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Nun dünkt es einigen, es sei der Mühe gar nicht
wert, den endlosen Zerspaltungen der Natur
nachzugehn, und überdem ein gefährliches
Unternehmen, ohne Frucht und Ausgang. So wie man
nie das kleinste Korn der festen Körper, nie die
einfachste Faser finden werde, weil alle Größe
vor- und rückwärts sich ins Unendliche verliert,
so sei es auch mit den Arten der Körper und
Kräfte; auch hier gerate man auf neue Arten, neue
Zusammensetzungen, neue Erscheinungen bis ins
Unendliche. Sie schienen dann nur stillzustehn,
wenn unser Fleiß ermatte, und so verschwende man
die edle Zeit mit müßigen Betrachtungen und
langweiligem Zählen, und werde dies zuletzt ein
wahrer Wahnsinn, ein fester Schwindel an der
entsetzlichen Tiefe. Auch bleibe die Natur, so
weit man käme, immer eine furchtbare Mühle des
Todes: überall ungeheurer Umschwung, unauflösliche
Wirbelkette, ein Reich der Gefräßigkeit, des
tollsten Übermuts, eine unglücksschwangere
Unermeßlichkeit; die wenigen lichten Punkte
beleuchteten nur eine desto grausendere Nacht, und
Schrecken aller Art müßten jeden Beobachter zur
Gefühllosigkeit ängstigen. Wie ein Heiland stehe
dem armen Menschengeschlechte der Tod zur Seite,
denn ohne Tod wäre der Wahnsinnigste am
glücklichsten. Gerade jenes Streben nach
Ergründung dieses riesenmäßigen Triebwerks sei
schon ein Zug in die Tiefe, ein beginnender
Schwindel: denn jeder Reiz scheine ein wachsender
Wirbel, der bald sich des Unglücklichen ganz
bemächtige, und ihn dann durch eine schreckenvolle
Nacht mit sich fortreiße. Hier sei die listige
Fallgrube des menschlichen Verstandes, den die
Natur überall als ihren größten Feind zu
vernichten suche. Heil der kindlichen Unwissenheit
und Schuldlosigkeit der Menschen, welche sie die
entsetzlichen Gefahren nicht gewahr werden ließe,
die überall wie furchtbare Wetterwolken um ihre
friedlichen Wohnsitze herlägen, und jeden
Augenblick über sie hereinzubrechen bereit wären.
Nur innre Uneinigkeit der Naturkräfte habe die
Menschen bis jetzo erhalten, indes könne jener
große Zeitpunkt nicht ausbleiben, wo sich die
sämtlichen Menschen durch einen großen
gemeinschaftlichen Entschluß aus dieser peinlichen
Lage, aus diesem furchtbaren Gefängnisse reißen
und durch eine freiwillige Entsagung ihrer
hiesigen Besitztümer auf ewig ihr Geschlecht aus
diesem Jammer erlösen, und in eine glücklichere
Welt, zu ihrem alten Vater retten würden. So
endeten sie doch ihrer würdig, und kämen ihrer
notwendigen, gewaltsamen Vertilgung, oder einer
noch entsetzlicheren Ausartung in Tiere, durch
stufenweise Zerstörung der Denkorgane, durch
Wahnsinn, zuvor. Umgang mit Naturkräften, mit
Tieren, Pflanzen, Felsen, Stürmen und Wogen müsse
notwendig die Menschen diesen Gegenständen
verähnlichen, und diese Verähnlichung, Verwandlung
und Auflösung des Göttlichen und Menschlichen in
unbändige Kräfte sei der Geist der Natur, dieser
fürchterlich verschlingenden Macht: und sei nicht
alles, was man sehe, schon ein Raub des Himmels,
eine große Ruine ehemaliger Herrlichkeiten,
Überbleibsel eines schrecklichen Mahls?
(RUB 7991, S. 72–73)
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