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Mitten in diesem irdischen Paradiese schien jedoch
ein geheimnisvolles Schicksal zu schweben. Die
einzige Sorge der Bewohner dieser Gegenden betraf
die Vermählung der aufblühenden Prinzessin, von
der die Fortdauer dieser seligen Zeiten und das
Verhängnis des ganzen Landes abhing. Der König
ward immer älter. Ihm selbst schien diese Sorge
lebhaft am Herzen zu liegen, und doch zeigte sich
keine Aussicht zu einer Vermählung für sie, die
allen Wünschen angemessen gewesen wäre. Die
heilige Ehrfurcht für das königliche Haus erlaubte
keinem Untertan, an die Möglichkeit zu denken, die
Prinzessin zu besitzen. Man betrachtete sie wie
ein überirdisches Wesen, und alle Prinzen aus
andern Ländern, die sich mit Ansprüchen auf sie am
Hofe gezeigt hatten, schienen so tief unter ihr zu
sein, daß kein Mensch auf den Einfall kam, die
Prinzessin oder der König werde die Augen auf
einen unter ihnen richten. Das Gefühl des
Abstandes hatte sie auch allmählich alle
verscheucht, und das ausgesprengte Gerücht des
ausschweifenden Stolzes dieser königlichen Familie
schien andern alle Lust zu benehmen, sich
ebenfalls gedemütigt zu sehn. Ganz ungegründet war
auch dieses Gerücht nicht. Der König war bei aller
Milde beinah unwillkürlich in ein Gefühl der
Erhabenheit geraten, was ihm jeden Gedanken an die
Verbindung seiner Tochter mit einem Manne von
niedrigerem Stande und dunklerer Herkunft
unmöglich oder unerträglich machte. Ihr hoher,
einziger Wert hatte jenes Gefühl in ihm immer mehr
bestätigt. Er war aus einer uralten
morgenländischen Königsfamilie entsprossen. Seine
Gemahlin war der letzte Zweig der Nachkommenschaft
des berühmten Helden Rustan gewesen. Seine Dichter
hatten ihm unaufhörlich von seiner Verwandtschaft
mit den ehemaligen übermenschlichen Beherrschern
der Welt vorgesungen, und in dem Zauberspiegel
ihrer Kunst war ihm der Abstand seiner Herkunft
von dem Ursprunge der andern Menschen, die
Herrlichkeit seines Stammes noch heller
erschienen, so daß es ihn dünkte, nur durch die
edlere Klasse der Dichter mit dem übrigen
Menschengeschlechte zusammenzuhängen. Vergebens
sah er sich mit voller Sehnsucht nach einem
zweiten Rustan um, indem er fühlte, daß das Herz
seiner aufblühenden Tochter, der Zustand seines
Reichs, und sein zunehmendes Alter ihre Vermählung
in aller Absicht sehr wünschenswert machten.
(RUB 8939, S. 32–33)
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