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Ginnistan tauschte ihre Gestalt mit der Mutter,
worüber der Vater sehr vergnügt zu sein schien;
der Schreiber freute sich, daß die beiden
fortgingen; besonders da ihm Ginnistan ihr
Taschenbuch zum Abschied schenkte, worin die
Chronik des Hauses umständlich aufgezeichnet war;
nur blieb ihm die kleine Fabel ein Dorn im Auge,
und er hätte, um seiner Ruhe und Zufriedenheit
willen, nichts mehr gewünscht, als daß auch sie
unter der Zahl der Abreisenden sein möchte. Sophie
segnete die Niederknieenden ein, und gab ihnen ein
Gefäß voll Wasser aus der Schale mit; die Mutter
war sehr bekümmert. Die kleine Fabel wäre gern
mitgegangen, und der Vater war zu sehr außer dem
Hause beschäftigt, als daß er lebhaften Anteil
hätte nehmen sollen. Es war Nacht, wie sie
abreisten, und der Mond stand hoch am Himmel.
›Lieber Eros‹, sagte Ginnistan, ›wir müssen eilen,
daß wir zu meinem Vater kommen, der mich lange
nicht gesehn und so sehnsuchtsvoll mich überall
auf der Erde gesucht hat. Siehst du wohl sein
bleiches abgehärmtes Gesicht? Dein Zeugnis wird
mich ihm in der fremden Gestalt kenntlich machen.‹
Die Liebe ging auf dunkler Bahn
Vom Monde nur erblickt,
Das Schattenreich war aufgetan
Und seltsam aufgeschmückt.
Ein blauer Dunst umschwebte sie
Mit einem goldnen Rand,
Und eilig zog die Phantasie
Sie über Strom und Land.
Es hob sich ihre volle Brust
In wunderbarem Mut;
Ein Vorgefühl der künftgen Lust
Besprach die wilde Glut.
Die Sehnsucht klagt' und wußt' es nicht,
Daß Liebe näher kam,
Und tiefer grub in ihr Gesicht
Sich hoffnungsloser Gram.
Die kleine Schlange blieb getreu:
Sie wies nach Norden hin,
Und beide folgten sorgenfrei
Der schönen Führerin.
Die Liebe ging durch Wüstenein
Und durch der Wolken Land,
Trat in den Hof des Mondes ein
Die Tochter an der Hand.
Er saß auf seinem Silberthron,
Allein mit seinem Harm;
Da hört' er seines Kindes Ton,
Und sank in ihren Arm.
(RUB 8939, S. 128–130)
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