[158. Absatz]
›Was suchst du?‹ sagte die Sphinx. ›Mein
Eigentum‹, erwiderte Fabel. – ›Wo kommst du her?‹
– ›Aus alten Zeiten.‹ – ›Du bist noch ein Kind‹ –
›Und werde ewig ein Kind sein.‹ – ›Wer wird dir
beistehn?‹ – ›Ich stehe für mich. Wo sind die
Schwestern?‹ fragte Fabel. – ›Überall und
nirgends‹, gab die Sphinx zur Antwort. – ›Kennst
du mich?‹ – ›Noch nicht.‹ – ›Wo ist die Liebe?‹ –
›In der Einbildung.‹ – ›Und Sophie?‹ – Die Sphinx
murmelte unvernehmlich vor sich hin, und rauschte
mit den Flügeln. ›Sophie und Liebe‹, rief
triumphierend Fabel, und ging durch das Tor. Sie
trat in die ungeheure Höhle, und ging fröhlich auf
die alten Schwestern zu, die bei der kärglichen
Nacht einer schwarzbrennenden Lampe ihr
wunderliches Geschäft trieben. Sie taten nicht,
als ob sie den kleinen Gast bemerkten, der mit
artigen Liebkosungen sich geschäftig um sie
erzeigte. Endlich krächzte die eine mit rauhen
Worten und scheelem Gesicht: ›Was willst du hier,
Müßiggängerin? wer hat dich eingelassen? Dein
kindisches Hüpfen bewegt die stille Flamme. Das Öl
verbrennt unnützerweise. Kannst du dich nicht
hinsetzen und etwas vornehmen?‹ – ›Schöne Base‹,
sagte Fabel, ›am Müßiggehn ist mir nichts gelegen.
Ich mußte recht über eure Türhüterin lachen. Sie
hätte mich gern an die Brust genommen, aber sie
mußte zu viel gegessen haben, sie konnte nicht
aufstehn. Laßt mich vor der Tür sitzen, und gebt
mir etwas zu spinnen; denn hier kann ich nicht gut
sehen, und wenn ich spinne, muß ich singen und
plaudern dürfen, und das könnte euch in euren
ernsthaften Gedanken stören.‹ – ›Hinaus sollst du
nicht, aber in der Nebenkammer bricht ein Strahl
der Oberwelt durch die Felsritzen, da magst du
spinnen, wenn du so geschickt bist; hier liegen
ungeheure Haufen von alten Enden, die drehe
zusammen; aber hüte dich: wenn du saumselig
spinnst, oder der Faden reißt, so schlingen sich
die Fäden um dich her und ersticken dich.‹ – Die
Alte lachte hämisch, und spann. Fabel raffte einen
Arm voll Fäden zusammen, nahm Wocken und Spindel,
und hüpfte singend in die Kammer. Sie sah durch
die Öffnung hinaus, und erblickte das Sternbild
des Phönixes. Froh über das glückliche Zeichen
fing sie an lustig zu spinnen, ließ die Kammertür
ein wenig offen, und sang halbleise:
Erwacht in euren Zellen,
Ihr Kinder alter Zeit;
Laßt eure Ruhestellen,
Der Morgen ist nicht weit.
Ich spinne eure Fäden
In Einen Faden ein;
Aus ist die Zeit der Fehden.
Ein Leben sollt ihr sein.
Ein jeder lebt in Allen,
Und All' in Jedem auch.
Ein Herz wird in euch wallen,
Von Einem Lebenshauch.
Noch seid ihr nichts als Seele,
Nur Traum und Zauberei.
Geht furchtbar in die Höhle
Und neckt die heilge Drei.
(RUB 8939, S. 134–136)
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