[18. Absatz]
Vor langen Zeiten lebte weit gegen Abend ein
blutjunger Mensch. Er war sehr gut, aber auch über
die Maßen wunderlich. Er grämte sich unaufhörlich
um nichts und wieder nichts, ging immer still für
sich hin, setzte sich einsam, wenn die andern
spielten und fröhlich waren, und hing seltsamen
Dingen nach. Höhlen und Wälder waren sein liebster
Aufenthalt, und dann sprach er immerfort mit
Tieren und Vögeln, mit Bäumen und Felsen,
natürlich kein vernünftiges Wort, lauter
närrisches Zeug zum Totlachen. Er blieb aber immer
mürrisch und ernsthaft, ungeachtet sich das
Eichhörnchen, die Meerkatze, der Papagei und der
Gimpel alle Mühe gaben ihn zu zerstreuen, und ihn
auf den richtigen Weg zu weisen. Die Gans erzählte
Märchen, der Bach klimperte eine Ballade
dazwischen, ein großer dicker Stein machte
lächerliche Bockssprünge, die Rose schlich sich
freundlich hinter ihm herum, kroch durch seine
Locken, und der Efeu streichelte ihm die
sorgenvolle Stirn. Allein der Mißmut und Ernst
waren hartnäckig. Seine Eltern waren sehr betrübt,
sie wußten nicht was sie anfangen sollten. Er war
gesund und aß, nie hatten sie ihn beleidigt, er
war auch bis vor wenig Jahren fröhlich und lustig
gewesen, wie keiner; bei allen Spielen voran, von
allen Mädchen gern gesehn. Er war recht bildschön,
sah aus wie gemalt, tanzte wie ein Schatz. Unter
den Mädchen war Eine, ein köstliches, bildschönes
Kind, sah aus wie Wachs, Haare wie goldne Seide,
kirschrote Lippen, wie ein Püppchen gewachsen,
brandrabenschwarze Augen. Wer sie sah, hätte mögen
vergehn, so lieblich war sie. Damals war
Rosenblüte, so hieß sie, dem bildschönen Hyazinth,
so hieß er, von Herzen gut, und er hatte sie lieb
zum Sterben. Die andern Kinder wußtens nicht. Ein
Veilchen hatte es ihnen zuerst gesagt, die
Hauskätzchen hatten es wohl gemerkt, die Häuser
ihrer Eltern lagen nahe beisammen. Wenn nun
Hyazinth die Nacht an seinem Fenster stand und
Rosenblüte an ihrem, und die Kätzchen auf den
Mäusefang da vorbeiliefen, da sahen sie die beiden
stehn, und lachten und kicherten oft so laut, daß
sie es hörten und böse wurden. Das Veilchen hatte
es der Erdbeere im Vertrauen gesagt, die sagte es
ihrer Freundin der Stachelbeere, die ließ nun das
Sticheln nicht, wenn Hyazinth gegangen kam; so
erfuhrs denn bald der ganze Garten und der Wald,
und wenn Hyazinth ausging, so riefs von allen
Seiten: Rosenblütchen ist mein
Schätzchen! Nun ärgerte sich Hyazinth, und
mußte doch auch wieder aus Herzensgrunde lachen,
wenn das Eidechschen geschlüpft kam, sich auf
einen warmen Stein setzte, mit dem Schwänzchen
wedelte und sang:
Rosenblütchen, das gute Kind,
Ist geworden auf einmal blind,
Denkt, die Mutter sei Hyazinth,
Fällt ihm um den Hals geschwind;
Merkt sie aber das fremde Gesicht,
Denkt nur an, da erschrickt sie nicht,
Fährt, als merkte sie kein Wort,
Immer nur mit Küssen fort.
(RUB 7991, S. 77–78)
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