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Thomas Carlyle: Novalis (1829). In: Thomas Carlyle's ausgewählte Schriften. Deutsch von A. Kretzschmar. Zweiter Band. Voltaire. – Diderot. – Novalis. – Charakteristiken. Leipzig: Otto Wigand 1855. S. 154-210, hier S. 174-182.
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So viel über Novalis' äußere Erscheinung und Geschichte. In Bezug auf seinen innern Bau und seine innere Bedeutung, an deren Verständniß unsern Lesern hier hauptsächlich gelegen sein muß, haben wir schon eingestanden, daß wir uns in dieser Beziehung keiner vollständigen Einsicht rühmen können.
Schon die oberflächlichste Durchsicht seiner Schriften verräth uns einen Geist von wunderbarer Tiefe und Originalität, gleichzeitig aber auch von so abstruser Natur oder Gewöhnung, und so ganz verschieden von Allem, was wir selbst kennen gelernt oder erfahren haben, daß es eine außerordentlich schwierige Aufgabe sein würde, vollkommen in seinen wesentlichen Charakter einzudringen, geschweige denn ihn mit sichtbarer Deutlichkeit zu schildern und zu malen.
Ja, mit den Mitteln, welche uns zu Gebote stehen, wäre diese Aufgabe vielleicht geradezu unmöglich, denn Novalis gehört zu der Klasse, welche die »syllogistische Methode« nicht als das hauptsächliche Organ zur Erforschung der Wahrheit anerkennen, und sich daher auch nicht allemal verbunden erachten, stehen zu bleiben, wo dieses Licht ihnen ausgeht. Viele seiner Ansichten würde er selbst in dem geduldigsten Gerichtshofe nicht zu beweisen versuchen und auch ganz zufrieden damit sein, wenn sie hier keinen Glauben fänden.
Jakob Böhme und andere mystische Schriftsteller liebte er sehr und hatte sie fleißig studirt; ja er war ziemlich offen gutentheils selbst ein Mystiker. Freilich nicht, was wir Engländer im gewöhnlichen Leben einen Mystiker nennen, was blos einen Menschen bedeutet, den wir nicht verstehen und zu unserer Selbstvertheidigung als einen Dummkopf betrachten oder doch gern betrachten möchten. Novalis war ein Mystiker, oder hatte Verwandtschaft mit dem Mysticismus, in der ursprünglichen oder wahren Bedeutung dieses Wortes, wie wir gewissermaßen das Beispiel davon unter unseren puritanischen Geistlichen sehen und womit heutzutage in Deutschland, wie überhaupt – ausgenommen unter gewissen unbedeutenden Klassen – auch in jedem andern Lande durchaus kein schimpflicher Nebenbegriff verbunden ist. In diesem Sinne wird von dem Mysticismus sogar viel Ehrenvolles erzählt. Tasso war, wie aus mehrern seiner prosaischen Schriften zu ersehen,
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eingestandenermaßen ein Mystiker und Dante wird als eins der vorzüglichsten Mitglieder dieser Secte betrachtet.
Trotzdem tritt bei aller gebührenden Toleranz oder Verehrung für Novalis' Mysticismus immer wieder die Frage an uns heran: wie sollen wir ihn verstehen und eine nur einigermaßen angemessene Vorstellung davon geben? Wie kann dieser geistige Zustand, der seiner eigenen Erklärung zufolge gleich dem reinen Lichte farblos, formlos und unendlich ist, durch bloße Logikmaler oder, wir möchten sagen, bloße Kupferstecher dargestellt werden, welche mit Ausnahme von Kupfer und Grabstichel, wodurch ein nur endliches Schwarz auf Weiß erzeugt wird, kein Mittel haben, irgend etwas darzustellen?
