier verlassen wollten, nachdem wir ihn blos in seiner mystischeren Gestalt gezeigt, als ob seine Poesie ausschließlich eine Sache der Allegorie wäre und, fern von allen Pfaden gewöhnlicher Sterblicher und ihren Gedanken, blos in Nacht und Oede wohnte. Novalis kann im gewöhnlichsten Style eben so gut schreiben als in dem ungewöhnlichsten, und auch dann nicht ohne Originalität. Den bei weitem größten Theil seines ersten Bandes nimmt ein Roman: »Heinrich von Ofterdingen« ein, der, so weit er

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geht, so ziemlich in alltäglicher Weise geschrieben ist. Wir haben noch um so weniger darauf hingedeutet, weil wir diesen Roman keineswegs unter seine bemerkenswerthesten Leistungen rechnen. Wie viele der übrigen ist er unvollendet geblieben, ja nach dem Bericht, welchen Tieck von dem weiteren Plane giebt, und wornach aus der nüchternen prosaischen Welt des ersten Theils diese »Apotheose der Poesie« im zweiten in eine mythische feenhafte und ganz phantastische Welt übergehen sollte, haben Kritiker bezweifelt, ob streng genommen diese Arbeit hätte vollendet werden können.

Aus diesem Werke heben wir zwei Stellen aus, um eine Probe von Novalis' Art und Weise im gewöhnlicheren Style zu geben, wobei wir – und in diesem einen Falle sind wir dazu berechtigt – voraus bemerken, daß die Vorzüge, welche darin liegen, allgemeine Würdigung finden werden.

Das erste Bruchstück ist die Einleitung zu der ganzen Erzählung, gleichsam der Text des Ganzen; die »blaue Blumen«, von welcher hier gesprochen wird, ist die Poesie, der wirkliche Zweck, die Leidenschaft und der Beruf des jungen Heinrich, welche er unter mannigfachen Abenteuern, Anstrengungen und Leiden suchen und finden soll.

Seine Geschichte beginnt folgendermaßen:

»Die Eltern lagen schon und schliefen, die Wanduhr schlug ihren einförmigen Takt, vor den klappernden Fenstern sauste der Wind; abwechselnd wurde die Stube hell von dem Schimmer des Mondes. Der Jüngling lag unruhig auf seinem Lager, und gedachte des Fremden und seiner Erzählungen. Nicht die Schätze sind es, die ein so unaussprechliches Verlangen in mir geweckt haben, sagte er zu sich selbst; fern ab liegt mir alle Habsucht: aber die blaue Blume sehn' ich mich zu erblicken. Sie liegt mir unaufhörlich im Sinn, und ich kann nichts anders dichten und denken. So ist mir noch nie zu Muthe gewesen: es ist, als hätt' ich vorhin geträumt, oder ich wäre in eine andere Welt hinüber geschlummert; denn in der Welt, in der ich sonst lebte, wer hätte da sich um Blumen bekümmert; und gar von einer so seltsamen Leidenschaft für eine Blume hab' ich damals nie gehört. Wo eigentlich nur der Fremde herkam? Keiner von uns hat je einen ähnlichen Menschen gesehen; doch weiß ich nicht, warum nur ich von seinen Reden so ergriffen worden bin; die Anderen haben ja das Nämliche gehört, und Keinem ist so etwas begegnet. Daß ich auch nicht einmal von meinem wunderlichen Zustande reden kann! Es ist mir oft so entzückend wohl, und nur dann, wenn ich die Blume nicht recht gegenwärtig habe, befällt mich so ein

