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Ein wilder Mandelstrauch hing mit Früchten beladen
in die Höhle hinein, und ein nahes Rieseln ließ
sie frisches Wasser zur Stillung ihres Durstes
finden. Die Laute hatte der Jüngling mitgenommen,
und sie gewährte ihnen jetzt eine aufheiternde und
beruhigende Unterhaltung bei dem knisternden
Feuer. Eine höhere Macht schien den Knoten
schneller lösen zu wollen, und brachte sie unter
sonderbaren Umständen in diese romantische Lage.
Die Unschuld ihrer Herzen, die zauberhafte
Stimmung ihrer Gemüter, und die verbundene
unwiderstehliche Macht ihrer süßen Leidenschaft
und ihrer Jugend ließ sie bald die Welt und ihre
Verhältnisse vergessen, und wiegte sie unter dem
Brautgesange des Sturms und den Hochzeitfackeln
der Blitze in den süßesten Rausch ein, der je ein
sterbliches Paar beseligt haben mag. Der Anbruch
des lichten blauen Morgens war für sie das
Erwachen in einer neuen seligen Welt. Ein Strom
heißer Tränen, der jedoch bald aus den Augen der
Prinzessin hervorbrach, verriet ihrem Geliebten
die erwachenden tausendfachen Bekümmernisse ihres
Herzens. Er war in dieser Nacht um mehrere Jahre
älter, aus einem Jünglinge zum Manne geworden. Mit
überschwenglicher Begeisterung tröstete er seine
Geliebte, erinnerte sie an die Heiligkeit der
wahrhaften Liebe, und an den hohen Glauben, den
sie einflöße, und bat sie, die heiterste Zukunft
von dem Schutzgeist ihres Herzens mit Zuversicht
zu erwarten. Die Prinzessin fühlte die Wahrheit
seines Trostes, und entdeckte ihm, sie sei die
Tochter des Königs, und nur bange wegen des
Stolzes und der Bekümmernisse ihres Vaters. Nach
langen reiflichen Überlegungen wurden sie über die
zu fassende Entschließung einig, und der Jüngling
machte sich sofort auf den Weg, um seinen Vater
aufzusuchen, und diesen mit ihrem Plane bekannt zu
machen. Er versprach in kurzen wieder bei ihr zu
sein, und verließ sie beruhigt und in süßen
Vorstellungen der künftigen Entwickelung dieser
Begebenheiten. Der Jüngling hatte bald seines
Vaters Wohnung erreicht, und der Alte war sehr
erfreut, ihn unverletzt ankommen zu sehen. Er
erfuhr nun die Geschichte und den Plan der
Liebenden, und bezeigte sich nach einigem
Nachdenken bereitwillig ihn zu unterstützen. Sein
Haus lag ziemlich versteckt, und hatte einige
unterirdische Zimmer, die nicht leicht aufzufinden
waren. Hier sollte die Wohnung der Prinzessin
sein. Sie ward also in der Dämmerung abgeholt, und
mit tiefer Rührung von dem Alten empfangen. Sie
weinte nachher oft in der Einsamkeit, wenn sie
ihres traurigen Vaters gedachte: doch verbarg sie
ihren Kummer vor ihrem Geliebten, und sagte es nur
dem Alten, der sie freundlich tröstete, und ihr
die nahe Rückkehr zu ihrem Vater vorstellte.
(RUB 8939, S. 41–42)
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