Novalis selbst hat einige Zeilen, aber nicht mehr, ausdrücklich über den Mysticismus niedergeschrieben. »Was ist Mysticismus?« fragt er. »Was muß mystisch behandelt werden? Religion, Liebe, Natur, Staat. – Alles Auserwählte bezieht sich auf Mysticismus. Wenn alle Menschen ein paar Liebende wären, so fiele der Unterschied zwischen Mysticismus und Nichtmysticismus weg.«
In diesem kleinen Satze erhält unser Leser unglücklicherweise keine Klarheit und es ist ihm eher zu Muthe, als ob er in sichtbare Finsterniß hineinschaute. Wir müssen ihn aber trotzdem bitten, bei dieser Sache nicht den Muth zu verlieren und vor allen Dingen uns mit seinen freundlichsten, heitersten Bemühungen zur Seite zu stehen; vielleicht erhaschen wir doch einen, wenn auch matten und fernen Blick von diesem selben geheimnißvollen Mysticismus.
Uns selbst dient es einigermaßen zur Aufklärung über Novalis' Ansichten, wenn wir den damaligen und den gegenwärtigen Zustand der deutschen metaphysischen Wissenschaft im Allgemeinen und die schon oben angeführte Thatsache ins Auge fassen, daß er seine ersten Begriffe über diesen Gegenstand aus Fichte's Wissenschaftslehre schöpfte. Er suchte, wie Tieck bemerkt, sich allerdings einen neuen Pfad in der Philosophie zu bahnen, die Philosophie mit der Religion zu vereinigen und wich auf diese Weise in gewissem Grade von seinem ersten Lehrer ab, oder, wie es ihm wahrscheinlicher selbst vorkam, versuchte Fichte's wissenschaftliche Forschung bis zu ihren höchsten praktischen Resultaten zu verfolgen.
Auf alle Fälle scheint sein metaphysischer Glaube, so weit wir aus diesen Schriften abnehmen können, in seinen wesentlichen Lineamenten überall
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synonym mit dem Wenigen zu sein, was wir von Fichte verstehen und könnte in der That für unsern gegenwärtigen Zweck ohne Gefahr unter die Rubrik des Kantismus oder der deutschen Metaphysik im Allgemeinen klassificirt werden.
Ohne uns nun in die Irrgänge der deutschen Philosophie zu verlieren, brauchen wir blos auf den Charakter des Idealismus hinzudeuten, auf den sie sich überall gründet und von dem sie in ihrer Allgemeinheit durchdrungen ist.
In allen deutschen Systemen seit Kant's Zeit ist es Fundamentalprinzip, die Existenz der Materie zu leugnen oder vielmehr, möchten wir sagen, sie in einem Sinne zu glauben, welcher radikal von dem verschieden ist, in welchem der schottische Philosoph sich bemüht, sie zu beweisen und der englische Nichtphilosoph sie ohne Beweis glaubt. Für keinen unserer Leser, der sich nur einigermaßen mit metaphysischer Lectüre befaßt hat, wird dieser Idealismus etwas Unbegreifliches sein.
In der That ist es eigenthümlich, wie weit verbreitet und unter wie verschiedenen Gestalten wir ihn unter den entgegengesetztesten Klassen der Menschheit antreffen. Unser Bischof Berkeley scheint ihn aus religiösen Beweggründen angenommen zu haben und Vater Boscovich ward in seiner Theoria Philosophiae Naturalis aus blos mathematischen Rücksichten zu einem sehr verwandten Resultate geführt. Von dem alten Pyrrho oder dem modernen Hume reden wir nicht; am entgegengesetzten Ende der Erde aber herrscht, wie Sir W. Jones uns mittheilt, eine ähnliche Theorie seit undenklichen Zeiten unter den Theologen Hindostans. Ja, Professor Stewart hat seine Meinung dahin erklärt, daß Jeder, der nicht zu irgend einer Zeit seines Lebens diese Theorie gehegt hat, von sich annehmen kann, er habe noch kein Talent für metaphysische Forschungen gezeigt. Auch ist es kein Argument gegen den Idealisten, wenn man sagt, daß er, da er die absolute Existenz der Materie leugnet, gewissenhafterweise auch ihre relative Existenz leugnen und zum Scherze über Abgründe springen und sich mit Schwertern durchbohren müsse, weil ja diese, wie alle anderen materiellen Dinge, bloße Phantasmen und Schatten und deshalb von keiner Bedeutung seien. Wenn aber ein Mensch körperlich genommen selbst weiter nichts als ein Phantasma und ein Schatten ist, so läuft alles dies zuletzt ganz auf dasselbe hinaus wie zuvor.
