[26. Absatz]
Über diese Rede war der, welcher zuerst gesprochen
hatte, in tiefe Betrachtung gesunken, die fernen
Berge wurden buntgefärbt, und der Abend legte sich
mit süßer Vertraulichkeit über die Gegend. Nach
einer langen Stille hörte man ihn sagen: »Um die
Natur zu begreifen, muß man die Natur innerlich in
ihrer ganzen Folge entstehen lassen. Bei dieser
Unternehmung muß man sich bloß von der göttlichen
Sehnsucht nach Wesen, die uns gleich sind, und den
notwendigen Bedingungen dieselben zu vernehmen,
bestimmen lassen, denn wahrhaftig die ganze Natur
ist nur als Werkzeug und Medium des
Einverständnisses vernünftiger Wesen begreiflich.
Der denkende Mensch kehrt zur ursprünglichen
Funktion seines Daseins, zur schaffenden
Betrachtung, zu jenem Punkte zurück, wo
Hervorbringen und Wissen in der wundervollsten
Wechselverbindung standen, zu jenem schöpferischen
Moment des eigentlichen Genusses, des innern
Selbstempfängnisses. Wenn er nun ganz in die
Beschauung dieser Urerscheinung versinkt, so
entfaltet sich vor ihm in neu entstehenden Zeiten
und Räumen, wie ein unermeßliches Schauspiel, die
Erzeugungsgeschichte der Natur, und jeder feste
Punkt, der sich in der unendlichen Flüssigkeit
ansetzt, wird ihm eine neue Offenbarung des Genius
der Liebe, ein neues Band des Du und des Ich. Die
sorgfältige Beschreibung dieser innern
Weltgeschichte ist die wahre Theorie der Natur;
durch den Zusammenhang seiner Gedankenwelt in
sich, und ihre Harmonie mit dem Universum, bildet
sich von selbst ein Gedankensystem zur getreuen
Abbildung und Formel des Universums. Aber die
Kunst des ruhigen Beschauens, der schöpferischen
Weltbetrachtung ist schwer, unaufhörliches ernstes
Nachdenken und strenge Nüchternheit fordert die
Ausführung, und die Belohnung wird kein Beifall
der mühescheuenden Zeitgenossen, sondern nur eine
Freude des Wissens und Wachens, eine innigere
Berührung des Universums sein.«
(RUB 7991, S. 89–90)
[25. Absatz]
|
[27. Absatz]
|
|