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Thomas Carlyle: Novalis (1829). In: Thomas Carlyle's ausgewählte Schriften. Deutsch von A. Kretzschmar. Zweiter Band. Voltaire. – Diderot. – Novalis. – Charakteristiken. Leipzig: Otto Wigand 1855. S. 154-210, hier S. 162-174.
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Friedrich von Hardenberg, in der Literatur besser unter dem Namen Novalis bekannt, war geboren am 2. Mai 1772 auf einem Landsitze seiner Familie in der Grafschaft Mansfeld in Sachsen. Sein Vater, der in seiner Jugend Soldat gewesen und auch noch im Alter eine Vorliebe für diesen Stand behielt, war damals Director der sächsischen Salinen – ein Amt von ziemlicher Bedeutung. Tieck sagt: »Er war ein rüstiger, unermüdet thätiger Mann, von offenem, starkem Charakter, ein echter Deutscher. Sein frommer Sinn machte ihn zum Mitglied der herrnhutischen Gemein[d]e, doch blieb sein Wesen heiter, derb und bieder.« Die Mutter zeichnete sich ebenfalls durch ihre Würdigkeit aus; sie war ein Muster edler Frömmigkeit und christlicher Milde – Tugenden, zu deren Uebung ihr späteres Leben ihr Gelegenheit genug gab.
Auf den jungen Friedrich, den wir auch hier Novalis nennen wollen, mußten die Eigenschaften seiner Eltern einen mehr als gewöhnlichen Einfluß ausüben, denn er ward sehr einsam erzogen, ohne weiteren Umgang zu haben, als den einer Schwester, die ein Jahr älter war als er, und der beiden Brüder, welche dem Alter nach auf ihn folgten. Ein entschieden religiöser Sinn scheint unter vielen wohlthätigen Formen sich in dieser ganzen Familie offenbart zu haben. In Novalis besonders blieb er während seines ganzen Lebens das herrschende Prinzip, welches sich in seinen wissenschaftlichen Spekulationen eben so kund gab, wie in seinen Empfindungen und seiner Handlungsweise.
In seiner Kindheit zeichnete er sich besonders durch die ungetheilte enthusiastische Zuneigung aus, mit welcher er seine Mutter liebte, so wie durch einen gewissen Hang zur Stille und Abgeschlossenheit, so daß er an kindischen Spielen kein Vergnügen fand, sondern der Gesellschaft anderer Kinder eher aus dem Wege ging. Tieck erwähnt, daß er bis zu seinem neunten Jahre keineswegs für mit besonderer Fassungskraft begabt galt; zu dieser Zeit aber schien, seltsam genug, eine gefährliche Ruhrkrankheit, die
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ihm fast das Leben gekostet hätte, seine Fähigkeiten erst zum wirklichen Leben zu erwecken, und er ward mit einem Male der thätigste und eifrigste Schüler in allen Zweigen seines Unterrichts.
In seinem achtzehnten Jahre begab er sich nach einer kurzen Vorbereitung von wenigen Monaten auf einem Gymnasium – dem einzigen Unterricht, den er auf einer öffentlichen Schule erhalten zu haben scheint, – nach Jena, wo er drei Jahre verweilte. Hierauf verbrachte er einige Zeit auf der Universität Leipzig, und vollendete dann seine Studien in Wittenberg.
In Jena scheint er mit Friedrich Schlegel bekannt geworden zu sein, wo er auch, wie wir vermuthen, unter Fichte studirte. Für diese beiden Männer faßte er hohe Bewunderung und Liebe, und beide äußerten unverkennbar »einen großen und bleibenden Einfluß auf sein ganzes Leben.« Fichte ganz besonders, dessen schwungvolle Beredsamkeit und klarer, ruhiger Enthusiasmus ihn, wie man sagt, als Lehrer geradezu unwiderstehlich machten *), hatte Novalis ganz für seine Theorien gewonnen, und die »Wissenschaftslehre«, welche er, wie uns von dem letztern erzählt wird, mit unermüdlichem Eifer studirte, »scheint die Grundlage aller seiner künftigen philosophischen Betrachtungen gewesen zu sein.«
Außer diesen metaphysischen Forschungen und den gewöhnlichen Studien der klassischen Literatur, scheint sich Novalis auch mit Eifer den physischen Wissenschaften und der Mathematik, der Basis derselben, gewidmet zu haben; schon frühzeitig hatte er viel Geschichte gelesen und Gedichte waren von jeher die Erholung seiner müßigen Stunden, vorzüglich jene Gattung, welche man Märchen nennt. Schon von seiner Kindheit an diente es ihm zur Lieblingserholung, dergleichen zu lesen oder auch selbst ersonnene seinen Geschwistern zu erzählen. Sein »Heinrich von Ofterdingen«, seine größte literarische Arbeit, enthält ein solches Märchen.