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Und dennoch liegt hierin Dr. Reid's großer Triumph über die Skeptiker, der so gut ist wie gar kein Triumph, denn was das Argument betrifft, auf welchem er und seine Anhänger unter allen möglichen Variationen beharren, so besteht es doch im Grunde genommen nur in der sehr einfachen Erwägung, daß »die Menschen von Natur und ohne Schlußfolgerungen an die Existenz der Materie glauben« und scheint in philosophischem Sinne keinen Werth zu haben; ja die Einführung dieses Ausspruchs in die Philosophie kann als ein Akt des Selbstmords von Seiten dieser Wissenschaft betrachtet werden, deren Leben und Aufgabe, die »äußeren Erscheinungen zu interpretiren«, hiermit zu Ende ist.
Seltsam ist es überdies zu bemerken, wie diese Philosophen des gesunden Menschenverstandes, Menschen, welche hauptsächlich mit ihrer unwiderleglichen Logik prahlen und, als ob dies ihr ausdrücklicher Beruf wäre, die Menschheit vor »Mysticismus« und »schwärmerischen Theorien« zu warnen und zu hüten suchen, selbst genöthigt sind, ihr ganzes System auf Mysticismus und eine Theorie zu gründen, mit einem Worte auf den Glauben und zwar einen Glauben von sehr umfassender Art, den Glauben nämlich, daß die Sinne des Menschen entweder selbst göttlich sind oder daß dieselben nicht blos eine treue, sondern auch eine buchstäbliche Vorstellung von den Wirkungen irgend einer Gottheit gewähren.
So wahr ist es, daß auch für diese Menschen alle Kenntniß des Sichtbaren auf dem Glauben an das Unsichtbare beruht und von diesem seine erste Bedeutung und Gewißheit ableitet!
Der Idealist dagegen rühmt sich, daß seine Philosophie transcendental ist, das heißt über das Gebiet der Sinne hinausschreitend, was, wie er behauptet, alle mit Recht sogenannte Philosophie ihrem Wesen nach ist und sein muß – und auf diese Weise wird er zu verschiedenen unerwarteten Schlüssen geführt.
Für einen Transcendentalisten hat die Materie eine Existenz, aber blos als ein Phänomen. Wären wir nicht da, so würde sie auch nicht da sein; sie ist ein bloßes Verhältniß, oder vielmehr das Resultat eines Verhältnisses zwischen unsern lebenden Seelen und der großen Grundursache und hängt wegen ihrer scheinbaren Eigenschaften von unsern körperlichen und geistigen Organen ab, denn sie selbst hat keine in ihr liegenden Eigenschaften, weil sie in der gewöhnlichen Bedeutung dieses Wortes Nichts ist. Der Baum ist grün und hart, aber nicht seiner eigenen natürlichen Beschaf-
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fenheit nach, sondern einfach, weil mein Auge und meine Hand so geformt sind, daß sie die und die Erscheinungen unter den und den Umständen erkennen. Ja, wie ein Idealist selbst auf die populärsten Gründe hin sagen würde, muß es nicht so sein?
Man bringe ein fühlendes Wesen mit Augen, die ein wenig verschieden, und mit Fingern, die zehnmal härter sind als die meinen, zur Stelle und für diesen Menschen wird das Ding, welches ich Baum nenne, eben so wahr gelb und weich sein, als es für mich grün und hart ist. Man gebe ihm einen Nervenbau, der in jeder Beziehung das Gegentheil von dem meinen ist und dieser selbe Baum wird nicht verbrennbar oder Hitze erzeugend, sondern unlöslich und Kälte hervorbringend, nicht hoch und convex, sondern tief und concav sein; er wird einfach alle Eigenschaften haben, die gerade das Gegentheil von denen sind, die ich ihm beilege. »Es ist in der That,« sagt Fichte, »gar kein Baum da, sondern blos die Manifestation einer Kraft von Etwas, was nicht ich ist.«
Dasselbe gilt von der materiellen Natur im Großen, von dem ganzen sichtbaren Weltall mit allen seinen Bewegungen, Gestalten, Zufällen und Eigenschaften; alles dies sind Eindrücke, die durch Etwas, was von mir verschieden ist, auf mich hervorgebracht werden.
