[143.–144. Absatz]
»Du bist ja der Vater der Liebe«, sagte Heinrich,
indem er Mathilden umschlang, und beide seine Hand
küßten.
Klingsohr umarmte sie und ging hinaus. »Liebe
Mathilde«, sagte Heinrich nach einem langen Kusse,
»es ist mir wie ein Traum, daß du mein bist, aber
noch wunderbarer ist mir es, daß du es nicht immer
gewesen bist.« »Mich dünkt«, sagte Mathilde, »ich
kennte dich seit undenklichen Zeiten.« – »Kannst
du mich denn lieben?« – »Ich weiß nicht, was Liebe
ist, aber das kann ich dir sagen, daß mir ist, als
finge ich erst jetzt zu leben an, und daß ich dir
so gut bin, daß ich gleich für dich sterben
wollte.« – »Meine Mathilde, erst jetzt fühle ich,
was es heißt unsterblich zu sein.« – »Lieber
Heinrich, wie unendlich gut bist du, welcher
herrliche Geist spricht aus dir. Ich bin ein
armes, unbedeutendes Mädchen.« – »Wie du mich tief
beschämst! bin ich doch nur durch dich, was ich
bin. Ohne dich wäre ich nichts. Was ist ein Geist
ohne Himmel, und du bist der Himmel, der mich
trägt und erhält.« – »Welches selige Geschöpf wäre
ich, wenn du so treu wärst, wie mein Vater. Meine
Mutter starb kurz nach meiner Geburt; mein Vater
weint fast alle Tage noch um sie.« – »Ich verdiene
es nicht, aber möchte ich glücklicher sein, als
er.« – »Ich lebte gern recht lange an deiner
Seite, lieber Heinrich. Ich werde durch dich gewiß
viel besser.« – »Ach! Mathilde, auch der Tod wird
uns nicht trennen.« – »Nein Heinrich, wo ich bin,
wirst du sein.« – »Ja wo du bist, Mathilde, werd
ich ewig sein.« – »Ich begreife nichts von der
Ewigkeit, aber ich dächte, das müßte die Ewigkeit
sein, was ich empfinde, wenn ich an dich denke.« –
»Ja Mathilde, wir sind ewig weil wir uns lieben.«
– »Du glaubst nicht Lieber, wie inbrünstig ich
heute früh, wie wir nach Hause kamen, vor dem
Bilde der himmlischen Mutter niederkniete, wie
unsäglich ich zu ihr gebetet habe. Ich glaubte in
Tränen zu zerfließen. Es kam mir vor, als lächelte
sie mir zu. Nun weiß ich erst was Dankbarkeit
ist.« – »O Geliebte, der Himmel hat dich mir zur
Verehrung gegeben. Ich bete dich an. Du bist die
Heilige, die meine Wünsche zu Gott bringt, durch
die er sich mir offenbart, durch die er mir die
Fülle seiner Liebe kund tut. Was ist die Religion,
als ein unendliches Einverständnis, eine ewige
Vereinigung liebender Herzen? Wo zwei versammelt
sind, ist er ja unter ihnen. Ich habe ewig an dir
zu atmen; meine Brust wird nie aufhören dich in
sich zu ziehn. Du bist die göttliche Herrlichkeit,
das ewige Leben in der lieblichsten Hülle.« –
»Ach! Heinrich, du weißt das Schicksal der Rosen;
wirst du auch die welken Lippen, die bleichen
Wangen mit Zärtlichkeit an deine Lippen drücken?
Werden die Spuren des Alters nicht die Spuren der
vorübergegangenen Liebe sein?« – »O! könntest du
durch meine Augen in mein Gemüt sehn! aber du
liebst mich und so glaubst du mir auch. Ich
begreife das nicht, was man von der
Vergänglichkeit der Reize sagt. O! sie sind
unverwelklich. Was mich so unzertrennlich zu dir
zieht, was ein ewiges Verlangen in mir geweckt
hat, das ist nicht aus dieser Zeit. Könntest du
nur sehn, wie du mir erscheinst, welches
wunderbare Bild deine Gestalt durchdringt und mir
überall entgegen leuchtet, du würdest kein Alter
fürchten. Deine irdische Gestalt ist nur ein
Schatten dieses Bildes. Die irdischen Kräfte
ringen und quellen um es festzuhalten, aber die
Natur ist noch unreif; das Bild ist ein ewiges
Urbild, ein Teil der unbekannten heiligen Welt.« –
»Ich verstehe dich, lieber Heinrich, denn ich sehe
etwas Ähnliches, wenn ich dich anschaue.« – »Ja
Mathilde, die höhere Welt ist uns näher, als wir
gewöhnlich denken. Schon hier leben wir in ihr, und
wir erblicken sie auf das innigste mit der
irdischen Natur verwebt.« – »Du wirst mir noch
viel herrliche Sachen offenbaren, Geliebtester.« –
»O! Mathilde, von dir allein kommt mir die Gabe
der Weissagung. Alles ist ja dein, was ich habe;
deine Liebe wird mich in die Heiligtümer des
Lebens, in das Allerheiligste des Gemüts führen;
du wirst mich zu den höchsten Anschauungen
begeistern. Wer weiß, ob unsre Liebe nicht
dereinst noch zu Flammenfittichen wird, die uns
aufheben, und uns in unsre himmlische Heimat
tragen, ehe das Alter und der Tod uns erreichen.
Ist es nicht schon ein Wunder, daß du mein bist,
daß ich dich in meinen Armen halte, daß du mich
liebst und ewig mein sein willst?« – »Auch mir ist
jetzt alles glaublich, und ich fühle ja so
deutlich eine stille Flamme in mir lodern; wer
weiß ob sie uns nicht verklärt, und die irdischen
Banden allmählich auflöst. Sage mir nur, Heinrich,
ob du auch schon das grenzenlose Vertrauen zu mir
hast, was ich zu dir habe. Noch nie hab ich so
etwas gefühlt, selbst nicht gegen meinen Vater,
den ich doch so unendlich liebe.« – »Liebe
Mathilde, es peinigt mich ordentlich, daß ich dir
nicht alles auf einmal sagen, daß ich dir nicht
gleich mein ganzes Herz auf einmal hingeben kann.
Es ist auch zum erstenmal in meinem Leben, daß ich
ganz offen bin. Keinen Gedanken, keine Empfindung
kann ich vor dir mehr geheim haben; du mußt alles
wissen. Mein ganzes Wesen soll sich mit dem
deinigen vermischen. Nur die grenzenloseste
Hingebung kann meiner Liebe genügen. In ihr
besteht sie ja. Sie ist ja ein geheimnisvolles
Zusammenfließen unsers geheimsten und
eigentümlichsten Daseins.« – »Heinrich, so können
sich noch nie zwei Menschen geliebt haben.« – »Ich
kanns nicht glauben. Es gab ja noch keine
Mathilde.« – »Auch keinen Heinrich.« – »Ach!
schwör es mir noch einmal, daß du ewig mein bist;
die Liebe ist eine endlose Wiederholung.« – »Ja,
Heinrich, ich schwöre ewig dein zu sein, bei der
unsichtbaren Gegenwart meiner guten Mutter.« –
»Ich schwöre ewig dein zu sein, Mathilde, so wahr
die Liebe die Gegenwart Gottes bei uns ist.« Eine
lange Umarmung, unzählige Küsse besiegelten den
ewigen Bund des seligen Paars.
(RUB 8939, S. 118–120)
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