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Seine Mutter schickte eben herüber, um ihn zu
holen, und der Hausfrau des Ritters vorzustellen.
Die Ritter waren in ihr Gelag und ihre
Vorstellungen des bevorstehenden Zuges vertieft,
und bemerkten nicht, daß Heinrich sich entfernte.
Er fand seine Mutter in traulichem Gespräch mit
der alten, gutmütigen Frau des Schlosses, die ihn
freundlich bewillkommte. Der Abend war heiter; die
Sonne begann sich zu neigen, und Heinrich, der
sich nach Einsamkeit sehnte, und von der goldenen
Ferne gelockt wurde, die durch die engen, tiefen
Bogenfenster in das düstre Gemach hineintrat,
erhielt leicht die Erlaubnis, sich außerhalb des
Schlosses besehen zu dürfen.
Er eilte ins Freie, sein ganzes Gemüt war rege, er
sah von der Höhe des alten Felsen zunächst in das
waldige Tal, durch das ein Bach herunterstürzte
und einige Mühlen trieb, deren Geräusch man kaum
aus der gewaltigen Tiefe vernehmen konnte, und
dann in eine unabsehliche Ferne von Bergen,
Wäldern und Niederungen, und seine innere Unruhe
wurde besänftigt. Das kriegerische Getümmel verlor
sich, und es blieb nur eine klare bilderreiche
Sehnsucht zurück. Er fühlte, daß ihm eine Laute
mangelte, so wenig er auch wußte, wie sie
eigentlich gebaut sei, und welche Wirkung sie
hervorbringe. Das heitere Schauspiel des
herrlichen Abends wiegte ihn in sanfte Phantasieen:
die Blume seines Herzens ließ sich zuweilen, wie
ein Wetterleuchten in ihm sehn. – Er schweifte
durch das wilde Gebüsch und kletterte über
bemooste Felsenstücke, als auf einmal aus einer
nahen Tiefe ein zarter eindringender Gesang einer
weiblichen Stimme von wunderbaren Tönen begleitet,
erwachte. Es war ihm gewiß, daß es eine Laute sei;
er blieb verwunderungsvoll stehen, und hörte in
gebrochner deutscher Aussprache folgendes Lied:
Bricht das matte Herz noch immer
Unter fremdem Himmel nicht?
Kommt der Hoffnung bleicher Schimmer
Immer mir noch zu Gesicht?
Kann ich wohl noch Rückkehr wähnen?
Stromweis stürzen meine Tränen,
Bis mein Herz in Kummer bricht.
Könnt ich dir die Myrten zeigen
Und der Zeder dunkles Haar!
Führen dich zum frohen Reigen
Der geschwisterlichen Schar!
Sähst du im gestickten Kleide,
Stolz im köstlichen Geschmeide
Deine Freundin, wie sie war.
Edle Jünglinge verneigen
Sich mit heißem Blick vor ihr;
Zärtliche Gesänge steigen
Mit dem Abendstern zu mir.
Dem Geliebten darf man trauen;
Ewge Lieb und Treu den Frauen,
Ist der Männer Losung hier.
Hier, wo um kristallne Quellen
Liebend sich der Himmel legt,
Und mit heißen Balsamwellen
Um den Hain zusammenschlägt,
Der in seinen Lustgebieten,
Unter Früchten, unter Blüten
Tausend bunte Sänger hegt.
Fern sind jene Jugendträume!
Abwärts liegt das Vaterland!
Längst gefällt sind jene Bäume,
Und das alte Schloß verbrannt.
Fürchterlich, wie Meereswogen
Kam ein rauhes Heer gezogen,
Und das Paradies verschwand.
Fürchterliche Gluten flossen
In die blaue Luft empor,
Und es drang auf stolzen Rossen
Eine wilde Schar ins Tor.
Säbel klirrten, unsre Brüder,
Unser Vater kam nicht wieder,
Und man riß uns wild hervor.
Meine Augen wurden trübe;
Fernes, mütterliches Land,
Ach, sie blieben dir voll Liebe
Und voll Sehnsucht zugewandt!
Wäre nicht dies Kind vorhanden,
Längst hätt ich des Lebens Banden
Aufgelöst mit kühner Hand.
(RUB 8939, S. 54–56)
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