Doch, nun war die Zeit gekommen, wo das Studium der Thätigkeit weichen und ein bestimmter Beruf gewählt werden mußte. Beim Ausbruch des französischen Krieges war Novalis von einer gewaltigen und ganz unerwarteten Kriegslust bemeistert worden, doch trugen die Vorstellungen und Bitten seiner Freunde über diese Grille den Sieg davon. Es scheint be-
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stimmt gewesen zu sein, daß er später einmal dem Beruf seines Vaters folgen sollte, und deshalb begab er sich gegen das Ende 1794 nach Arnstadt in Thüringen, um sich unter dem Kreisamtmann Just in praktischen Geschäften zu üben. In diesem Kreisamtmann fand er einen weisen und gütigen Freund, widmete sich redlich den Geschäften und scheint bei allen seinen ernsten Berechnungen einem eben so glatten und gewöhnlichen Leben entgegengesehen zu haben, wie seine vergangenen Jahre gewesen waren.
Ein einziger Zufall, und noch dazu von eben nicht ungewöhnlicher Art, scheint, nach Tieck's Meinung, der ganzen Form seines Daseins eine andere Richtung gegeben zu haben.
»Es war nicht gar lange nach seiner Ankunft in Arnstadt, als er auf einem benachbarten Landgute Sophie v. K. kennen lernte. Der erste Anblick dieser schönen und wunderbar lieblichen Gestalt entschied für sein ganzes Leben, ja man kann sagen, daß die Empfindung, welche ihn durchdrang und beseelte, der Inhalt seines ganzen Lebens ward. Schon in Kindergestalten prägt sich zuweilen ein Ausdruck ab, den wir, weil er zu holdselig und geistig lieblich ist, überirdisch oder himmlisch nennen müssen, und gewöhnlich befällt uns bei diesen verklärten und fast durchsichtigen Angesichtern die Furcht, daß sie zu zart und feingewebt für dieses Leben sind, daß es der Tod oder die Unsterblichkeit ist, die uns so bedeutend aus den glänzenden Augen anschaut; und nur zu oft macht ein schnelles Hinwelken unsere ahnende Furcht zur Wahrheit. Noch ergreifender sind diese Gestalten, wenn sie die Kindheit glücklich zurückgelegt haben und der Jungfrau entgegen blühen. Alle Diejenigen, welche diese wunderbare Geliebte unsers Freundes gekannt haben, komen darin überein, daß es keine Beschreibung ausdrücken könne, in welcher Grazie und himmlischen Anmuth sich dieses überirdische Wesen bewegt, und welche Schönheit sie umglänzt, welche Rührung und Majestät sie umkleidet habe. Novalis ward zum Dichter, so oft er nur von ihr sprach. Sie hatte dreizehn Jahre beschlossen, als er sie kennen lernte; der Frühling und der Sommer von 1795 war die Blüthezeit seines Lebens; jede Stunde, die er seinen Geschäften abgewinnen konnte, brachte er in Grüningen zu, und im Spätherbst desselben Jahres erhielt er von Sophien's Eltern das Jawort für die Zukunft.«
Unglücklicherweise jedoch waren diese schönen Tage von zu kurzer Dauer. Bald darauf ward Sophie tödlich krank, an einem Fieber, welches mit Seitenstechen verbunden war, und ihr Geliebter hatte die schlimmsten Folgen zu
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fürchten. Allmälig verließ sie das Fieber allerdings, aber nicht der Schmerz, »der ihr durch seine Unleidigkeit manche schöne Stunde verdarb« und Grund zu verschiedenen Befürchtungen gab, obschon der Arzt versicherte, daß es damit nichts auf sich habe.
Durch dieses günstige Prognostikon einigermaßen beruhigt, war Novalis nach Weißenfels zu seinen Eltern gereist und warf sich aufs Arbeiten, denn er war nun Auditor in dem Departement, dessen Director sein Vater war. Den Winter hindurch lauteten die Nachrichten von Grüningen ganz günstig; im Frühjahr besuchte er die Familie selbst und fand seine Sophie dem Anscheine nach wohl.
