Aquarium - Titelseite
·AQUARIUM·
Novalis im Netz

 Titelseite

 Werk

 Neue Bücher

 Porträts

 Autographen

 19. Jh.

 Sekundäres

 Zeittafel

 Suche

 Weißenfels

 Links

 

Archives françaises
English TOC
Índice español
Indice italiano
Sie sind hier:
Aquarium > Wirkungsgeschichte im 19. Jahrhundert > Thomas Carlyle: Novalis (1829) > [IV. Die Lehrlinge zu Sais]

Andere Sprachen: English

Thomas Carlyle: Novalis (1829). In: Thomas Carlyle's ausgewählte Schriften. Deutsch von A. Kretzschmar. Zweiter Band. Voltaire. – Diderot. – Novalis. – Charakteristiken. Leipzig: Otto Wigand 1855. S. 154-210, hier S. 182-190.

[Seite 182:]

Der erste Auszug, den wir mittheilen, ist aus den schon oben erwähnten »Lehrlingen zu Sais.« Dieser »physikalische Roman«, welcher

[Seite 183:]

übrigens keine Geschichte oder Andeutung einer Geschichte, sondern nur poetisirte philosophische Reden und die seltsamsten, dunkel allegorischen Anspielungen enthält, übrigens nur zwei Kapitel lang ist, beginnt ohne weitere Einleitung auf folgende eigenthümliche Weise.

1.
»Der Lehrling.

Mannigfache Wege gehen die Menschen. Wer sie verfolgt und vergleicht, wird wunderliche Figuren entstehen sehen; Figuren, die zu jener großen Chiffernschrift zu gehören scheinen, die man überall, auf Flügeln, Eierschalen, in Wolken, im Schnee, in Krystallen und in Steinbildungen, auf gefrierenden Wassern, im Innern und Aeußern der Gebirge, der Pflanzen, der Thiere, der Menschen, in den Lichtern des Himmels, auf berührten und gestrichenen Scheiben von Pech und Glas, in den Feilspänen um den Magnet her und sonderbaren Conjuncturen des Zufalls erblickt. In ihnen ahndet man den Schlüssel dieser Wunderschrift, die Sprachlehre derselben, allein die Ahndung will sich selbst in keine festen Formen fügen und scheint kein höherer Schlüssel werden zu wollen. Ein Alcahest scheint über die Sinne der Menschen ausgegossen zu sein. Nur augenblicklich scheinen ihre Wünsche, ihre Gedanken sich zu verdichten. So entstehen ihre Ahndungen, aber nach kurzen Zeiten schwimmt alles wieder wie vorher vor ihren Blicken.

Von weitem hört' ich sagen: die Unverständlichkeit sei Folge nur des Unverstandes; dieser suche, was er habe und also niemals weiter finden könne. Man verstehe die Sprache nicht, weil sich die Sprache selber nicht verstehe, nicht verstehen wolle; die ächte Sanscrit spräche, um zu sprechen, weil Sprechen ihre Lust und ihr Wesen sei.

Nicht lange darauf sprach einer: Keiner Erklärung bedarf die heilige Schrift. Wer wahrhaft spricht, ist des ewigen Lebens voll und wunderbar verwandt mit ächten Geheimnissen dünkt uns seine Schrift, denn sie ist ein Accord aus des Weltalls Symphonie.

Von unserm Lehrer sprach gewiß die Stimme, denn er versteht die Züge zu versammeln, die überall zerstreut sind. Ein eigenes Licht entzündet sich in seinen Blicken, wenn vor uns nun die hohe Rune liegt und er in unsern Augen späht, ob auch in uns aufgegangen ist das Gestirn, das die Figur sichtbar und verständlich macht. Sieht er uns traurig, daß die Nacht

[Seite 184:]

