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Aquarium > Das Werk > Heinrich von Ofterdingen (1799–1800) > [158. Absatz]


[158. Absatz]

›Was suchst du?‹ sagte die Sphinx. ›Mein Eigentum‹, erwiderte Fabel. – ›Wo kommst du her?‹ – ›Aus alten Zeiten.‹ – ›Du bist noch ein Kind‹ – ›Und werde ewig ein Kind sein.‹ – ›Wer wird dir beistehn?‹ – ›Ich stehe für mich. Wo sind die Schwestern?‹ fragte Fabel. – ›Überall und nirgends‹, gab die Sphinx zur Antwort. – ›Kennst du mich?‹ – ›Noch nicht.‹ – ›Wo ist die Liebe?‹ – ›In der Einbildung.‹ – ›Und Sophie?‹ – Die Sphinx murmelte unvernehmlich vor sich hin, und rauschte mit den Flügeln. ›Sophie und Liebe‹, rief triumphierend Fabel, und ging durch das Tor. Sie trat in die ungeheure Höhle, und ging fröhlich auf die alten Schwestern zu, die bei der kärglichen Nacht einer schwarzbrennenden Lampe ihr wunderliches Geschäft trieben. Sie taten nicht, als ob sie den kleinen Gast bemerkten, der mit artigen Liebkosungen sich geschäftig um sie erzeigte. Endlich krächzte die eine mit rauhen Worten und scheelem Gesicht: ›Was willst du hier, Müßiggängerin? wer hat dich eingelassen? Dein kindisches Hüpfen bewegt die stille Flamme. Das Öl verbrennt unnützerweise. Kannst du dich nicht hinsetzen und etwas vornehmen?‹ – ›Schöne Base‹, sagte Fabel, ›am Müßiggehn ist mir nichts gelegen. Ich mußte recht über eure Türhüterin lachen. Sie hätte mich gern an die Brust genommen, aber sie mußte zu viel gegessen haben, sie konnte nicht aufstehn. Laßt mich vor der Tür sitzen, und gebt mir etwas zu spinnen; denn hier kann ich nicht gut sehen, und wenn ich spinne, muß ich singen und plaudern dürfen, und das könnte euch in euren ernsthaften Gedanken stören.‹ – ›Hinaus sollst du nicht, aber in der Nebenkammer bricht ein Strahl der Oberwelt durch die Felsritzen, da magst du spinnen, wenn du so geschickt bist; hier liegen ungeheure Haufen von alten Enden, die drehe zusammen; aber hüte dich: wenn du saumselig spinnst, oder der Faden reißt, so schlingen sich die Fäden um dich her und ersticken dich.‹ – Die Alte lachte hämisch, und spann. Fabel raffte einen Arm voll Fäden zusammen, nahm Wocken und Spindel, und hüpfte singend in die Kammer. Sie sah durch die Öffnung hinaus, und erblickte das Sternbild des Phönixes. Froh über das glückliche Zeichen fing sie an lustig zu spinnen, ließ die Kammertür ein wenig offen, und sang halbleise:

Erwacht in euren Zellen,
Ihr Kinder alter Zeit;
Laßt eure Ruhestellen,
Der Morgen ist nicht weit.

Ich spinne eure Fäden
In Einen Faden ein;
Aus ist die Zeit der Fehden.
Ein Leben sollt ihr sein.

Ein jeder lebt in Allen,
Und All' in Jedem auch.
Ein Herz wird in euch wallen,
Von Einem Lebenshauch.

Noch seid ihr nichts als Seele,
Nur Traum und Zauberei.
Geht furchtbar in die Höhle
Und neckt die heilge Drei.

(RUB 8939, S. 134–136)

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Letzte Änderung am 04.02.2002.
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