Plötzlich aber im Sommer wurden seine Hoffnungen und Arbeiten durch die Nachricht unterbrochen, daß sie in Jena sei und sich dort habe operiren lassen. Ihre Krankheit war ein Lebergeschwür und sie hatte gewünscht, daß er nicht eher etwas von ihrer Gefahr hören sollte, als bis das Schlimmste vorüber wäre. Der Arzt in Jena ließ Genesung hoffen, aber nur eine sehr langsame; doch bald mußte die Operation wiederholt werden, und nun fürchtete er, daß die Kräfte seiner Patientin schon zu sehr erschöpft seien. Das junge Mädchen ertrug alles dies mit unbeugsamen Muthe und der heitersten Ergebung. Ihre Mutter und Schwester, Novalis mit seinen Eltern und zweien seiner Brüder, die alle den innigsten Antheil an diesem Ereigniß nahmen, thaten ihr Aeußerstes, um sie zu trösten. Im December kehrte sie ihrem eigenen Wunsche zufolge nach Hause zurück, aber es war klar, daß sie immer schwächer und schwächer ward. Novalis war abwechselnd in Grüningen und Weißenfels, wo er auch ein Trauerhaus fand, denn Erasmus, einer dieser beiden Brüder, war schon lange kränklich, so daß man täglich seinen Tod erwartete.
»Der 17. März,« sagte Tieck, »war der fünfzehnte Geburtstag seiner Sophie und den 19. gegen Mittag entschlummerte sie. Niemand wagte die Nachricht Novalis mitzutheilen; endlich übernahm es sein Bruder Karl. Der Trauernde verschloß sich, und nach drei durchweinten Tagen und Nächten reiste er nach Arnstadt, um dort bei seinen treuen Freunden dem geliebten Orte näher zu sein, der jetzt die Ueberreste des theuersten Wesens verbarg.« Schon am 14. April verließ auch sein Bruder Erasmus diese Welt. Novalis schrieb seinem Bruder Karl, der nach Niedersachsen eine Reise hatte machen müssen, diesen Todesfall: »Sei getrost, Erasmus hat überwunden, die Blüthen des
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lieben Kranzes lösen sich hier einzeln auf, um ihn dort schöner und ewig zusammenzusetzen.«
Unter den in diesen Bänden veröffentlichten Schriften befinden sich drei um jene Zeit geschriebene Briefe, in welchen sich die Stimmung des Schreibers auf wehmüthige Weise malt. »Es ist Abend um mich geworden,« sagt er, »während ich noch in die Morgenröthe hineinsah. Meine Trauer ist grenzenlos wie meine Liebe. Drei Jahre ist sie mein stündlicher Gedanke gewesen. Sie allein hat mich an das Leben, an das Land, an meine Beschäftigungen gefesselt. Mit ihr bin ich von Allem getrennt, denn ich habe mich selbst fast nicht mehr. Aber es ist Abend geworden und es ist mir, als würde ich früh weggehen, und da möchte ich doch gern ruhig werden und lauter wohlwollende Gesichter um mich sehen – ganz in ihrem Geiste möchte ich leben, sanft und gutmüthig sein, wie sie war.« Einige Tage später schreibt er: »Ich lebe das alte vergangene Leben hier in stiller Betrachtung durch. – Gestern bin ich funfundzwanzig Jahr alt geworden. Ich war in Grüningen und stand an ihrem Grabe. – Es ist ein freundlicher Platz, mit einem einfachen weißen Gatter verschlossen – abgelegen und hoch. – Es ist noch Raum da. – Das Dorf lehnt sich mit den blühenden Gärten um den Hügel her und an einigen Stellen verliert sich der Blick in blaue Fernen. Ich weiß, Sie hätten gern neben mir gestanden und die Blumen, die ich zum Geburtstag geschenkt erhalten hatte, langsam mit in den Hügel gesteckt. Vor zwei Jahren hatte mir Sophie am nämlichen Tage einen schönen großen Kuchen backen lassen, und eine Fahne und Nationalkokarde daran geheftet. Heute schenkten mir die guten Eltern die kleinen Gaben, die Sophie an ihrem letzten Geburtstage noch mit vieler Freude empfangen hatte. Lieber, – es bleibt Abend und wird bald Nacht werden. Wenn Sie noch weggehen, so behalten Sie mich lieb und besuchen sie einst, wenn Sie wiederkommen, die ruhige Stätte, wo Ihr Freund bei der Asche seiner Geliebten auf ewig ruht. Leben Sie wohl!«
Nichtsdestoweniger kam eine eigenthümliche Fassung über ihn, und aus den tiefsten Tiefen seines Grams erstand ein Frieden und eine reine Freude, wie er sie bis dahin noch niemals gekannt.