nicht weicht, so tröstet er uns und verheißt dem emsigen treuen Seher künftiges Glück. Oft hat er uns erzählt, wie ihm als Kind der Trieb die Sinne zu üben, zu beschäftigen und zu erfüllen, keine Ruhe ließ. Den Sternen sah er zu und ahmte ihre Züge, ihre Stellungen im Sande nach. Ins Luftmeer sah er ohne Rast und ward nicht müde, seine Klarheit, seine Bewegungen, seine Wolken, seine Lichter zu betrachten. Er sammelte sich Steine, Blumen, Käfer aller Art und legte sie auf mannigfache Weise sich in Reihen. Auf Menschen und auf Thiere gab er Acht, am Strande des Meeres saß er, suchte Muscheln. Auf sein Gemüth und seine Gedanken lauschte er sorgsam. Er wußte nicht, wohin ihn seine Sehnsucht trieb. Wie er größer ward, strich er umher, besah sich andere Länder, andere Meere, neue Lüfte, fremde Sterne, unbekannte Pflanzen, Thiere, Menschen; stieg in Höhlen, sah, wie in Banken und in bunten Schichten der Erde Bau vollführt war und drückte Thon in sonderbare Felsenbilder. Nun fand er überall Bekanntes wieder, nur wunderlich gemischt, gepaart und also ordneten sich selbst in ihm oft seltsame Dinge. Er merkte bald auf die Verbindungen in allem, auf Begegnungen, Zusammentreffungen. Nun sah er bald nichts mehr allein. In große bunte Bilder drängten sich die Wahrnehmungen seiner Sinne: er hörte, sah, tastete und dachte zugleich. Er freute sich, Fremdlinge zusammenzubringen. Bald waren ihm die Sterne Menschen, bald die Menschen Sterne, die Steine Thiere, die Wolken Pflanzen, er spielte mit den Kräften und Erscheinungen, er wußte, wo und wie er dies und jenes finden und erscheinen lassen konnte und griff so selbst in den Seiten nach Tönen und Gängen umher.

Was nun seitdem aus ihm geworden ist, thut er nicht kund. Er sagt uns, daß wir selbst, von ihm und eigner Lust geführt, entdecken würden, was mit ihm vorgegangen sei. Mehrere von uns sind von ihm gewichen. Sie kehrten zu ihren Eltern zurück und lernten ein Gewerbe treiben. Einige sind von ihm ausgesendet worden, wir wissen nicht wohin; er suchte sie aus. Von ihnen waren einige nur kurze Zeit erst da, die andern länger. Eins war ein Kind noch, es war kaum da, so wollte er ihm den Unterricht übergeben. Es hatte große dunkle Augen mit himmelblauem Grunde, wie Lilien glänzte seine Haut und seine Locken wie lichte Wölkchen, wenn der Abend kommt. Die Stimme drang uns allen durch das Herz, wir hätten ihm unsere Blumen, Steine, Federn, alles gern geschenkt. Es lächelte unendlich ernst, und uns ward seltsam wohl mit ihm zu Muthe. Einst

[Seite 185:]

wird er wiederkommen, sagte der Lehrer, und unter uns wohnen, dann hören die Lehrstunden auf. – Einen schickte er mit ihm fort, der hat uns oft gedauert. Immer traurig sah er aus, lange Jahre war er hier, ihm glückte nichts, er fand nicht leicht, wenn wir Krystalle suchten oder Blumen. In die Ferne sah er schlecht, bunte Reihen gut zu legen wußte er nicht. Er zerbrach alles so leicht. Doch hatte keiner einen solchen Trieb und solche Lust am Sehen und Hören. Seit einer Zeit – vorher, ehe jenes Kind in unsern Kreis trat – ward er auf einmal heiter und geschickt. Eines Tages war er traurig ausgegangen, er kam nicht wieder, und die Nacht brach ein. Wir waren seinetwegen sehr in Sorgen; auf einmal, wie des Morgens Dämmerung kam, hörten wir in einem nahen Haine seine Stimme. Er sang ein hohes frohes Lied; wir wunderten uns alle; der Lehrer sah mit einem Blick nach Morgen, wie ich ihn wohl nie wieder sehen werde. In unsere Mitte trat er bald und brachte, mit unaussprechlicher Seligkeit im Antlitz ein unscheinbares Steinchen von seltsamer Gestalt. Der Lehrer nahm es in die Hand und küßte ihn lange, dann sah er uns mit nassen Augen an und legte dieses Steinchen auf einen leeren Platz, der mitten unter andern Steinen lag, gerade wo, wie Strahlen, viele Reihen sich berührten.

Ich werde diese Augenblicke nie fortan vergessen. Und zwar als hätten wir im Vorübergehen eine helle Ahnung dieser wunderbaren Welt in unsern Seelen gehabt.«

Der umsichtige Leser wird schon von selbst vermuthen, daß in diesen seltsamen orientalischen Zeichnungen mehr liegen soll, als darin ausgesprochen ist. Wer aber dieser Lehrer in Sais ist, ob die personifizirte Intelligenz der Menschheit, wer jenes schöne, goldlockige Kind (Vernunft, religiöser Glaube?), welches »wiederkommen« sollte, um diese Lehrstunden zu beenden, und wer der unbeholfene, unermüdliche Mann (der Verstand?) ist, der »so leicht alles zerbrach«, darüber erhalten wir nirgends Aufschluß und getrauen uns nicht, bestimmte Vermuthungen darüber auszusprechen.