Dies ist nach unserm Dafürhalten die Basis Dessen, was Fichte mit seinem weitberühmten Ich und NichtIch meint, Worten, welche, als sie sich – um von einer Hudibrastischen Redensart Gebrauch zu machen – in gewissen »unmeublirt zu vermiethenden Köpfen« einquartierten, ein hohles Echo wie des Gelächters in den leeren Gemächern hervorriefen, obschon die Worte an und für sich ganz harmlos sind und die Basis einer metaphysischen Philosophie eben so passend darstellen können, als irgendwelche andere Worte.
Ferner aber, und was noch seltsamer ist als ein solcher Idealismus, sind nach diesen Kantischen Systemen auch die Organe des Geistes, was man den Verstand nennt, von nicht weniger willkürlicher und gleichsam zufälliger Art als die des Körpers. Zeit und Raum selbst sind nicht äußere, sondern innere Wesenheiten; sie haben keine äußere Existenz; es giebt keine Zeit und keinen Raum außerhalb des Geistes; sie sind bloße Formen des geistigen Wesens des Menschen, Gesetze, unter welchen seine denkende Natur zu handeln constituirt ist.
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Dies scheint der härteste Schluß von allen, aber er ist für Kant wichtig und in seiner »Kritik der reinen Vernunft« mit großer Präcision und in strengster argumentativer Form sorgfältig deducirt.
Der Leser würde sich sehr irren, wenn er glauben wollte, dieses transcendentale System der Metaphysik sei weiter nichts als ein intellectuelles Kartenhaus oder ein logischer Hocuspocus von einem müßigen Kopfe und für müßige Köpfe ersonnen, ohne irgend einen Zusammenhang mit den praktischen Interessen der Menschen. Im Gegentheile, wie falsch oder wie wahr dieses System auch sein möge, so ist es seinem Inhalte nach die ernsthafteste von allen Philosophien, die in den letztern Jahrhunderten aufgestellt worden; es ist fast durchgängig von Männern der erhabensten und redlichsten Gesinnung gelehrt worden und äußert einen directen und gewaltig umfassenden Einfluß auf die wichtigsten Lebensinteressen des Menschen.
Abgesehen von den Aussichten, die es in Bezug auf den Gang und die Behandlung der sogenannten Naturwissenschaften eröffnet, können wir nicht umhin, zu bemerken, daß die Wirkungen dieser Philosophie für Die, welche ihr huldigen, auf Moral und Religion in unsern Zeiten von fast grenzenloser Bedeutung sein müssen.
Nehmen wir z. B. jene letzte und anscheinend seltsamste Theorie in Bezug auf Zeit und Raum, so werden wir finden, daß sie dem Kantianer fast unmittelbar ein merkwürdiges Resultat dieser Art liefert. Wenn Zeit und Raum keine absolute Existenz haben, keine Existenz außerhalb unserer Sinne, so wird dadurch gleich von der Schwelle unserer Theologie ein Stein des Anstoßes entfernt. Denn wenn wir sagen, daß die Gottheit allgegenwärtig und ewig ist, daß es bei Gott blos ein allgemeines Hier und Jetzt giebt, so sagen wir, wenn wir die Sache von dieser Seite nehmen, durchaus nichts Wunderbares, nämlich weiter nichts, als daß er auch die Zeit und den Raum schuf, daß Zeit und Raum nicht Gesetze seines, sondern blos unsers Wesens sind. Ja, für den Transcendentalisten muß unverkennbar die ganze Frage über die Entstehung und Existenz der Natur dadurch in hohem Grade vereinfacht werden; die alte Feindseligkeit der Materie ist zu Ende, denn die Materie selbst ist vernichtet und das schwarze Gespenst des Atheismus zerrinnt auf immer in nichts.
Wenn aber, wie Kant behauptet, der logische Mechanismus des Geistes, so zu sagen, willkürlich ist und auch anders hätte geschaffen werden können, so folgt daraus, daß alle inductiven Schlüsse, alle Schlüsse des Verstandes,
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blos einen relativen Werth haben, nur für uns wahr sind und wenn etwas Anderes wahr ist.