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tiefes, inniges Treiben: das kann und wird Keiner verstehen. Ich glaubte, ich wäre wahnsinnig, wenn ich nicht so klar und hell sähe und dächte; mir ist seitdem Alles viel bekannter. Ich hörte einst von alten Zeiten reden; wie da die Thiere und Bäume und Felsen mit den Menschen gesprochen hätten. Mir ist gerade so, als wollten sie allaugenblicklich anfangen, und als könnte ich es ihnen ansehen, was sie mir sagen wollten. Es muß noch viel Worte geben, die ich nicht weiß: wüßte ich mehr, so könnte ich viel besser alles begreifen. Sonst tanzte ich gern, jetzt denke ich lieber nach der Musik. – Der Jüngling verlor sich allmälig in süßen Phantasien und entschlummerte. Da träumte ihm erst von unabsehlichen Fernen, und wilden, unbekannten Gegenden. Er wanderte über Meere mit unbegreiflicher Leichtigkeit; wunderliche Thiere sah er; er lebte mit mannigfaltigen Menschen, bald im Kriege, im wilden Getümmel, in stillen Hütten. Er gerieth in Gefangenschaft und in die schmählichste Noth. Alle Empfindungen stiegen bis zu einer nie gekannten Höhe in ihm. Er durchlebte ein unendlich buntes Leben; starb und kam wieder, liebte bis zur höchsten Leidenschaft, und war dann wieder auf ewig von seiner Geliebten getrennt. Endlich gegen Morgen, wie draußen die Dämmerung anbrach, wurde es stiller in seiner Seele, klarer und bleibender wurden die Bilder. Es kam ihm vor, als ginge er in einem dunkeln Walde allein. Nur selten schimmerte der Tag durch das grüne Netz. Bald kam er vor eine Felsenschlucht, die bergan stieg. Er mußte über bemooste Steine klettern, die ein ehemaliger Strom herunter gerissen hatte. Je höher er kam, desto lichter wurde der Wald. Endlich gelangte er zu einer kleinen Wiese, die am Hange des Berges lag. Hinter der Wiese erhob sich eine hohe Klippe, an deren Fuß er eine Oeffnung erblickte, die der Anfang eines in den Felsen gehauenen Ganges zu sein schien. Der Gang führte ihn gemächlich eine Zeitlang eben fort, bis zu einer großen Weitung, aus der ihm schon von fern ein helles Licht entgegen glänzte. Wie er hineintrat, ward er einen mächtigen Strahl gewahr, der wie aus einem Springquell bis an die Decke des Gewölbes stieg, und oben in unzählige Funken zerstäubte, die sich unten in einem großen Becken sammelten; der Strahl glänzte wie entzündetes Gold; nicht das mindeste Geräusch war zu hören, eine heilige Stille umgab das herrliche Schauspiel. Er näherte sich dem Becken, das mit unendlichen Farben wogte und zitterte. Die Wände der Höhle waren mit dieser Flüssigkeit überzogen, die nicht heiß, sondern kühl war, und an den Wänden nur ein mattes, bläuliches Licht von sich warf.

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Er tauchte seine Hand in das Becken, und benetzte seine Lippen. Es war, als durchdränge ihn ein geistiger Hauch, und er fühlte sich innigst gestärkt und erfrischt. Ein unwiderstehliches Verlangen ergriff ihn, sich zu baden, er entkleidete sich und stieg in das Becken. Es dünkte ihn, als umflösse ihn eine Wolke des Abendroths; eine himmlische Empfindung überströmte sein Inneres; mit inniger Wollust strebten unzählbare Gedanken in ihm sich zu vermischen; neue, nie gesehene Bilder entstanden, die auch in einander flossen, und zu sichtbaren Wesen um ihn wurden, und jede Welle des lieblichen Elements schmiegte sich wie ein zarter Busen ihm an. Die Fluth schien eine Auflösung reizender Mädchen, die an dem Jünglinge sich augenblicklich verkörperten.

Berauscht von Entzücken und doch jedes Eindrucks bewußt, schwamm er gemach dem leuchtenden Strome nach, der aus dem Becken in den Felsen hineinfloß. Eine Art von süßem Schlummer befiel ihn, in welchem er unbeschreibliche Begebenheiten träumte, und woraus ihn eine andere Erleuchtung weckte. Er fand sich auf einem weichen Rasen am Rande einer Quelle, die in die Luft hinausquoll und sich darin zu verzehren schien. Dunkelblaue Felsen mit bunten Adern erhoben sich in einiger Entfernung; das Tageslicht, das ihn umgab, war heller und milder als das gewöhnliche, der Himmel war schwarzblau und völlig rein. Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die zunächst an der Quelle stand, und ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern berührte. Rund um sie her standen unzählige Blumen von allen Farben, und der köstlichste Geruch erfüllte die Luft. Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing; die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden Stengel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blüthenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte. Sein süßes Staunen wuchs mit der sonderbaren Verwandlung, als ihn plötzlich die Stimme seiner Mutter weckte, und er sich in der elterlichen Stube fand, die schon die Morgensonne vergoldete.«

Unser nächster und letzter Auszug hat ebenfalls einen Traum zum Gegenstande. Der junge Heinrich macht mit seiner Mutter eine lange Reise, um seinen Großvater in Augsburg zu besuchen, unterhält sich unterwegs mit Kaufleuten, Bergleuten und Kreuzrittern (denn es ist zur Zeit der Kreuz-

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züge), und verliebt sich bald nach seiner Ankunft sterblich in Mathilde, die Tochter des Dichters Klingsohr, deren Gesicht jenes schönste war, das er in seiner früheren Vision der blauen Blume gesehen. Mathilde soll ihm, wie es scheint, durch den Tod entrissen werden (ebenso wie Sophie ihrem Novalis); mittlerweile jedoch überläßt sich Heinrich, der kein solches Ereigniß fürchtet, mit vollem Herzen seinen neuen Erregungen.

