Erstes Kapitel
[2. Absatz]
Die Eltern lagen schon und schliefen, die Wanduhr
schlug ihren einförmigen Takt, vor den klappernden
Fenstern sauste der Wind; abwechselnd wurde die
Stube hell von dem Schimmer des Mondes. Der
Jüngling lag unruhig auf seinem Lager, und
gedachte des Fremden und seiner Erzählungen.
»Nicht die Schätze sind es, die ein so
unaussprechliches Verlangen in mir geweckt haben«,
sagte er zu sich selbst; »fern ab liegt mir alle
Habsucht: aber die blaue Blume sehn ich mich zu
erblicken. Sie liegt mir unaufhörlich im Sinn, und
ich kann nichts anders dichten und denken. So ist
mir noch nie zumute gewesen: es ist, als hätt ich
vorhin geträumt, oder ich wäre in eine andere Welt
hinübergeschlummert; denn in der Welt, in der ich
sonst lebte, wer hätte da sich um Blumen
bekümmert, und gar von einer so seltsamen
Leidenschaft für eine Blume hab ich damals nie
gehört. Wo eigentlich nur der Fremde herkam?
Keiner von uns hat je einen ähnlichen Menschen
gesehn; doch weiß ich nicht, warum nur ich von
seinen Reden so ergriffen worden bin; die andern
haben ja das nämliche gehört, und keinem ist so
etwas begegnet. Daß ich auch nicht einmal von
meinem wunderlichen Zustande reden kann! Es ist
mir oft so entzückend wohl, und nur dann, wenn ich
die Blume nicht recht gegenwärtig habe, befällt
mich so ein tiefes, inniges Treiben: das kann und
wird keiner verstehn. Ich glaubte, ich wäre
wahnsinnig, wenn ich nicht so klar und hell sähe
und dächte, mir ist seitdem alles viel bekannter.
Ich hörte einst von alten Zeiten reden; wie da die
Tiere und Bäume und Felsen mit den Menschen
gesprochen hätten. Mir ist grade so, als wollten
sie allaugenblicklich anfangen, und als könnte ich
es ihnen ansehen, was sie mir sagen wollten. Es
muß noch viel Worte geben, die ich nicht weiß:
wüßte ich mehr, so könnte ich viel besser alles
begreifen. Sonst tanzte ich gern; jetzt denke ich
lieber nach der Musik.« Der Jüngling verlor sich
allmählich in süßen Phantasien und entschlummerte.
Da träumte ihm erst von unabsehlichen Fernen, und
wilden, unbekannten Gegenden. Er wanderte über
Meere mit unbegreiflicher Leichtigkeit;
wunderliche Tiere sah er; er lebte mit
mannigfaltigen Menschen, bald im Kriege, in wildem
Getümmel, in stillen Hütten. Er geriet in
Gefangenschaft und die schmählichste Not. Alle
Empfindungen stiegen bis zu einer niegekannten
Höhe in ihm. Er durchlebte ein unendlich buntes
Leben; starb und kam wieder, liebte bis zur
höchsten Leidenschaft, und war dann wieder auf
ewig von seiner Geliebten getrennt. Endlich gegen
Morgen, wie draußen die Dämmerung anbrach, wurde
es stiller in seiner Seele, klarer und bleibender
wurden die Bilder. Es kam ihm vor, als ginge er in
einem dunkeln Walde allein. Nur selten schimmerte
der Tag durch das grüne Netz. Bald kam er vor eine
Felsenschlucht, die bergan stieg. Er mußte über
bemooste Steine klettern, die ein ehemaliger Strom
herunter gerissen hatte. Je höher er kam, desto
lichter wurde der Wald. Endlich gelangte er zu
einer kleinen Wiese, die am Hange des Berges lag.
Hinter der Wiese erhob sich eine hohe Klippe, an
deren Fuß er eine Öffnung erblickte, die der
Anfang eines in den Felsen gehauenen Ganges zu
sein schien. Der Gang führte ihn gemächlich eine
Zeitlang eben fort, bis zu einer großen Weitung,
aus der ihm schon von fern ein helles Licht
entgegen glänzte. Wie er hineintrat, ward er einen
mächtigen Strahl gewahr, der wie aus einem
Springquell bis an die Decke des Gewölbes stieg,
und oben in unzählige Funken zerstäubte, die sich
unten in einem großen Becken sammelten; der Strahl
glänzte wie entzündetes Gold; nicht das mindeste
Geräusch war zu hören, eine heilige Stille umgab
das herrliche Schauspiel. Er näherte sich dem
Becken, das mit unendlichen Farben wogte und
zitterte. Die Wände der Höhle waren mit dieser
Flüssigkeit überzogen, die nicht heiß, sondern
kühl war, und an den Wänden nur ein mattes,
bläuliches Licht von sich warf. Er tauchte seine
Hand in das Becken und benetzte seine Lippen. Es
war, als durchdränge ihn ein geistiger Hauch, und
er fühlte sich innigst gestärkt und erfrischt. Ein
unwiderstehliches Verlangen ergriff ihn sich zu
baden, er entkleidete sich und stieg in das
Becken. Es dünkte ihn, als umflösse ihn eine Wolke
des Abendrots; eine himmlische Empfindung
überströmte sein Inneres; mit inniger Wollust
strebten unzählbare Gedanken in ihm sich zu
vermischen; neue, niegesehene Bilder entstanden,
die auch ineinander flossen und zu sichtbaren Wesen
um ihn wurden, und jede Welle des lieblichen
Elements schmiegte sich wie ein zarter Busen an
ihn. Die Flut schien eine Auflösung reizender
Mädchen, die an dem Jünglinge sich augenblicklich
verkörperten.
(RUB 8939, S. 9–11)
Zueignung
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[3. Absatz]
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