[25. Absatz]
»Nur die Dichter haben es gefühlt, was die Natur
den Menschen sein kann«, begann ein schöner
Jüngling, »und man kann auch hier von ihnen sagen,
daß sich die Menschheit in ihnen in der
vollkommensten Auflösung befindet, und daher jeder
Eindruck durch ihre Spiegelhelle und Beweglichkeit
rein in allen seinen unendlichen Veränderungen
nach allen Seiten fortgepflanzt wird. Alles finden
sie in der Natur. Ihnen allein bleibt die Seele
derselben nicht fremd, und sie suchen in ihrem
Umgang alle Seligkeiten der goldnen Zeit nicht
umsonst. Für sie hat die Natur alle Abwechselungen
eines unendlichen Gemüts, und mehr als der
geistvollste, lebendigste Mensch überrascht sie
durch sinnreiche Wendungen und Einfälle,
Begegnungen und Abweichungen, große Ideen und
Bizarrerien. Der unerschöpfliche Reichtum ihrer
Phantasie läßt keinen vergebens ihren Umgang
aufsuchen. Alles weiß sie zu verschönern, zu
beleben, zu bestätigen, und wenn auch im Einzelnen
ein bewußtloser, nichtsbedeutender Mechanismus
allein zu herrschen scheint, so sieht doch das
tiefer sehende Auge eine wunderbare Sympathie mit
dem menschlichen Herzen im Zusammentreffen und in
der Folge der einzelnen Zufälligkeiten. Der Wind
ist eine Luftbewegung, die manche äußere Ursachen
haben kann, aber ist er dem einsamen,
sehnsuchtsvollen Herzen nicht mehr, wenn er
vorübersaust, von geliebten Gegenden herweht und
mit tausend dunkeln, wehmütigen Lauten den stillen
Schmerz in einen tiefen melodischen Seufzer der
ganzen Natur aufzulösen scheint? Fühlt nicht so
auch im jungen, bescheidnen Grün der
Frühlingswiesen der junge Liebende seine ganze
blumenschwangre Seele mit entzückender Wahrheit
ausgesprochen, und ist je die Üppigkeit einer nach
süßer Auflösung in goldnen Wein lüsternen Seele
köstlicher und erwecklicher erschienen, als in
einer vollen, glänzenden Traube, die sich unter
den breiten Blättern halb versteckt? Man
beschuldigt die Dichter der Übertreibung, und hält
ihnen ihre bildliche uneigentliche Sprache
gleichsam nur zugute, ja man begnügt sich ohne
tiefere Untersuchung, ihrer Phantasie jene
wunderliche Natur zuzuschreiben, die manches sieht
und hört, was andere nicht hören und sehen, und
die in einem lieblichen Wahnsinn mit der
wirklichen Welt nach ihrem Belieben schaltet und
waltet; aber mir scheinen die Dichter noch bei
weitem nicht genug zu übertreiben, nur dunkel den
Zauber jener Sprache zu ahnden und mit der
Phantasie nur so zu spielen, wie ein Kind mit dem
Zauberstabe seines Vaters spielt. Sie wissen
nicht, welche Kräfte ihnen untertan sind, welche
Welten ihnen gehorchen müssen. Ist es denn nicht
wahr, daß Steine und Wälder der Musik gehorchen
und, von ihr gezähmt, sich jedem Willen wie
Haustiere fügen? – Blühen nicht wirklich die
schönsten Blumen um die Geliebte und freuen sich
sie zu schmücken? Wird für sie der Himmel nicht
heiter und das Meer nicht eben? – Drückt nicht die
ganze Natur so gut, wie das Gesicht, und die
Gebärden, der Puls und die Farben, den Zustand
eines jeden der höheren, wunderbaren Wesen aus,
die wir Menschen nennen? Wird nicht der Fels ein
eigentümliches Du, eben wenn ich ihn anrede? Und
was bin ich anders, als der Strom, wenn ich
wehmütig in seine Wellen hinabschaue, und die
Gedanken in seinem Gleiten verliere? Nur ein
ruhiges, genußvolles Gemüt wird die Pflanzenwelt,
nur ein lustiges Kind oder ein Wilder die Tiere
verstehn. – Ob jemand die Steine und Gestirne
schon verstand, weiß ich nicht, aber gewiß muß
dieser ein erhabnes Wesen gewesen sein. In jenen
Statuen, die aus einer untergegangenen Zeit der
Herrlichkeit des Menschengeschlechts
übriggeblieben sind, leuchtet allein so ein tiefer
Geist, so ein seltsames Verständnis der Steinwelt
hervor, und überzieht den sinnvollen Betrachter
mit einer Steinrinde, die nach innen zu wachsen
scheint. Das Erhabne wirkt versteinernd, und so
dürften wir uns nicht über das Erhabne der Natur
und seine Wirkungen wundern, oder nicht wissen, wo
es zu suchen sei. Könnte die Natur nicht über den
Anblick Gottes zu Stein geworden sein? Oder vor
Schrecken über die Ankunft des Menschen?«
(RUB 7991, S. 86–89)
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