[19. Absatz]
Ach! wie bald war die Herrlichkeit vorbei. Es kam
ein Mann aus fremden Landen gegangen, der war
erstaunlich weit gereist, hatte einen langen Bart,
tiefe Augen, entsetzliche Augenbrauen, ein
wunderliches Kleid mit vielen Falten und seltsame
Figuren hineingewebt. Er setzte sich vor das Haus,
das Hyazinths Eltern gehörte. Nun war Hyazinth
sehr neugierig, und setzte sich zu ihm und holte
ihm Brot und Wein. Da tat er seinen weißen Bart
voneinander und erzählte bis tief in die Nacht,
und Hyazinth wich und wankte nicht, und wurde auch
nicht müde zuzuhören. Soviel man nachher vernahm,
so hat er viel von fremden Ländern, unbekannten
Gegenden, von erstaunlich wunderbaren Sachen
erzählt, und ist drei Tage dageblieben, und mit
Hyazinth in tiefe Schachten hinuntergekrochen.
Rosenblütchen hat genug den alten Hexenmeister
verwünscht, denn Hyazinth ist ganz versessen auf
seine Gespräche gewesen, und hat sich um nichts
bekümmert; kaum daß er ein wenig Speise zu sich
genommen. Endlich hat jener sich fortgemacht, doch
dem Hyazinth ein Büchelchen dagelassen, das kein
Mensch lesen konnte. Dieser hat ihm noch Früchte,
Brot und Wein mitgegeben, und ihn weit weg
begleitet. Und dann ist er tiefsinnig
zurückgekommen, und hat einen ganz neuen
Lebenswandel begonnen. Rosenblütchen hat recht zum
Erbarmen um ihn getan, denn von der Zeit an hat er
sich wenig aus ihr gemacht und ist immer für sich
geblieben. Nun begab sichs, daß er einmal nach
Hause kam und war wie neugeboren. Er fiel seinen
Eltern um den Hals, und weinte. Ich muß fort
in fremde Lande sagte er, die alte
wunderliche Frau im Walde hat mir erzählt, wie ich
gesund werden müßte, das Buch hat sie ins Feuer
geworfen, und hat mich getrieben, zu euch zu gehn
und euch um euren Segen zu bitten. Vielleicht
komme ich bald, vielleicht nie wieder. Grüßt
Rosenblütchen. Ich hätte sie gern gesprochen, ich
weiß nicht, wie mir ist, es drängt mich fort; wenn
ich an die alten Zeiten zurückdenken will, so
kommen gleich mächtigere Gedanken dazwischen, die
Ruhe ist fort, Herz und Liebe mit, ich muß sie
suchen gehn. Ich wollt euch gern sagen, wohin, ich
weiß selbst nicht, dahin wo die Mutter der Dinge
wohnt, die verschleierte Jungfrau. Nach der ist
mein Gemüt entzündet. Lebt wohl. Er riß sich
los und ging fort. Seine Eltern wehklagten und
vergossen Tränen, Rosenblütchen blieb in ihrer
Kammer und weinte bitterlich. Hyazinth lief nun
was er konnte, durch Täler und Wildnisse, über
Berge und Ströme, dem geheimnisvollen Lande zu. Er
fragte überall nach der heiligen Göttin (Isis)
Menschen und Tiere, Felsen und Bäume. Manche
lachten manche schwiegen, nirgends erhielt er
Bescheid. Im Anfange kam er durch rauhes, wildes
Land, Nebel und Wolken warfen sich ihm in den Weg,
es stürmte immerfort; dann fand er unabsehliche
Sandwüsten, glühenden Staub, und wie er wandelte,
so veränderte sich auch sein Gemüt, die Zeit wurde
ihm lang und die innre Unruhe legte sich, er wurde
sanfter und das gewaltige Treiben in ihm allgemach
zu einem leisen, aber starken Zuge, in den sein
ganzes Gemüt sich auflöste. Es lag wie viele Jahre
hinter ihm. Nun wurde die Gegend auch wieder
reicher und mannigfaltiger, die Luft lau und blau,
der Weg ebener, grüne Büsche lockten ihn mit
anmutigem Schatten, aber er verstand ihre Sprache
nicht, sie schienen auch nicht zu sprechen, und
doch erfüllten sie auch sein Herz mit grünen
Farben und kühlem, stillem Wesen. Immer höher
wuchs jene süße Sehnsucht in ihm, und immer
breiter und saftiger wurden die Blätter, immer
lauter und lustiger die Vögel und Tiere,
balsamischer die Früchte, dunkler der Himmel,
wärmer die Luft, und heißer seine Liebe, die Zeit
ging immer schneller, als sähe sie sich nahe am
Ziele. Eines Tages begegnete er einem kristallnen
Quell und einer Menge Blumen, die kamen in ein Tal
herunter zwischen schwarzen himmelhohen Säulen.
Sie grüßten ihn freundlich mit bekannten Worten.
Liebe Landsleute, sagte er, wo
find ich wohl den geheiligten Wohnsitz der Isis?
Hier herum muß er sein, und ihr seid vielleicht
hier bekannter, als ich. Wir gehn auch
nur hier durch, antworteten die Blumen;
eine Geisterfamilie ist auf der Reise und
wir bereiten ihr Weg und Quartier, indes sind wir
vor kurzem durch eine Gegend gekommen, da hörten
wir ihren Namen nennen. Gehe nur aufwärts, wo wir
herkommen, so wirst du schon mehr erfahren.
Die Blumen und die Quelle lächelten, wie sie das
sagten, boten ihm einen frischen Trunk und gingen
weiter. Hyazinth folgte ihrem Rat, frug und frug
und kam endlich zu jener längst gesuchten Wohnung,
die unter Palmen und andern köstlichen Gewächsen
versteckt lag. Sein Herz klopfte in unendlicher
Sehnsucht, und die süßeste Bangigkeit durchdrang
ihn in dieser Behausung der ewigen Jahreszeiten.
Unter himmlischen Wohlgedüften entschlummerte er,
weil ihn nur der Traum in das Allerheiligste
führen durfte. Wunderlich führte ihn der Traum
durch unendliche Gemächer voll seltsamer Sachen
auf lauter reizenden Klängen und in abwechselnden
Akkorden. Es dünkte ihm alles so bekannt und doch
in niegesehener Herrlichkeit, da schwand auch der
letzte irdische Anflug, wie in Luft verzehrt, und
er stand vor der himmlischen Jungfrau, da hob er
den leichten, glänzenden Schleier, und
Rosenblütchen sank in seine Arme. Eine ferne Musik
umgab die Geheimnisse des liebenden Wiedersehns,
die Ergießungen der Sehnsucht, und schloß alles
Fremde von diesem entzückenden Orte aus. Hyazinth
lebte nachher noch lange mit Rosenblütchen unter
seinen frohen Eltern und Gespielen, und unzählige
Enkel dankten der alten wunderlichen Frau für
ihren Rat und ihr Feuer; denn damals bekamen die
Menschen so viel Kinder, als sie wollten.« –
(RUB 7991, S. 78–81)
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