Wir lassen hier noch ein Bruchstück aus dem zweiten Kapitel oder Abschnitt, »die Natur« überschrieben, folgen, welches womöglich von noch wunderbarerer Art ist als das erste.

Nachdem der »Lehrling« ausführlich über die uranfänglichen Meinungen gesprochen, welche der Mensch in Bezug auf die Außenwelt oder die »mannigfachen Gegenstände seiner Sinne« gebildet zu haben scheint und

[Seite 186:]

wie in jenen Zeiten sein Geist eine eigenthümliche Einheit besaß und sich nur durch die Praxis in verschiedene Fähigkeiten theilte, wie dies durch die Praxis auch noch ferner geschehen kann, geht er auf die Beschreibung der Bedingungen über, die an einen Naturforscher zu stellen sind und bemerkt in Bezug hierauf zum Schlusse:

»Keiner irrt gewiß weiter ab vom Ziele, als wer sich selbst einbildet, er kenne schon das seltsame Reich und wisse mit wenig Worten seine Verfassung zu ergründen, und überall den rechten Weg zu finden. Von selbst geht keinem, der los sich riß und sich zur Insel machte, das Verständniß auf, auch ohne Mühe nicht. Nur Kindern, oder kindlichen Menschen, die nicht wissen, was sie thun, kann dies begegnen. Langer, unablässiger Umgang, freie und künstliche Betrachtung, Aufmerksamkeit auf leise Winke und Züge; ein inneres Dichterleben, geübte Sinne, ein einfaches und gottesfürchtiges Gemüth, das sind die wesentlichen Erfordernisse eines ächten Naturfreundes, ohne welche keinem sein Wunsch gedeihen wird. Nicht weise scheint es, eine Menschenwelt ohne volle aufgeblühte Menschheit begreifen und verstehen zu wollen. Kein Sinn muß schlummern, und wenn auch nicht alle gleich wach sind, so müssen sie doch alle angeregt und nicht unterdrückt und erschlafft sein. So wie man einen künftigen Maler in dem Knaben sieht, der alle Wände und jeden ebenen Sand mit Zeichnungen füllt und Farben zu Figuren bunt verknüpft, so sieht man einen künftigen Weltweisen in jenem, der allen natürlichen Dingen ohne Rast nachspürt, nachfrägt, auf alles achtet, jedes Merkwürdige zusammenträgt, und froh ist, wenn er einer neuen Erscheinung, einer neuen Kraft und Kenntniß Meister und Besitzer geworden ist.

Nun dünkt es Einigen, es sei der Mühe gar nicht werth, den endlosen Zerspaltungen der Natur nachzugehen, und überdem ein gefährliches Unternehmen, ohne Frucht und Ausgang. So wie man nie das kleinste Korn der festen Körper, nie die einfachste Faser finden werde, weil alle Größe vor- und rückwärts sich ins Unendliche verliert, so sei es auch mit den Arten der Körper und Kräfte; auch hier gerathe man auf neue Arten, neue Zusammensetzungen, neue Erscheinungen bis ins Unendliche. Sie schienen dann nur still zu stehen, wenn unser Fleiß ermatte, und so verschwende man die edle Zeit mit müßigen Betrachtungen und langweiligem Zählen, und werde dies zuletzt ein wahrer Wahnsinn, ein fester Schwindel an der entsetzlichen Tiefe. Auch bleibe die Natur, so weit man käme, immer eine furchtbare Mühle des Todes: überall ungeheurer Umschwung, unauflösliche

[Seite 187:]

