[42. Absatz]
Er empfing die Ankommenden mit brüderlicher
Herzlichkeit, mitten unter lärmenden Genossen. Die
Mutter ward zur Hausfrau geführt. Die Kaufleute
und Heinrich mußten sich an die lustige Tafel
setzen, wo der Becher tapfer umherging. Heinrichen
ward auf vieles Bitten in Rücksicht seiner Jugend
das jedesmalige Bescheidtun erlassen, dagegen die
Kaufleute sich nicht faul finden, sondern sich den
alten Frankenwein tapfer schmecken ließen. Das
Gespräch lief über ehmalige Kriegsabenteuer hin.
Heinrich hörte mit großer Aufmerksamkeit den neuen
Erzählungen zu. Die Ritter sprachen vom Heiligen
Lande, von den Wundern des Heiligen Grabes, von
den Abenteuern ihres Zuges, und ihrer Seefahrt,
von den Sarazenen, in deren Gewalt einige geraten
gewesen waren, und dem fröhlichen und wunderbaren
Leben im Felde und im Lager. Sie äußerten mit
großer Lebhaftigkeit ihren Unwillen jene
himmlische Geburtsstätte der Christenheit noch im
frevelhaften Besitz der Ungläubigen zu wissen. Sie
erhoben die großen Helden, die sich eine ewige
Krone durch ihr tapfres, unermüdliches Bezeigen
gegen dieses ruchlose Volk erworben hätten. Der
Schloßherr zeigte das kostbare Schwert, was er
einem Anführer derselben mit eigner Hand
abgenommen, nachdem er sein Kastell erobert, ihn
getötet, und seine Frau und Kinder zu Gefangenen
gemacht, welches ihm der Kaiser in seinem Wappen
zu führen vergönnet hatte. Alle besahen das
prächtige Schwert, auch Heinrich nahm es in seine
Hand, und fühlte sich von einer kriegerischen
Begeisterung ergriffen. Er küßte es mit
inbrünstiger Andacht. Die Ritter freuten sich über
seinen Anteil. Der Alte umarmte ihn, und munterte
ihn auf, auch seine Hand auf ewig der Befreiung
des Heiligen Grabes zu widmen, und das
wundertätige Kreuz auf seine Schultern befestigen
zu lassen. Er war überrascht, und seine Hand
schien sich nicht von dem Schwerte losmachen zu
können. »Besinne dich, mein Sohn«, rief der alte
Ritter. »Ein neuer Kreuzzug ist vor der Tür. Der
Kaiser selbst wird unsere Scharen in das
Morgenland führen. Durch ganz Europa schallt von
neuem der Ruf des Kreuzes, und heldenmütige
Andacht regt sich aller Orten. Wer weiß, ob wir
nicht übers Jahr in der großen weltherrlichen
Stadt Jerusalem als frohe Sieger beieinander
sitzen, und uns bei vaterländischem Wein an unsere
Heimat erinnern. Du kannst auch bei mir ein
morgenländisches Mädchen sehn. Sie dünken uns
Abendländern gar anmutig, und wenn du das Schwert
gut zu führen verstehst, so kann es dir an schönen
Gefangenen nicht fehlen.« Die Ritter sangen mit
lauter Stimme den Kreuzgesang, der damals in ganz
Europa gesungen wurde:
Das Grab steht unter wilden Heiden;
Das Grab, worin der Heiland lag,
Muß Frevel und Verspottung leiden
Und wird entheiligt jeden Tag.
Es klagt heraus mit dumpfer Stimme:
»Wer rettet mich von diesem Grimme!«
Wo bleiben seine Heldenjünger?
Verschwunden ist die Christenheit!
Wer ist des Glaubens Wiederbringer?
Wer nimmt das Kreuz in dieser Zeit?
Wer bricht die schimpflichsten der Ketten,
Und wird das Heilge Grab erretten?
Gewaltig geht auf Land und Meeren
In tiefer Nacht ein heilger Sturm;
Die trägen Schläfer aufzustören,
Umbraust er Lager, Stadt und Turm,
Ein Klaggeschrei um alle Zinnen:
»Auf, träge Christen, zieht von hinnen.«
Es lassen Engel aller Orten
Mit ernstem Antlitz stumm sich sehn,
Und Pilger sieht man vor den Pforten
Mit kummervollen Wangen stehn;
Sie klagen mit den bängsten Tönen
Die Grausamkeit der Sarazenen.
Es bricht ein Morgen, rot und trübe,
Im weiten Land der Christen an.
Der Schmerz der Wehmut und der Liebe
Verkündet sich bei jedermann.
Ein jedes greift nach Kreuz und Schwerte
Und zieht entflammt von seinem Herde.
Ein Feuereifer tobt im Heere,
Das Grab des Heilands zu befrein.
Sie eilen fröhlich nach dem Meere,
Um bald auf heilgem Grund zu sein.
Auch Kinder kommen noch gelaufen
Und mehren den geweihten Haufen.
Hoch weht das Kreuz im Siegspaniere,
Und alte Helden stehn voran.
Des Paradieses selge Türe
Wird frommen Kriegern aufgetan;
Ein jeder will das Glück genießen
Sein Blut für Christus zu vergießen.
Zum Kampf ihr Christen! Gottes Scharen
Ziehn mit in das Gelobte Land.
Bald wird der Heiden Grimm erfahren
Des Christengottes Schreckenshand.
Wir waschen bald in frohem Mute
Das Heilige Grab mit Heidenblute.
Die heilge Jungfrau schwebt, getragen
Von Engeln, ob der wilden Schlacht,
Wo jeder, den das Schwert geschlagen,
In ihrem Mutterarm erwacht.
Sie neigt sich mit verklärter Wange
Herunter zu dem Waffenklange.
Hinüber zu der heilgen Stätte!
Des Grabes dumpfe Stimme tönt!
Bald wird mit Sieg und mit Gebete
Die Schuld der Christenheit versöhnt!
Das Reich der Heiden wird sich enden,
Ist erst das Grab in unsern Händen.
(RUB 8939, S. 51–54)
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