So weit gehen in diesem Zweige der Forschung Hume und Kant zusammen, von hier an aber divergiren sie gänzlich. Wir deuten hier darauf hin, daß die Transcendentalisten in dem Menschen noch eine höhere Fähigkeit anerkennen, als den Verstand, nämlich die Vernunft, das reine endliche Licht unserer Natur, worin, wie sie behaupten, die Grundlage aller Poesie, Tugend und Religion beruht – Dinge, welche eigentlich außerhalb des Bereichs des Verstandes liegen, von welchen der Verstand keine andere Kenntniß als höchstens eine falsche nehmen kann. Der ältere Jacobi, der freilich kein Kantianer ist, sagt einmal, wenn wir uns recht entsinnen: »Es ist der Instinkt des Verstandes, der Vernunft zu widersprechen.« Giebt man diese letzte Unterscheidung und Unterordnung zu und nimmt man sie als wissenschaftlich bewiesen an – welche zahllose und wichtige Folgen würden sich aus ihr allein ergeben!
Wir müssen es dem denkenden Leser überlassen, diese für sich selbst zu deduciren und bemerken blos ferner, daß die Teologia Mistica, welche Tasso in seinen philosophischen Schriften so hoch verehrt; der »Mysticismus«, von welchem Novalis spricht und überhaupt jeder ächte christliche Glaube, so weit als wir sehen können, in diese Lehre der Transcendentalisten mehr oder weniger eingeschlossen zu sein scheint; denn trotz der verschiedenen Form ist das innerste Wesen aller derselben Das, was hier mit dem Namen Vernunft bezeichnet und als der wahre Gipfelpunkt des menschlichen Geistes hervorgehoben wird.
Wie tief diese und ähnliche Prinzipien sich Novalis eingeprägt hatten, sehen wir immer mehr und mehr, je weiter wir seine Schriften studiren. Von Natur ein inniger, religiöser, contemplativer Geist, dazu geläutert, wie wir gesehen, durch herben Kummer und heimisch in dem »Heiligthum des Schmerzes«, erscheint er vor uns als der idealste aller Idealisten. Für ihn ist die materielle Schöpfung blos eine äußere Erscheinung, ein Schatten, in welchem die Gottheit sich dem Menschen offenbart. Die unsichtbare Welt besitzt nicht blos eine Wirklichkeit, sondern auch die einzige Wirklichkeit, denn alles Uebrige ist nicht bildlich, sondern buchstäblich und wissenschaftlich streng genommen ein »Blendwerk«, oder, mit den Worten des Dichters, »Schall und Rauch umnebelnd Himmelsgluth.« Die unsichtbare Welt ist uns nahe oder vielmehr sie ist hier in uns und um uns; wäre die Fleisches-
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hülle von unserer Seele hinweggenommen, so würde selbst jetzt schon die Glorie des Unsichtbaren uns umgeben, gerade so wie die Alten von der Musik der Sphären fabelten. So fühlt er nicht blos in Worten, sondern auch in Wahrheit und nüchternem Glauben sich von der Gottheit umgeben und empfindet in jedem Gedanken, daß er »in ihr lebt, webt und ist.«
Auf seine philosophische und poetische Handlungsweise hat alles dies seinen natürlichen Einfluß. Das Ziel von Novalis ganzer Philosophie ist, möchten wir sagen, die Majestät der Vernunft in jenem strengeren Sinne zu predigen und fest zu gründen, ihr alle Reiche des menschlichen Denkens zu erobern und ihren Vasallen, den Verstand, zu ihrem Diener zu machen, weil dies das richtige und einzig nützliche Verhältniß für ihn ist. Gewaltige Aufgaben lagen in dieser Beziehung vor ihm, worüber wir jedoch in diesen seinen Schriften blos zerstreute Andeutungen vorfinden. Ueberhaupt hat Alles, was er hinterlassen, blos die Gestalt von Fragmenten; es sind abgerissene Expositionen und Combinationen, tiefe kurze Blicke, aber dies scheint ihre allgemeine Tendenz zu sein.
