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Die Spindel schwang sich mit unglaublicher
Behendigkeit zwischen den kleinen Füßen; während
sie mit beiden Händen den zarten Faden drehte.
Unter dem Liede wurden unzählige Lichterchen
sichtbar, die aus der Türspalte schlüpften und
durch die Höhle in scheußlichen Larven sich
verbreiteten. Die Alten hatten während der Zeit
immer mürrisch fortgesponnen, und auf das
Jammergeschrei der kleinen Fabel gewartet, aber
wie entsetzten sie sich, als auf einmal eine
erschreckliche Nase über ihre Schultern guckte,
und wie sie sich umsahen, die ganze Höhle voll der
gräßlichsten Figuren war, die tausenderlei Unfug
trieben. Sie fuhren ineinander, heulten mit
fürchterlicher Stimme, und wären vor Schrecken zu
Stein geworden, wenn nicht in diesem Augenblicke
der Schreiber in die Höhle getreten wäre, und eine
Alraunwurzel bei sich gehabt hätte. Die
Lichterchen verkrochen sich in die Felsklüfte und
die Höhle wurde ganz hell, weil die schwarze Lampe
in der Verwirrung umgefallen und ausgelöscht war.
Die Alten waren froh, wie sie den Schreiber kommen
hörten, aber voll Ingrimms gegen die kleine Fabel.
Sie riefen sie heraus, schnarchten sie
fürchterlich an und verboten ihr fortzuspinnen.
Der Schreiber schmunzelte höhnisch, weil er die
kleine Fabel nun in seiner Gewalt zu haben glaubte
und sagte: ›Es ist gut, daß du hier bist und zur
Arbeit angehalten werden kannst. Ich hoffe, daß es
an Züchtigungen nicht fehlen soll. Dein guter
Geist hat dich hergeführt. Ich wünsche dir langes
Leben und viel Vergnügen.‹ ›Ich danke dir für
deinen guten Willen‹, sagte Fabel; ›man sieht dir
jetzt die gute Zeit an; dir fehlt nur noch das
Stundenglas und die Hippe, so siehst du ganz wie
der Bruder meiner schönen Basen aus. Wenn du
Gänsespulen brauchst, so zupfe ihnen nur eine
Handvoll zarten Pflaum aus den Wangen.‹ Der
Schreiber schien Miene zu machen, über sie
herzufallen. Sie lächelte und sagte: ›Wenn dir
dein schöner Haarwuchs und dein geistreiches Auge
lieb sind, so nimm dich in acht; bedenke meine
Nägel, du hast nicht viel mehr zu verlieren.‹ Er
wandte sich mit verbißner Wut zu den Alten, die
sich die Augen wischten, und nach ihren Wocken
umhertappten. Sie konnten nichts finden, da die
Lampe ausgelöscht war, und ergossen sich in
Schimpfreden gegen Fabel. ›Laßt sie doch gehn‹,
sprach er tückisch, ›daß sie euch Taranteln fange,
zur Bereitung eures Öls. Ich wollte euch zu eurem
Troste sagen, daß Eros ohne Rast umherfliegt, und
eure Schere fleißig beschäftigen wird. Seine
Mutter, die euch so oft zwang, die Fäden länger zu
spinnen, wird morgen ein Raub der Flammen.‹ Er
kitzelte sich, um zu lachen, wie er sah, daß Fabel
einige Tränen bei dieser Nachricht vergoß, gab ein
Stück von der Wurzel der Alten, und ging
naserümpfend von dannen. Die Schwestern hießen der
Fabel mit zorniger Stimme Taranteln suchen,
ohngeachtet sie noch Öl vorrätig hatten, und Fabel
eilte fort. Sie tat, als öffne sie das Tor, warf
es ungestüm wieder zu, und schlich sich leise nach
dem Hintergrunde der Höhle, wo eine Leiter
herunterhing. Sie kletterte schnell hinauf, und
kam bald vor eine Falltür, die sich in Arcturs
Gemach öffnete.
(RUB 8939, S. 136–137)
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