Wirbelkette, ein Reich der Gefräßigkeit, des tollsten Uebermuths, eine unglücksschwangere Unermeßlichkeit; die wenigen lichten Punkte beleuchteten nur eine desto grausendere Nacht, und Schrecken aller Art müßten jeden Beobachter zur Gefühllosigkeit ängstigen. Wie ein Heiland stehe dem armen Menschengeschlechte der Tod zur Seite, denn ohne Tod wäre der Wahnsinnigste am glücklichsten. Gerade jenes Streben nach Ergründung dieses riesenmäßigen Triebwerks sei schon ein Zug in die Tiefe, ein beginnender Schwindel; denn jeder Reiz scheine ein wachsender Wirbel, der bald sich des Unglücklichen ganz bemächtigte, und ihn dann durch eine schreckende Nacht mit sich fortreiße. Hier sei die listige Fallgrube des menschlichen Verstandes, den die Natur überall als ihren größten Feind zu vernichten suche. Heil der kindlichen Unwissenheit und Schuldlosigkeit der Menschen, welche sie die gesetzlichen Gefahren nicht gewahr werden ließe, die überall wie furchtbare Wetterwolken um ihre friedlichen Wohnsitze herlägen, und jeden Augenblick über sie hereinzubrechen bereit wären. Nur innere Uneinigkeit der Naturkräfte habe die Menschen bis jetzo erhalten, indeß könne jener große Zeitpunkt nicht ausbleiben, wo sich die sämmtlichen Menschen durch einen großen gemeinschaftlichen Entschluß aus dieser peinlichen Lage, aus diesem furchtbaren Gefängnisse reißen, und durch eine freiwillige Entsagung ihrer hiesigen Besitzthümer auf ewig ihr Geschlecht aus diesem Jammer erlösen, und in eine glücklichere Welt, zu ihrem alten Vater retten würden. So endeten sie doch ihrer würdig, und kämen ihrer nothwendigen, gewaltsamen Vertilgung, oder einer noch entsetzlicheren Ausartung in Thiere, durch stufenweise Zerstörung der Denkorgane durch Wahnsinn, zuvor. Umgang mit Naturkräften, mit Thieren, Pflanzen, Felsen, Stürmen und Wogen müsse nothwendig die Menschen diesen Gegenständen verähnlichen, und diese Verähnlichung, Verwandlung und Auflösung des Göttlichen und Menschlichen in unbändige Kräfte sei der Geist der Natur, dieser fürchterlich verschlingenden Macht: und sei nicht alles, was man sehe, schon ein Raub des Himmels, eine große Ruine ehemaliger Herrlichkeiten, Ueberbleibsel eines schrecklichen Mahles?

Wohl, sagen Muthigere, laßt unser Geschlecht einen langsamen, wohldurchdachten Zerstörungskrieg mit dieser Natur führen. Mit schleichenden Giften müssen wir ihr beizukommen suchen. Der Naturforscher sei ein edler Held, der sich in den geöffneten Abgrund stürze, um seine Mitbürger zu erretten. Die Künstler haben ihr schon manchen geheimen Streich bei-

[Seite 188:]

gebracht, fahrt nur so fort, bemächtigt euch der heimlichen Fäden und macht sie lüstern nach sich selbst. Benutzt jene Zwiste, um sie, wie jenen feuerspeienden Stier, nach eurer Willkür lenken zu können. Euch unterthänig muß sie werden. Geduld und Glauben ziemt den Menschenkindern. Entfernte Brüder sind zu Einem Zweck mit uns vereint; das Sternenrad wird das Spinnrad unsers Lebens werden, und dann können wir durch unsere Sklaven ein neues Dschinnistan uns bauen. Mit innerem Triumph laßt uns ihren Verwüstungen, ihren Tumulten zusehen, sie soll an uns sich selbst verkaufen, und jede Gewaltthat soll ihr zur schweren Buße werden. In den begeisternden Gefühlen unserer Freiheit laßt uns leben und sterben; hier quillt der Strom, der sie einst überschwemmen und zähmen wird, und in ihm laßt uns baden und mit neuem Muth zu Heldenthaten uns erfrischen. Bis hierher reicht die Wuth des Ungeheuers nicht, ein Tropfen Freiheit ist genug, sie auf immer zu lähmen und ihren Verheerungen Maß und Ziel zu setzen.

Sie haben Recht, sprechen Mehrere, hier oder nirgends liegt der Talisman. Am Quell der Freiheit sitzen wir und spähen; er ist der große Zauberspiegel, in dem rein und klar die ganze Schöpfung sich enthüllt, in ihm baden die zarten Geister und Abbilder aller Naturen, und alle Kammern sehen wir hier aufgeschlossen. Was brauchen wir die trübe Welt der sichtbaren Dinge mühsam zu durchwandern? Die reinere Welt liegt ja in uns, in diesem Quell. Hier offenbart sich der wahre Sinn des großen, bunten, verwirrten Schauspiels; und treten wir von diesen Blicken voll in die Natur, so ist uns alles wohlbekannt, und sicher kennen wir jede Gestalt. Wir brauchen nicht erst lange nachzuforschen, eine leichte Vergleichung, nur wenige Züge im Sande sind genug, um uns zu verständigen. So ist uns alles eine große Schrift, wozu wir den Schlüssel haben, und nichts kommt uns unerwartet, weil wir voraus den Gang des großen Uhrwerks wissen. Nur wir genießen die Natur mit vollen Sinnen, weil sie uns nicht von Sinnen bringt, weil keine Fieberträume uns ängstigen, und helle Besonnenheit uns zuversichtlich und ruhig macht.