»In dieser Zeit,« bemerkt Tieck, »lebte Novalis nur seinem Schmerze; es ward ihm natürlich, die sichtbare und unsichtbare Welt nur als eine einzige zu betrachten, und Leben und Tod nur noch durch die Sehnsucht nach diesem zu trennen. Zugleich aber ward ihm auch das Leben ein Verklärtes
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und sein ganzes Wesen zerfloß wie in einen hellen bewußtvollen Traum eines höhern Daseins. Aus der Heiligkeit des Schmerzes, der innigen Liebe und der frommen Todessehnsucht erklären sich sein Wesen und alle seine Vorstellungen; auch ist es wohl möglich, daß diese Zeit durch tiefe Trauer den Keim des Todes in ihn pflanzte, wenn es nicht überall schon sein bestimmtes Schicksal war, uns so früh entrissen zu werden.
Er blieb viele Wochen in Thüringen und kam getröstet und wahrhaft verklärt zu seinen Geschäften zurück, die er eifriger als je betrieb, ob er sich gleich als einen Fremdling auf Erden betrachtete. In diese Zeit, Einiges früher, Vieles später, vorzüglich in den Herbst dieses Jahres, fallen die meisten jener Aufsätze, die wir auszugsweise unter dem Titel ›Fragmente‹ dem Publikum mitgetheilt haben, eben so die ›Hymnen an die Nacht.‹«
Dies ist der Bericht unseres Biographen über diese Angelegenheit und der wichtige Schluß, zu welchem er gekommen. Wir haben uns um so ausführlicher und fast durchgängig mit den Worten des Textes darüber verbreitet, um unsere Leser desto besser in den Stand zu setzen, zu beurtheilen, worauf Tieck seine Ansicht stützt, daß hierin der Schlüssel zu Novalis' ganzer geistiger Geschichte liegt, daß »die Empfindung, welche ihn durchdrang und beseelte, der Inhalt seines ganzen Lebens ward.«
Es würde uns übel anstehen, einem Manne zu widersprechen, der so wohlbefähigt ist, über alle Gegenstände zu urtheilen und sich so ganz besonderer Gelegenheiten erfreute, sich ein richtiges Urtheil über diesen zu bilden; aber dennoch möchten wir sagen, daß unserer Ansicht nach und bei reiflicher Erwägung die Gewißheit dieser Hypothese keineswegs klar wird. Noch richtiger würden wir uns vielleicht ausdrücken, wenn wir erklärten, daß wir blos gegen die allzubestimmte und exclusive Sprache Einwand erheben, in welcher die Hypothese ausgedrückt ist, denn die Wahrheit des Falles scheint uns so einfach zu sein, daß wir nicht umhin können, zu glauben, Tieck selbst werde sich dazu verstehen, seine Behauptung zu modificiren.
Daß die ganze philosophische und moralische Existenz eines solchen Mannes, wie Novalis, durch den Tod eines jungen Mädchens, fast eines Kindes, welches sich, so weit aus der Erzählung hervorgeht, durch weiter nichts als ihre Schönheit, die jedenfalls von keiner langen Dauer gewesen sein kann, auszeichnete, geformt und bestimmt worden sein soll, – das muß ohne Zweifel einem Jeden als eine sehr eigenthümliche Schlußfolgerung erscheinen.
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Wir können nicht umhin, zu glauben, daß ein in moralischer Wirkung ganz ähnliches Resultat durch viele verschiedene andere Mittel hätte erreicht werden können, ja, daß es auf dem einen oder auf dem andern Wege ganz gewiß erreicht worden wäre. Für Geister, wie Novalis, ist irdisches Glück in keinem Falle so süß und so vollkommen, daß es nicht mit der Zeit die große Nothwendigkeit des Entsagens lehrte, wodurch allein, wie ein Herrn Tieck wohlbekannter weiser Mann bemerkt hat, der wirkliche Eintritt ins Lebens als begonnen betrachtet werden kann.
