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Unter dieser Rede hatte sich der Lehrer mit seinen
Lehrlingen der Gesellschaft genähert. Die
Reisenden standen auf und begrüßten ihn
ehrfurchtsvoll. Eine erfrischende Kühlung
verbreitete sich aus den dunkeln Laubgängen über
den Platz und die Stufen. Der Lehrer ließ einen
jener seltnen leuchtenden Steine bringen, die man
Karfunkel nennt, und ein hellrotes, kräftiges
Licht goß sich über die verschiednen Gestalten und
Kleidungen aus. Es entspann sich bald eine
freundliche Mitteilung unter ihnen. Während eine
Musik aus der Ferne sich hören ließ und eine
kühlende Flamme aus Kristallschalen in die Lippen
der Sprechenden hineinloderte, erzählten die
Fremden merkwürdige Erinnerungen ihrer weiten
Reisen. Voll Sehnsucht und Wißbegierde hatten sie
sich aufgemacht, um die Spuren jenes verloren
gegangenen Urvolks zu suchen, dessen entartete und
verwilderte Reste die heutige Menschheit zu sein
schiene, dessen hoher Bildung sie noch die
wichtigsten und unentbehrlichsten Kenntnisse und
Werkzeuge zu danken hat. Vorzüglich hatte sie jene
heilige Sprache gelockt, die das glänzende Band
jener königlichen Menschen mit überirdischen
Gegenden und Bewohnern gewesen war, und von der
einige Worte, nach dem Verlaut mannigfaltiger
Sagen, noch im Besitz einiger glücklichen Weisen
unter unsern Vorfahren gewesen sein mögen. Ihre
Aussprache war ein wunderbarer Gesang, dessen
unwiderstehliche Töne tief in das Innere jeder
Natur eindrangen und sie zerlegten. Jeder ihrer
Namen schien das Losungswort für die Seele jedes
Naturkörpers. Mit schöpferischer Gewalt erregten
diese Schwingungen alle Bilder der
Welterscheinungen, und von ihnen konnte man mit
Recht sagen, daß das Leben des Universums ein
ewiges tausendstimmiges Gespräch sei; denn in
ihrem Sprechen schienen alle Kräfte, alle Arten
der Tätigkeit auf das unbegreiflichste vereinigt
zu sein. Die Trümmer dieser Sprache, wenigstens
alle Nachrichten von ihr, aufzusuchen, war ein
Hauptzweck ihrer Reise gewesen, und der Ruf des
Altertums hatte sie auch nach Sais gezogen. Sie
hofften hier von den erfahrnen Vorstehern des
Tempelarchivs wichtige Nachrichten zu erhalten,
und vielleicht in den großen Sammlungen aller Art
selbst Aufschlüsse zu finden. Sie baten den Lehrer
um die Erlaubnis, eine Nacht im Tempel schlafen,
und seinen Lehrstunden einige Tage beiwohnen zu
dürfen. Sie erhielten was sie wünschten, und
freuten sich innig, wie der Lehrer aus dem Schatze
seiner Erfahrungen ihre Erzählungen mit
mannigfaltigen Bemerkungen begleitete, und eine
Reihe lehrreicher und anmutiger Geschichten und
Beschreibungen vor ihnen entwickelte. Endlich kam
er auch auf das Geschäft seines Alters, den
unterschiednen Natursinn in jungen Gemütern zu
erwecken, zu üben, zu schärfen, und ihn mit den
andern Anlagen zu höheren Blüten und Früchten zu
verknüpfen.
(RUB 7991, S. 95–96)
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