Die Andern reden irre, sagt ein ernster Mann zu diesen. Erkennen sie in der Natur nicht den treuen Abdruck ihrer selbst? Sie selbst verzehren sich in wilder Gedankenlosigkeit. Sie wissen nicht, daß ihre Natur ein Gedankenspiel, eine wüste Phantasie ihres Traumes ist. Ja wohl ist sie ihnen ein entsetzliches Thier, eine seltsame abenteuerliche Larve ihrer Begierden.

[Seite 189:]

Der wachende Mensch sieht ohne Schaudern diese Brut seiner regellosen Einbildungskraft, denn er weiß, daß es nichtige Gespenster seiner Schwäche sind. Er fühlt sich Herr der Welt, sein Ich schwebt mächtig über diesem Abgrund, und wird in Ewigkeiten über diesem endlosen Wechsel erhaben schweben. Einklang strebt sein Inneres zu verkünden, zu verbreiten. Er wird in die Unendlichkeit hinaus stets einiger mit sich selbst und seiner Schöpfung um sich her sein, und mit jedem Schritte die ewige Allwirksamkeit einer hohen sittlichen Weltordnung, der Veste seines Ichs, immer heller hervortreten sehen. Der Sinn der Welt ist die Vernunft; um derentwillen ist sie da, und wenn sie erst der Kampfplatz einer kindlichen, aufblühenden Vernunft ist, so wird sie einst zum göttlichen Bilde ihrer Thätigkeit, zum Schauplatz einer wahren Kirche werden. Bis dahin ehre sie der Mensch als Sinnbild seines Gemüths, das sich mit ihm in unbestimmbare Stufen veredelt. Wer also zur Kenntniß der Natur gelangen will, übe seinen sittlichen Sinn, handle und bilde dem edlen Kerne seines Innern gemäß, und wie von selbst wird die Natur sich vor ihm öffnen. Sittliches Handeln ist jener große und einzige Versuch, in welchem alle Räthsel der mannigfaltigsten Erscheinungen sich lösen. Wer ihn versteht, und in strengen Gedankenfolgen ihn zu zerlegen weiß, ist ewiger Meister der Natur.«

»Der Lehrling,« heißt es noch, »hört mit Bangigkeit die sich kreuzenden Stimmen.« Wenn dies aber in dem halb überirdischen Sais der Fall war, so muß er es in dem blos irdischen Leben noch weit mehr sein. Auch hier jedoch können wir in Bezug auf diese nebelhaften Lucubrationen nur Jean Paul's Quintus Fixlein nachahmen, welcher in seinem ausführlichen Verzeichniß deutscher Druckfehler erklärt, daß wichtige Schlüsse daraus zu ziehen sind und dem Leser räth, sie zu ziehen. Vielleicht würden wir in diesen wunderbaren Sätzen, die in dieser Entfernung wie mit trägem Nebel gefüllte Abgründe aussehen, Thäler mit hellen Strömen und grünen Wiesen erkennen, wenn wir nahe dabei wären. Denn entweder ist Novalis sammt Tieck und Schlegel nicht recht bei Sinnen, oder es giebt im Himmel und auf Erden wirklich mehr Dinge, als unsere Philosophie sich träumem läßt. Wir wollen noch hinzufügen, daß nach unserer Ansicht dieser letzte Sprecher, der »ernste Mann« offenbar Fichte zu sein scheint; die beiden ersten Klassen sehen aus, wie eine skeptische oder atheistische Brut, die von Bacon's Novum Organum keine Kenntniß oder, wenigstens die erste Klasse, fast keinen Glauben daran hat. Die Theorie, daß das Menschengeschlecht durch einen allge-

[Seite 190:]

meinen gleichzeitigen Act des Selbstmords ende, wird für die einfachere Klasse von Lesern etwas Neues sein.

zurck
[III.]
weiter
[V.]


 


[ document info ]
Letzte Änderung am 04.12.2004.
© 1997-2006 f.f., l.m.
Aktuell
Jermey Adler:
»Novalis & Philo-Sophie«

The Times LS, 16.04.2008
Mit Novalis durchs Jahr
Krit. Ausgabe, 28.09.2007
Symposium:
Novalis und der Orient

Oberwiederstedt,
30./31.08.2007
Novalis en français
Novalis im Feuilleton
Volltextsuche
Neu im »Aquarium«
Neue Bücher 2007
(27.11.2007)