Die Erfahrung, dieser große Schulmeister, scheint Novalis durch die Vereitelung seines ersten leidenschaftlichen Wunsches diese Lehre ziemlich frühzeitig beigebracht zu haben, und hierin liegt der wirkliche Einfluß, den Sophie v. K. auf seinen Charakter äußerte – ein Einfluß, den, wie wir glauben, viele andere Dinge auf dieselbe Weise ausgeübt haben könnten und würden, denn es ist weniger die Strenge des Lehrers, als vielmehr die Gelehrigkeit des Schülers, was den Erfolg des Unterrichts sichert. Auch hängen die läuternden Wirkungen vereitelter Hoffnung und Liebe, welche in dieser Welt stets heimathlos sein wird, nicht von dem Werthe oder der Liebenswürdigkeit ihrer Gegenstände ab, sondern von der des Herzens, welches sie hegte und aus so schmerzlicher Täuschung sanfte Weisheit zu gewinnen wußte.
Wir sagen damit nicht, daß Novalis ganz derselbe geblieben sei, wenn dieses junge Mädchen auch nicht gewesen wäre. Ursachen und Wirkungen, welche jeden Menschen und jedes Ding mit jedem andern in Zusammenhang bringen, erstrecken sich durch alle Zeit und allen Raum, sicherlich aber scheint es ungerecht zu sein, ihn als so ganz fügsam in den Händen des Zufalls darzustellen; als eine Flöte, auf welcher das Schicksal beliebige Melodien spielt, und die einen geheimnißvollen, fast überirdischen Klang von sich gab, blos weil ein junges Mädchen schön und sterblich war.
Wir fühlen uns um so mehr berechtigt, diese hartherzigen und so unromantischen Einwendungen aufzustellen, wenn wir den unmittelbar folgenden Satz in Tieck's Erzählung lesen. Unmittelbar nach jenem betrübenden Ereigniß geht Novalis nach Freiberg und macht hier im Jahre 1798, also ungefähr ein Jahr nach dem Tode seiner ersten Liebe, die Bekanntschaft einer gewissen Julie v. Ch., mit welcher er sich verlobt! In der That scheint von dieser Zeit an bis zuletzt sein Leben mehr als gewöhnlich heiter und glücklich gewesen zu sein.
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Tieck weiß nicht recht, was er über diese Verlobung sagen soll, die in den Augen der meisten Romanleser so empörend erscheinen muß. Er giebt zu, daß sie »vielleicht jedem andern außer seinen vertrauten Freunden sonderbar dünken werde;« behauptet aber nichtsdestoweniger, daß »Sophie, wie auch aus seinen Werken zu ersehen, der Mittelpunkt seiner Gedanken blieb, daß er sie als eine Abgeschiedene fast noch mehr verehrte, als da sie ihm noch sichtbar nahe war, aber daß er doch glaubte, Liebenswürdigkeit und Schönheit könnten ihm gewissermaßen jenen Verlust ersetzen;« und damit überläßt er uns unseren eigenen Betrachtungen über die Sache. Nach unserer Meinung wird dadurch über die oben ausgesprochene Kritik noch mehr Licht verbreitet und unser Glaube an Tieck's Theorie noch mehr erschüttert.
Und dennoch erscheint vielleicht nur in einem sentimentalen Romane oder vor dem Richterstuhle der zärtlichen Phantasie ein solches Verfahren sehr tadelnswerth. Die Beständigkeit in ihrer wahren Bedeutung kann allerdings die Wurzel aller Vortrefflichkeit genannt werden, und ganz besonders vortrefflich ist die Beständigkeit im Gutesthun und in freundlicher Unterstützung Derer, die uns lieben, und Derer, die uns hassen; Beständigkeit in passiven Leiden dagegen ist trotz des hohen Werthes, der in Leihbibliotheken darauf gesetzt wird, eine entschieden untergeordnete Tugend, mehr ein Zufall als eine Tugend, und auf alle Fälle in dieser Welt außerordentlich selten.
Für Novalis konnte seine Sophie immer noch ein heiliges wehmüthiges und unaussprechlich mildes, im innersten Herzen zu verehrendes Andenken bleiben, aber eine Verehrung dieser Art ist nicht das Einzige, was der Mensch zu thun hat, und deshalb dürfen wir auch Novalis nicht tadeln, daß er seine Thränen trocknet und sich wiederum mit Hoffnung auf der Erde umschaut, die noch wie zuvor die seltsamste Mischung von Geheimniß und Licht, von Freude sowohl als Kummer ist. »Das Leben gehört den Lebenden, und wer da lebt, muß auf Wechselfälle gefaßt sein.« Der tadelnswerthe Umstand in Bezug auf Novalis ist vielleicht blos seine allzugroße Eile, mit welcher er dieses Verhältniß schloß, ein um so mehr zu bedauerndes Mißgeschick, als auch diese Heirath ein bloßes Project blieb, dessen Verwirklichung er nur im Geiste sah.
