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Dem Dichter, welcher das Wesen seiner Kunst im
Mittelpunkt ergriffen hat, erscheint nichts
widersprechend und fremd, ihm sind die Rätsel
gelöst, durch die Magie der Phantasie kann er alle
Zeitalter und Welten verknüpfen, die Wunder
verschwinden und alles verwandelt sich in Wunder:
so ist dieses Buch gedichtet, und besonders findet
der Leser in dem Märchen, welches den ersten Teil
beschließt, die kühnsten Verknüpfungen; hier sind
alle Unterschiede aufgehoben, durch welche
Zeitalter voneinander getrennt erscheinen, und
eine Welt der andern als feindselig begegnet.
Durch dieses Märchen wollte sich der Dichter
hauptsächlich den Übergang zum zweiten Teile
machen, in welchem die Geschichte unaufhörlich aus
dem Gewöhnlichsten in das Wundervollste
überschweift, und sich beides gegenseitig erklärt
und ergänzt; der Geist, welcher den Prolog in
Versen hält, sollte nach jedem Kapitel
wiederkehren, und diese Stimmung, diese wunderbare
Ansicht der Dinge fortsetzen. Durch dieses Mittel
blieb die unsichtbare Welt mit dieser sichtbaren
in ewiger Verknüpfung. Dieser sprechende Geist ist
die Poesie selber, aber zugleich der siderische
Mensch, der mit der Umarmung Heinrichs und
Mathildens geboren ist. In folgendem Gedichte,
welches seine Stelle im »Ofterdingen« finden
sollte, hat der Verfasser auf die leichteste Weise
den innern Geist seiner Bücher ausgedrückt:
Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen,
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freie Leben,
Und in die Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit werden gatten,
Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die ewgen Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.
(RUB 8939, S. 178–179)
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