[17. Absatz]
In wehmütiger Stimmung verließ Heinrich seinen
Vater und seine Geburtsstadt. Es ward ihm jetzt
erst deutlich, was Trennung sei; die Vorstellungen
von der Reise waren nicht von dem sonderbaren
Gefühle begleitet gewesen, was er jetzt empfand,
als zuerst seine bisherige Welt von ihm gerissen
und er wie auf ein fremdes Ufer gespült ward.
Unendlich ist die jugendliche Trauer bei dieser
ersten Erfahrung der Vergänglichkeit der irdischen
Dinge, die dem unerfahrnen Gemüt so notwendig, und
unentbehrlich, so fest verwachsen mit dem
eigentümlichsten Dasein und so unveränderlich, wie
dieses, vorkommen müssen. Eine erste Ankündigung
des Todes, bleibt die erste Trennung unvergeßlich,
und wird, nachdem sie lange wie ein nächtliches
Gesicht den Menschen beängstigt hat, endlich bei
abnehmender Freude an den Erscheinungen des Tages,
und zunehmender Sehnsucht nach einer bleibenden
sichern Welt, zu einem freundlichen Wegweiser und
einer tröstenden Bekanntschaft. Die Nähe seiner
Mutter tröstete den Jüngling sehr. Die alte Welt
schien noch nicht ganz verloren, und er umfaßte
sie mit verdoppelter Innigkeit. Es war früh am Tage,
als die Reisenden aus den Toren von Eisenach
fortritten, und die Dämmerung begünstigte
Heinrichs gerührte Stimmung. Je heller es ward,
desto bemerklicher wurden ihm die neuen
unbekannten Gegenden; und als auf einer Anhöhe die
verlassene Landschaft von der aufgehenden Sonne
auf einmal erleuchtet wurde, so fielen dem
überraschten Jüngling alte Melodien seines Innern
in den trüben Wechsel seiner Gedanken ein. Er sah
sich an der Schwelle der Ferne, in die er oft
vergebens von den nahen Bergen geschaut, und die
er sich mit sonderbaren Farben ausgemalt hatte. Er
war im Begriff, sich in ihre blaue Flut zu
tauchen. Die Wunderblume stand vor ihm, und er sah
nach Thüringen, welches er jetzt hinter sich ließ,
mit der seltsamen Ahndung hinüber, als werde er
nach langen Wanderungen von der Weltgegend her,
nach welcher sie jetzt reisten, in sein Vaterland
zurückkommen, und als reise er daher diesem
eigentlich zu. Die Gesellschaft, die anfänglich
aus ähnlichen Ursachen still gewesen war, fing
nachgerade an aufzuwachen, und sich mit allerhand
Gesprächen und Erzählungen die Zeit zu verkürzen.
Heinrichs Mutter glaubte ihren Sohn aus den
Träumereien reißen zu müssen, in denen sie ihn
versunken sah, und fing an ihm von ihrem
Vaterlande zu erzählen, von dem Hause ihres Vaters
und dem fröhlichen Leben in Schwaben. Die
Kaufleute stimmten mit ein, und bekräftigten die
mütterlichen Erzählungen, rühmten die Gastfreiheit
des alten Schwaning, und konnten nicht aufhören,
die schönen Landsmänninnen ihrer Reisegefährtin zu
preisen. »Ihr tut wohl«, sagten sie, »daß Ihr
Euren Sohn dorthin führt. Die Sitten Eures
Vaterlandes sind milder und gefälliger. Die
Menschen wissen das Nützliche zu befördern, ohne
das Angenehme zu verachten. Jedermann sucht seine
Bedürfnisse auf eine gesellige und reizende Art zu
befriedigen. Der Kaufmann befindet sich wohl
dabei, und wird geehrt. Die Künste und Handwerke
vermehren und veredeln sich, den Fleißigen dünkt
die Arbeit leichter, weil sie ihm zu mannigfachen
Annehmlichkeiten verhilft, und er, indem er eine
einförmige Mühe übernimmt, sicher ist, die bunten
Früchte mannigfacher und belohnender
Beschäftigungen dafür mitzugenießen. Geld,
Tätigkeit und Waren erzeugen sich gegenseitig, und
treiben sich in raschen Kreisen, und das Land und
die Städte blühen auf. Je eifriger der Erwerbfleiß
die Tage benutzt, desto ausschließlicher ist der
Abend den reizenden Vergnügungen der schönen
Künste und des geselligen Umgangs gewidmet. Das
Gemüt sehnt sich nach Erholung und Abwechselung,
und wo sollte es diese auf eine anständigere und
reizendere Art finden, als in der Beschäftigung
mit den freien Spielen und Erzeugnissen seiner
edelsten Kraft, des bildenden Tiefsinns. Nirgends
hört man so anmutige Sänger, findet so herrliche
Maler, und nirgends sieht man auf den Tanzsälen
leichtere Bewegungen und lieblichere Gestalten.
Die Nachbarschaft von Welschland zeigt sich in dem
ungezwungenen Betragen und den einnehmenden
Gesprächen. Euer Geschlecht darf die
Gesellschaften schmücken, und ohne Furcht vor
Nachrede mit holdseligem Bezeigen einen lebhaften
Wetteifer, seine Aufmerksamkeit zu fesseln,
erregen. Die rauhe Ernsthaftigkeit und die wilde
Ausgelassenheit der Männer macht einer milden
Lebendigkeit und sanfter bescheidner Freude Platz,
und die Liebe wird in tausendfachen Gestalten der
leitende Geist der glücklichen Gesellschaften.
Weit entfernt, daß Ausschweifungen und unziemende
Grundsätze dadurch sollten herbeigelockt werden,
scheint es, als flöhen die bösen Geister die Nähe
der Anmut, und gewiß sind in ganz Deutschland
keine unbescholtenere Mädchen und keine treuere
Frauen, als in Schwaben.
(RUB 8939, S. 20–23)
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