Um unter dem berühmten Werner Mineralogie zu studiren, war Novalis nach Freiberg gegangen. Zu dieser Wissenschaft hatte er große Neigung, wie überhaupt zu allen Naturwissenschaften, welche er, wenn wir nach seinen Schriften urtheilen dürfen, nach einem großen und originellen Plane
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betrieben zu haben scheint, der von dem unserer unfruchtbaren Theoretiker und Verallgemeinerer eben so verschieden war, wie von dem jener noch traurigeren Klasse, welche blos »Thatsachen« sammelt und die Erstarrung oder das gänzliche Erlöschen des Gedankens durch den um so fleißigeren Gebrauch des Löthrohrs und des Winkelmessers zu ersetzen sucht.
Zu dieser Zeit ward in Freiberg der Anfang eines Werkes unter dem Titel »die Lehrlinge zu Sais« geschrieben, welches, wie Tieck uns mittheilt, ein »physikalischer Roman« werden sollte; aber es blieb unbeendet liegen und wir besitzen davon nur ein sehr geheimnißvolles Bruchstück, welches uns wissenschaftliche Tiefen enthüllt, zu deren Einblick wir des Lichtes ermangeln, noch weit mehr aber der Mittel, sie zu ergründen und genau zu messen. Die verschiedenen hypothetischen Ansichten über die »Natur«, das heißt die sichtbare Schöpfung, welche hier in den Worten der verschiedenen »Lehrlinge« mitgetheilt werden, weichen fast sämmtlich mehr oder weniger von allen ab, die wir anderswo gefunden. Wir werden Gelegenheit haben, später spezieller auf dieses Werk zurückzukommen.
Die Bekanntschaft, welche Novalis bald darauf mit dem ältern Schlegel (August Wilhelm) schloß, und noch mehr die mit Tieck, den er auch zuerst in Jena traf, scheint seinen Studien eine wesentlich andere Richtung gegeben zu haben. Tieck und die Schlegels mit einigen weniger thätigen Genossen, unter welchen jetzt Wackenroder und Novalis genannt werden, waren damals in ihrem weitberühmten Feldzuge gegen die, wie sie sich selbst nannte, »alte Schule« der Literatur begriffen, welche alte und ziemlich verächtliche »Schule« sie schon sowohl durch regelmäßigen, als durch Guerillaskrieg bedeutend in die Enge getrieben, bis es ihnen vollends gelang, sie gänzlich auszurotten oder wenigstens bis über die Grenzen ihres heimischen Cimmeriens zurückzutreiben.
In Folge der Bekanntschaft mit diesen Männern scheint Novalis zuerst der Welt als Schriftsteller bekannt geworden zu sein. Einige seiner Fragmente, unter dem Titel »Blüthenstaub«, seine »Hymnen an die Nacht« und verschiedene andere Gedichte erschienen in F. Schlegel's Musenalmanach und anderen Zeitschriften unter derselben oder befreundeter Redaction. Novalis selbst scheint zu bekennen, daß es Tieck's Einfluß war, welcher hauptsächlich »die Poesie wieder in ihm erweckte.«
Was die Aufnahme betraf, die diese Arbeiten fanden, so erfahren wir darüber nichts; Novalis scheint indessen in seinen neuen Bestrebungen eben
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so eifrig als fleißig, wie in seinen alten und nicht weniger glücklich als fleißig gewesen zu sein.