Besonders merkwürdig unter vielen dieser oft nur zu dunklen Gedanken ist seine eigenthümliche Art und Weise, die Natur zu betrachten – seine Gewohnheit, in der Natur vielmehr etwas Concretes, nicht etwas Analytisches oder ein theilbares Aggregat, sondern ein selbstsubsistirendes, allgemein zusammenhängendes Ganze zu sehen. Dies ist vielleicht ebenfalls zum Theil die Frucht seines Idealismus. Er hatte, wie man uns mittheilt, den Plan zu einem eigenthümlichen encyclopädischen Werke entworfen, in welchem Erfahrungen und Ideen aus den verschiedenen Wissenschaften sich gegenseitig erklären, unterstützen und beleben sollten. An diesem Werke hatte er schon einiges gearbeitet. Viele der »Gedanken« und kurzen aphoristischen Bemerkungen waren dazu bestimmt und es sollte, wie es schien, größtentheils aus solchen bestehen.
Als Dichter ist Novalis nicht weniger Idealist denn als Philosoph. Seine Gedichte sind Ergüsse einer innig frommen Seele, welche stets fühlt, daß sie hier keine Heimath hat, sondern einer Stadt entgegenschaut, welche festgegründet ist. Er liebt die äußere Natur mit eigenthümlicher Tiefe, ja wir möchten sagen, er verehrt sie und pflegt unaussprechlichen Umgang mit ihr. Die Natur ist nicht mehr die todte, feindselige Materie, sondern der Schleier und das geheimnißvolle Gewand des Unsichtbaren, gleichsam die Stimme, mit welcher die Gottheit sich dem Menschen verkündet.
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Diese beiden Eigenschaften, – sein reines religiöses Gemüth und seine innige Liebe zur Natur – bringen ihn in ein ächt poetisches Verhältniß sowohl zu der geistigen als auch zur materiellen Welt und machen vielleicht seinen hauptsächlichen Werth als Dichter aus, zu welcher Kunst er von Haus aus eine ächte, obschon nicht exclusive, oder auch nur sehr entschiedene Begabung besessen zu haben scheint.
Seine moralischen Ueberzeugungen, wie sie sich in seinen Schriften und in seinem Leben kundgeben, leiten sich sehr natürlich aus derselben Quelle her. Es ist die Moralität eines Mannes, für welchen die Erde mit all ihrer Pracht in der That nur ein leerer Dunst und Traum und die Schönheit der Güte der einzige wirkliche Besitz ist. Poesie, Tugend und Religion, welche für andere Menschen gleichsam nur ein mährchenhaftes und eingebildetes Dasein haben, sind für ihn die ewige Basis des Weltalls und alle irdischen Güter, Alles, womit Ehrgeiz, Hoffnung und Furcht zur Arbeit und Sünde verlocken kann, ist in der That nur ein Hirngespinnst, ein Reflex auf dem Spiegel der Unendlichkeit, aber an und für sich ein leeres Nichts. In diesem Lichte der Vernunft zu leben, selbst hier schon, während wir noch vom Traume des Daseins umgeben sind, unsern Wohnsitz in dieser ewigen Stadt zu haben, ist die höchste und einzige Pflicht des Menschen.
Diese Dinge stellt sich Novalis unter verschiedenen Bildern vor. Zuweilen scheint er das Grundwesen des Seins als Liebe darzustellen; andere Mal spricht er in Emblemen, über welche es noch schwieriger sein möchte, eine richtige Mittheilung zu machen und die wir daher vor der Hand übergehen wollen.
Denn nun, nach diesen weitausgeholten Skizzen einer Exposition muß der Leser sich bereit halten, Novalis ein wenig mit eigenen Augen kennen zu lernen. Jeder, der uns redlich und mit aufmerksamem Umblick längs dieser wunderbaren Grenzen des Idealismus begleitet hat, wird eben so gut im Stande sein, Novalis zu interpretiren, wie es die Mehrzahl der deutschen Leser sein würde, und mehr kann man, glauben wir, von uns nicht verlangen.
Wir werden keinen weiteren Commentar versuchen, weil wir fürchten, daß es eine zu schwierige und zu undankbare Aufgabe sein möchte.
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