[29. Absatz]
»Wem regt sich nicht«, rief der Jüngling mit
funkelndem Auge, »das Herz in hüpfender Lust, wenn
ihm das innerste Leben der Natur in seiner ganzen
Fülle in das Gemüt kommt! wenn dann jenes mächtige
Gefühl, wofür die Sprache keine andere Namen als
Liebe und Wollust hat, sich in ihm ausdehnt, wie
ein gewaltiger, alles auflösender Dunst, und er
bebend in süßer Angst in den dunkeln lockenden
Schoß der Natur versinkt, die arme Persönlichkeit
in den überschlagenden Wogen der Lust sich
verzehrt, und nichts als ein Brennpunkt der
unermeßlichen Zeugungskraft, ein verschluckender
Wirbel im großen Ozean übrigbleibt! Was ist die
überall erscheinende Flamme? Eine innige Umarmung,
deren süße Frucht in wollüstigen Tropfen
heruntertaut. Das Wasser, dieses erstgeborne Kind
luftiger Verschmelzungen, kann seinen wollüstigen
Ursprung nicht verleugnen und zeigt sich, als
Element der Liebe und der Mischung mit himmlischer
Allgewalt auf Erden. Nicht unwahr haben alte
Weisen im Wasser den Ursprung der Dinge gesucht,
und wahrlich sie haben von einem höhern Wasser,
als dem Meer- und Quellwasser gesprochen. In jenem
offenbaret sich nur das Urflüssige, wie es im
flüssigen Metall zum Vorschein kommt, und darum
mögen die Menschen es immer auch nur göttlich
verehren. Wie wenige haben sich noch in die
Geheimnisse des Flüssigen vertieft und manchem ist
diese Ahndung des höchsten Genusses und Lebens
wohl nie in der trunkenen Seele aufgegangen. Im
Durste offenbaret sich diese Weltseele, diese
gewaltige Sehnsucht nach dem Zerfließen. Die
Berauschten fühlen nur zu gut diese überirdische
Wonne des Flüssigen, und am Ende sind alle
angenehme Empfindungen in uns mannigfache
Zerfließungen, Regungen jener Urgewässer in uns.
Selbst der Schlaf ist nichts als die Flut jenes
unsichtbaren Weltmeers, und das Erwachen das
Eintreten der Ebbe. Wie viele Menschen stehn an
den berauschenden Flüssen und hören nicht das
Wiegenlied dieser mütterlichen Gewässer, und
genießen nicht das entzückende Spiel ihrer
unendlichen Wellen! Wie diese Wellen, lebten wir
in der goldnen Zeit; in buntfarbigen Wolken,
diesen schwimmenden Meeren und Urquellen des
Lebendigen auf Erden, liebten und erzeugten sich
die Geschlechter der Menschen in ewigen Spielen;
wurden besucht von den Kindern des Himmels und
erst in jener großen Begebenheit, welche heilige
Sagen die Sündflut nennen, ging diese blühende
Welt unter; ein feindliches Wesen schlug die Erde
nieder, und einige Menschen blieben geschwemmt auf
die Klippen der neuen Gebirge in der fremden Welt
zurück. Wie seltsam, daß gerade die heiligsten und
reizendsten Erscheinungen der Natur in den Händen
so toter Menschen sind, als die Scheidekünstler zu
sein pflegen! sie, die den schöpferischen Sinn der
Natur mit Macht erwecken, nur ein Geheimnis der
Liebenden, Mysterien der höhern Menschheit sein
sollten, werden mit Schamlosigkeit und sinnlos von
rohen Geistern hervorgerufen, die nie wissen
werden, welche Wunder ihre Gläser umschließen. Nur
Dichter sollten mit dem Flüssigen umgehn, und von
ihm der glühenden Jugend erzählen dürfen; die
Werkstätten wären Tempel und mit neuer Liebe
würden die Menschen ihre Flamme und ihre Flüsse
verehren und sich ihrer rühmen. Wie glücklich
würden die Städte sich wieder dünken, die das Meer
oder ein großer Strom bespült, und jede Quelle
würde wieder die Freistätte der Liebe und der
Aufenthalt der erfahrnen und geistreichen
Menschen. Darum lockt auch die Kinder nichts mehr
als Feuer und Wasser, und jeder Strom verspricht
ihnen, in die bunte Ferne, in schönere Gegenden
sie zu führen. Es ist nicht bloß Widerschein, daß
der Himmel im Wasser liegt, es ist eine zarte
Befreundung, ein Zeichen der Nachbarschaft, und
wenn der unerfüllte Trieb in die unermeßliche Höhe
will, so versinkt die glückliche Liebe gern in die
endlose Tiefe. Aber es ist umsonst, die Natur
lehren und predigen zu wollen. Ein Blindgeborner
lernt nicht sehen, und wenn man ihm noch so viel
von Farben und Lichtern und fernen Gestalten
erzählen wollte. So wird auch keiner die Natur
begreifen, der kein Naturorgan, kein innres
naturerzeugendes und absonderndes Werkzeug hat,
der nicht, wie von selbst, überall die Natur an
allem erkennt und unterscheidet und mit angeborner
Zeugungslust, in inniger mannigfaltiger
Verwandtschaft mit allen Körpern, durch das Medium
der Empfindung, sich mit allen Naturwesen
vermischt, sich gleichsam in sie hineinfühlt. Wer
aber einen richtigen und geübten Natursinn hat,
der genießt die Natur, indem er sie studiert, und
freut sich ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit,
ihrer Unerschöpflichkeit im Genusse, und bedarf
nicht, daß man ihn mit unnützen Worten in seinen
Genüssen störe. Ihm dünkt vielmehr, daß man nicht
heimlich genug mit der Natur umgehen, nicht zart
genug von ihr reden, nicht ungestört und
aufmerksam genug sie beschauen kann. Er fühlt sich
in ihr, wie am Busen seiner züchtigen Braut und
vertraut auch nur dieser seine erlangten
Einsichten in süßen vertraulichen Stunden.
Glücklich preis ich diesen Sohn, diesen Liebling
der Natur, dem sie verstattet sie in ihrer
Zweiheit, als erzeugende und gebärende Macht, und
in ihrer Einheit, als eine unendliche,
ewigdauernde Ehe, zu betrachten. Sein Leben wird
eine Fülle aller Genüsse, eine Kette der Wollust
und seine Religion der eigentliche, echte
Naturalismus sein.«
(RUB 7991, S. 92–95)
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