»Im Sommer 1799,« erzählt Tieck, »sah ich ihn zuerst, als ich meinen Freund Wilhelm Schlegel in Jena besuchte und unsere Bekanntschaft wurde sogleich zur vertrauten Freundschaft. Es waren schöne Tage, die wir mit Schlegel, Schelling und einigen andern Freunden verlebten. Auf meiner Rückreise besuchte ich ihn in seinem Hause und lernte seine Familie kennen. Hier las er mir die Lehrlinge zu Sais und manche seiner Fragmente. Er begleitete mich dann nach Halle und wir genossen in Giebichenstein im Reichardt'schen Hause noch einige sehr heitere Stunden. Um diese Zeit war in ihm der erste Gedanke zum Ofterdingen entstanden. Damals hatte er auch schon einige von seinen geistlichen Liedern gedichtet; sie sollten einen Theil eines christlichen Gesangbuches ausmachen, welches er mit einer Sammlung von Predigten begleiten wollte. Er war übrigens in seinen Berufsarbeiten sehr fleißig; Alles, was er that, that er mit Liebe, und auch das Geringste war ihm nicht unbedeutend.«
Die hier erwähnten Berufsarbeiten scheinen ihm viel Muße übrig gelassen zu haben und sogar Zeit zu häufigem Wechsel des Aufenthalts. Bald darauf finden wir ihn »lange an einem einsamen Orte in der güldenen Aue in Thüringen am Fuße des Kyffhäuser Berges.« Sein hauptsächlicher Umgang waren zwei Militairs, spätere Generale, »in welcher Einsamkeit ein großer Theil des Ofterdingen ausgearbeitet ward.«
Der erste Band dieses »Heinrich von Ofterdingen«, einer Art Kunstroman, der, wie er selbst sagte, eine Apotheose der Poesie sein sollte, ward sehr bald veröffentlicht; unter welchen Umständen und mit welchem Erfolg, darüber liegt uns, wie wir schon oben bemerkten, keine Mittheilung vor.
Tieck hatte seit einiger Zeit in Jena gewohnt und war oft mit Novalis zusammengetroffen. Als er diese Gegend verlassen wollte, stattete er ihm einen Abschiedsbesuch in Weißenfels ab, fand ihn wohl etwas blässer, aber »begeistert von Planen seines künftigen Glücks; seine Wohnung war schon eingerichtet, denn im August wollte er seine Verbindung mit seiner Braut feiern. Eben so gern sprach er von der baldigen Vollendung des Ofterdingen und anderer Bücher; sein Leben schien sich in die reichste Thätigkeit und Liebe auszubreiten.«
Dies war im Jahre 1800. Vier Jahre früher hatte Novalis sich nach dem Tode gesehnt und ihm entgegengesehen und er war ihm nicht be-
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schieden; jetzt ist das Leben wieder reich und breitet sich weit aus vor seinen Blicken und dennoch steht das Ende nahe bevor. Tieck nahm Abschied von ihm und, wie das Schicksal wollte, für immer.
Im Monat August, als Novalis zu seiner Hochzeit nach Freiberg reisen wollte, fing er an Blut auszuwerfen. Der Arzt erklärte es allerdings für unerheblich, aber dennoch ward die Hochzeit aufgeschoben. Er ging mit seinen Eltern nach Dresden, um dort ärztlichen Rath zu suchen, blieb hier einige Zeit, ohne daß sein Zustand sich besserte, und als er den zufälligen Tod eines jungen Bruders zu Hause erfuhr, bekam er einen Blutsturz, worauf sein Arzt gleich erklärte, daß sein Uebel unheilbar sei. Dies aber war, wie dies bei solchen Krankheiten gewöhnlich der Fall ist, die eigene Ansicht des Patienten keineswegs; er wünschte ein wärmeres Klima zu versuchen, aber man glaubte, er sei zu schwach zur Reise. Im Januar 1801 kehrte er nach Hause zurück und Allen, nur ihm selbst nicht, war es klar, daß es rasch mit ihm zu Ende ging. Seine Braut hatte ihn schon in Dresden besucht. Wir theilen das noch Uebrige in Tieck's Worten mit:
»Je mehr er sich seinem Ende näherte, um so gewisser hoffte er auf eine baldige Genesung, denn der Husten verminderte sich, und, die Mattigkeit abgerechnet, hatte er kein Gefühl von Krankheit. Mit der Hoffnung und der Sehnsucht zum Leben schien auch neues Talent und frische Kraft in ihm aufzugehen; er dachte mit verjüngter Liebe an alle seine projectirten Arbeiten, er nahm sich vor, den Ofterdingen ganz von neuem umzuschreiben, und kurz vor seinem Tode sagte er einmal: Jetzt habe ich erst erfahren, was Poesie ist, unzählige, und ganz andere Lieder und Gedichte, als die ich bisher geschrieben habe, sind in mir aufgegangen. – Vom 19. März ab, dem Todestag seiner Sophie, wurde er auffallend schwächer, viele seiner Freunde besuchten ihn, und eine große Freude empfand er, als am 21. März sein treuer und ältester Freund, Friedrich Schlegel, von Jena zu ihm kam. Mit diesem unterhielt er sich viel, vorzüglich über ihre beiderseitigen Arbeiten. In diesen Tagen war er sehr lebhaft und seine Nächte waren ruhig, auch genoß er eines ziemlich gesunden Schlafes. Am 25. früh um sechs Uhr ließ er sich von seinem Bruder einige Bücher reichen, um etwas nachzuschlagen, dann bestellte er sein Frühstück und sprach mit Munterkeit bis acht; gegen neun Uhr bat er seinen Bruder, ihm auf dem Klavier etwas vorzuspielen, worüber er einschlief. Friedrich Schlegel trat bald darauf in das Zimmer und fand ihn ruhig schlafen; dieser Schlaf währte bis nach zwölf Uhr,
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worauf er ohne die mindeste Bewegung verschied, und unverändert im Tode seine gewöhnliche freundliche Miene hatte, als wenn er noch lebte.