»Er trat an's Fenster. Das Chor der Gestirne stand am dunklen Himmel und im Morgen kündigte ein weißer Schein den kommenden Tag an.

Mit vollem Entzücken rief Heinrich aus: Euch, ihr ewigen Gestirne, ihr stillen Wanderer, euch rufe ich zum Zeugen meines heiligen Schwurs an. Für Mathilden will ich leben und ewige Treue soll mein Herz an das ihrige knüpfen. Auch mir bricht der Morgen eines ewigen Tages an. Die Nacht ist vorüber. Ich zünde der aufgehenden Sonne mich selbst zum verglühenden Opfer an.

Heinrich war erhitzt und nur spät gegen Morgen schlief er ein. In wunderliche Träume flossen die Gedanken seiner Seele zusammen. Ein tiefer blauer Strom schimmerte aus der grünen Ebene herauf. Auf der glatten Fläche schwamm ein Kahn. Mathilde saß und ruderte. Sie war mit Kränzen geschmückt, sang ein einfaches Lied und sah nach ihm mit süßer Wehmuth herüber. Seine Brust war beklommen. Er wußte nicht warum. Der Himmel war heiter, die Fluth ruhig. Ihr himmlisches Gesicht spiegelte sich in den Wellen. Auf einmal fing der Kahn an sich umzudrehen. Er rief ihr ängstlich zu. Sie lächelte und legte das Ruder in den Kahn, der sich immerwährend drehete. Eine ungeheuere Bangigkeit ergriff ihn. Er stürzte sich in den Strom, aber er konnte nicht fort, das Wasser trug ihn. Sie winkte, sie schien ihm etwas sagen zu wollen, der Kahn schöpfte schon Wasser; doch lächelte sie mit einer unsäglichen Innigkeit und sah heiter in den Wirbel hinein. Auf einmal zog es sie hinunter. Eine leise Luft strich über den Strom, der eben so ruhig und glänzend floß wie vorher. Die entsetzliche Angst raubte ihm das Bewußtsein. Das Herz schlug nicht mehr. Er kam erst zu sich, als er sich auf trockenem Boden fühlte. Er mochte weit geschwommen sein. Es war eine fremde Gegend. Er wußte nicht, wie ihm geschehen war. Sein Gemüth war verschwunden. Gedankenlos ging er tiefer ins Land. Entsetzlich matt fühlte er sich. Eine kleine Quelle kam aus einem Hügel; sie tönte wie lauter Glocken. Mit der Hand schöpfte er einige Tropfen und netzte seine dürren Lippen. Wie ein banger Traum lag

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die schreckliche Begebenheit hinter ihm. Immer weiter und weiter ging er, Blumen und Bäume redeten ihn an, ihm wurde so wohl und heimathlich zu Sinne. Da hörte er jenes einfache Lied wieder. Er lief den Tönen nach. Auf einmal hielt ihn Jemand am Gewande zurück. Lieber Heinrich, rief eine bekannte Stimme. Er sah sich um, und Mathilde schloß ihn in ihre Arme. Warum liefst Du vor mir, liebes Herz? sagte sie tief athmend. Kaum konnte ich Dich einholen. Heinrich weinte. Er drückte sie an sich. – Wo ist der Strom? rief er mit Thränen. – Siehst Du nicht seine blauen Wellen über uns? – Er sah hinauf und der blaue Strom floß leise über ihrem Haupte. – Wo sind wir, liebe Mathilde? – Bei unsern Eltern. – Bleiben wir zusammen? – Ewig, versetzte sie, indem sie ihre Lippen an die seinigen drückte und ihn so umschloß, daß sie nicht wieder von ihm konnte. Sie sagte ihm ein wunderbares geheimes Wort in den Mund, was sein ganzes Wesen durchklang. Er wollte es wiederholen, als sein Großvater rief und er aufwachte. Er hätte sein Leben darum geben mögen, das Wort noch zu wissen.«

Dieses Bild vom Tode und von dem Flusse, welcher in jenem andern und ewigen Lande der Himmel ist, scheint uns ein schönes und rührendes. Es liegt darin eine Spur jener erhabenen Einfachheit, jenes sanften stillen Pathos, welche Novalis eigenthümlich und ohne Zweifel die höchsten seiner speziell poetischen Gaben sind.

Hierauf jedoch, so wie auf seine übrigen Vorzüge und Mängel, können wir nicht weiter eingehen, weil wir nun, nach den mitgetheilten Auszügen und mehr oder weniger dürftigen Commentaren unsere kleine Abhandlung über Novalis als, wenn auch nicht vollendet, doch geschlossen betrachten müssen.

zurck
[V.]
weiter
[VII.]


 


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Letzte Änderung am 04.12.2004.
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