[154. Absatz]
Eros stand gerührt bei den zärtlichen Umarmungen.
Endlich sammelte sich der alte erschütterte Mann,
und bewillkommte seinen Gast. Er ergriff sein
großes Horn und stieß mit voller Macht hinein. Ein
gewaltiger Ruf dröhnte durch die uralte Burg. Die
spitzen Türme mit ihren glänzenden Knöpfen und die
tiefen schwarzen Dächer schwankten. Die Burg stand
still, denn sie war auf das Gebirge jenseits des
Meers gekommen. Von allen Seiten strömten seine
Diener herzu, deren seltsame Gestalten und
Trachten Ginnistan unendlich ergötzten, und den
tapfern Eros nicht erschreckten. Erstere grüßte
ihre alten Bekannten, und alle erschienen vor ihr
mit neuer Stärke und in der ganzen Herrlichkeit
ihrer Naturen. Der ungestüme Geist der Flut folgte
der sanften Ebbe. Die alten Orkane legten sich an
die klopfende Brust der heißen leidenschaftlichen
Erdbeben. Die zärtlichen Regenschauer sahen sich
nach dem bunten Bogen um, der von der Sonne, die
ihn mehr anzieht, entfernt, bleich dastand. Der
rauhe Donner schalt über die Torheiten der Blitze,
hinter den unzähligen Wolken hervor, die mit
tausend Reizen dastanden und die feurigen
Jünglinge lockten. Die beiden lieblichen
Schwestern, Morgen und Abend, freuten sich
vorzüglich über die beiden Ankömmlinge. Sie
weinten sanfte Tränen in ihren Umarmungen.
Unbeschreiblich war der Anblick dieses
wunderlichen Hofstaats. Der alte König konnte sich
an seiner Tochter nicht satt sehen. Sie fühlte
sich zehnfach glücklich in ihrer väterlichen Burg,
und ward nicht müde die bekannten Wunder und
Seltenheiten zu beschauen. Ihre Freude war ganz
unbeschreiblich, als ihr der König den Schlüssel
zur Schatzkammer und die Erlaubnis gab, ein
Schauspiel für Eros darin zu veranstalten, das ihn
so lange unterhalten könnte, bis das Zeichen des
Aufbruchs gegeben würde. Die Schatzkammer war ein
großer Garten, dessen Mannigfaltigkeit und
Reichtum alle Beschreibung übertraf. Zwischen den
ungeheuren Wetterbäumen lagen unzählige
Luftschlösser von überraschender Bauart, eins
immer köstlicher, als das andere. Große Herden von
Schäfchen, mit silberweißer, goldner und
rosenfarbner Wolle irrten umher, und die
sonderbarsten Tiere belebten den Hain. Merkwürdige
Bilder standen hie und da, und die festlichen
Aufzüge, die seltsamen Wagen, die überall zum
Vorschein kamen, beschäftigten die Aufmerksamkeit
unaufhörlich. Die Beete standen voll der buntesten
Blumen. Die Gebäude waren gehäuft voll von Waffen
aller Art, voll der schönsten Teppiche, Tapeten,
Vorhänge, Trinkgeschirre und aller Arten von
Geräten und Werkzeugen, in unübersehlichen Reihen.
Auf einer Anhöhe erblickten sie ein romantisches
Land, das mit Städten und Burgen, mit Tempeln und
Begräbnissen übersäet war, und alle Anmut
bewohnter Ebenen mit den furchtbaren Reizen der
Einöde und schroffer Felsengegenden vereinigte.
Die schönsten Farben waren in den glücklichsten
Mischungen. Die Bergspitzen glänzten wie Lustfeuer
in ihren Eis- und Schneehüllen. Die Ebene lachte
im frischesten Grün. Die Ferne schmückte sich mit
allen Veränderungen von Blau, und aus der
Dunkelheit des Meeres wehten unzählige bunte
Wimpel von zahlreichen Flotten. Hier sah man einen
Schiffbruch im Hintergrunde, und vorne ein
ländliches fröhliches Mahl von Landleuten; dort
den schrecklich schönen Ausbruch eines Vulkans,
die Verwüstungen des Erdbebens, und im
Vordergrunde ein liebendes Paar unter schattenden
Bäumen in den süßesten Liebkosungen. Abwärts eine
fürchterliche Schlacht, und unter ihr ein Theater
voll der lächerlichsten Masken. Nach einer andern
Seite im Vordergrunde einen jugendlichen Leichnam
auf der Bahre, die ein trostloser Geliebter
festhielt, und die weinenden Eltern daneben; im
Hintergrunde eine liebliche Mutter mit dem Kinde
an der Brust und Engel sitzend zu ihren Füßen, und
aus den Zweigen über ihrem Haupte
herunterblickend. Die Szenen verwandelten sich
unaufhörlich, und flossen endlich in eine große
geheimnisvolle Vorstellung zusammen. Himmel und
Erde waren in vollem Aufruhr. Alle Schrecken waren
losgebrochen. Eine gewaltige Stimme rief zu den
Waffen. Ein entsetzliches Heer von Totengerippen,
mit schwarzen Fahnen, kam wie ein Sturm von
dunkeln Bergen herunter, und griff das Leben an,
das mit seinen jugendlichen Scharen in der hellen
Ebene in muntern Festen begriffen war, und sich
keines Angriffs versah. Es entstand ein
entsetzliches Getümmel, die Erde zitterte; der
Sturm brauste, und die Nacht ward von
fürchterlichen Meteoren erleuchtet. Mit unerhörten
Grausamkeiten zerriß das Heer der Gespenster die
zarten Glieder der Lebendigen. Ein Scheiterhaufen
türmte sich empor, und unter dem grausenvollsten
Geheul wurden die Kinder des Lebens von den
Flammen verzehrt. Plötzlich brach aus dem dunklen
Aschenhaufen ein milchblauer Strom nach allen
Seiten aus. Die Gespenster wollten die Flucht
ergreifen, aber die Flut wuchs zusehends, und
verschlang die scheußliche Brut. Bald waren alle
Schrecken vertilgt. Himmel und Erde flossen in
süße Musik zusammen. Eine wunderschöne Blume
schwamm glänzend auf den sanften Wogen. Ein
glänzender Bogen schloß sich über die Flut auf
welchem göttliche Gestalten auf prächtigen
Thronen, nach beiden Seiten herunter, saßen.
Sophie saß zuoberst, die Schale in der Hand,
neben einem herrlichen Manne, mit einem
Eichenkranze um die Locken, und einer
Friedenspalme statt des Szepters in der Rechten.
Ein Lilienblatt bog sich über den Kelch der
schwimmenden Blume; die kleine Fabel saß auf
demselben, und sang zur Harfe die süßesten Lieder.
In dem Kelche lag Eros selbst, über ein schönes
schlummerndes Mädchen hergebeugt, die ihn fest
umschlungen hielt. Eine kleinere Blüte schloß sich
um beide her, so daß sie von den Hüften an in Eine
Blume verwandelt zu sein schienen.
(RUB 8939, S. 130–133)
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