So starb, ehe er noch das neunundzwanzigste Jahr vollendet hatte, unser Freund, an dem man eben so sehr seine ausgebreiteten Kenntnisse, sein philosophisches Genie, wie sein Dichtertalent lieben und bewundern muß. Da er seiner Zeit so vorgeeilt war, so durfte sich das Vaterland außerordentliche Dinge von ihm versprechen, wenn ihn dieser frühe Tod nicht übereilt hätte, doch haben seine unvollendeten nachgelassenen Schriften schon viel gewirkt, und viele seiner großen Gedanken werden noch in Zukunft begeistern und edle Gemüther und tiefe Denker werden von den Funken seines Geistes erleuchtet und entzündet werden.
Novalis war groß, schlank und von edlen Verhältnissen. Er trug sein lichtbraunes Haar in herabfallenden Locken, welches damals weniger auffiel, als es jetzt geschehen würde; sein braunes Auge war hell und glänzend, und die Farbe seines Gesichtes, besonders der geistreichen Stirn, fast durchsichtig. Hand und Fuß war etwas zu groß und ohne feinen Ausdruck. Seine Miene war stets heiter und wohlwollend. Für Denjenigen, der nur die Menschen nach dem Maße unterscheidet, in welchem sie sich vordrängen, oder durch gesuchten Anstand, durch Das, was die Mode verlangt, zu imponiren oder aufzufallen suchen, verlor sich Novalis in der Menge; dem geübteren Auge aber bot er die Erscheinung der Schönheit dar. Der Umriß und der Ausdruck seines Gesichtes kam sehr dem Evangelisten Johannes nahe, wie wir ihn auf der herrlichen großen Tafel von A. Dürer sehen, die Nürnberg und München aufbewahrt.
Sein Gespräch war lebhaft und laut, seine Geberde großartig, ich habe ihn nie ermüdet gesehen; wenn wir die Unterhaltung auch tief in die Nacht hinein fortsetzten, brach er nur willkürlich ab, um zu ruhen, und las auch dann noch, ehe er einschlief. Langeweile kannte er nicht, selbst in drückenden Gesellschaften unter mittelmäßigen Köpfen, denn er entdeckte gewiß irgend eine Person, die ihm eine noch fremde Kenntniß mittheilte, die er brauchen konnte, so geringfügig sie auch sein mochte. Seine Freundlichkeit, seine offene Mittheilung machten, daß er allenthalben geliebt war, seine Virtuosität in der Kunst des Umganges war so groß, daß geringere Köpfe es niemals wahrgenommen haben, wie sehr er sie übersahe. Wie er auch am liebsten die Tiefen des Gemüthes im Gespräch enthüllte, als begeistert von den Regionen unsichtbarer Welten sprach, so war er doch fröhlich wie
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ein Kind, scherzte in unbefangener Heiterkeit und gab sich selbst den Scherzen der Gesellschaft hin. Ohne Eitelkeit, gelehrten Hochmuth, entfremdet jeder Affectation und Heuchelei, war er ein ächter, wahrer Mensch, die reinste und lieblichste Verkörperung eines hohen unsterblichen Geistes.«
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Schelling sprach sich, wie wir gehört haben, über Fichte und dessen Wissenschaftslehre folgendermaßen aus: »Die Philosophie Fichte's war wie der Blitz; sie zeigte sich nur einen Augenblick, entzündete aber ein Feuer, welches ewig brennen wird.«
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