Andere Sprachen:
English
| Español
| Français
5.
Über der Menschen weitverbreitete Stämme
herrschte vor Zeiten ein eisernes
Schicksal mit stummer Gewalt. Eine dunkle,
schwere Binde lag um ihre bange Seele
Unendlich war die Erde der
Götter Aufenthalt, und ihre Heimat. Seit
Ewigkeiten stand ihr geheimnisvoller Bau.
Über des Morgens roten Bergen, in des
Meeres heiligem Schoß wohnte die Sonne,
das allzündende, lebendige Licht. Ein
alter Riese trug die selige Welt. Fest
unter Bergen lagen die Ursöhne der Mutter
Erde. Ohnmächtig in ihrer zerstörenden Wut
gegen das neue herrliche Göttergeschlecht
und dessen Verwandten, die fröhlichen
Menschen. Des Meers dunkle, grüne Tiefe
war einer Göttin Schoß. In den
kristallenen Grotten schwelgte ein üppiges
Volk. Flüsse, Bäume, Blumen und Tiere
hatten menschlichen Sinn. Süßer schmeckte
der Wein von sichtbarer Jugendfülle
geschenkt ein Gott in den Trauben
eine liebende, mütterliche Göttin,
emporwachsend in vollen goldenen Garben
der Liebe heilger Rausch ein süßer
Dienst der schönsten Götterfrau ein
ewig buntes Fest der Himmelskinder und der
Erdbewohner rauschte das Leben, wie ein
Frühling, durch die Jahrhunderte hin
Alle Geschlechter verehrten
kindlich die zarte, tausendfältige Flamme,
als das höchste der Welt. Ein Gedanke nur
war es, Ein entsetzliches Traumbild,
Das furchtbar zu den frohen Tischen trat
Und das Gemüt in wilde Schrecken hüllte.
Hier wußten selbst die Götter keinen Rat
Der die beklommne Brust mit Trost erfüllte.
Geheimnisvoll war dieses Unholds Pfad
Des Wut kein Flehn und keine Gabe stillte;
Es war der Tod, der dieses Lustgelag
Mit Angst und Schmerz und Tränen unterbrach.
Auf ewig nun von allem abgeschieden,
Was hier das Herz in süßer Wollust regt,
Getrennt von den Geliebten, die hienieden
Vergebne Sehnsucht, langes Weh bewegt,
Schien matter Traum dem Toten nur beschieden,
Ohnmächtiges Ringen nur ihm auferlegt.
Zerbrochen war die Woge des Genusses
Am Felsen des unendlichen Verdrusses.
Mit kühnem Geist und hoher Sinnenglut
Verschönte sich der Mensch die grause Larve,
Ein sanfter Jüngling löscht das Licht und ruht
Sanft wird das Ende, wie ein Wehn der Harfe.
Erinnerung schmilzt in kühler Schattenflut,
So sang das Lied dem traurigen Bedarfe.
Doch unenträtselt blieb die ewge Nacht,
Das ernste Zeichen einer fernen Macht.
Zu Ende neigte die alte Welt sich. Des
jungen Geschlechts Lustgarten verwelkte
hinauf in den freieren, wüsten Raum
strebten die unkindlichen, wachsenden
Menschen. Die Götter verschwanden mit
ihrem Gefolge Einsam und leblos
stand die Natur. Mit eiserner Kette band
sie die dürre Zahl und das strenge Maß.
Wie in Staub und Lüfte zerfiel in dunkle
Worte die unermeßliche Blüte des Lebens.
Entflohn war der beschwörende Glauben, und
die allverwandelnde, allverschwisternde
Himmelsgenossin, die Phantasie.
Unfreundlich blies ein kalter Nordwind
über die erstarrte Flur, und die erstarrte
Wunderheimat verflog in den Äther. Des
Himmels Fernen füllten mit leuchtenden
Welten sich. Ins tiefre Heiligtum, in des
Gemüts höhern Raum zog mit ihren Mächten
die Seele der Welt zu walten dort
bis zum Anbruch der tagenden
Weltherrlichkeit. Nicht mehr war das Licht
der Götter Aufenthalt und himmlisches
Zeichen den Schleier der Nacht
warfen sie über sich. Die Nacht ward der
Offenbarungen mächtiger Schoß in
ihn kehrten die Götter zurück
schlummerten ein, um in neuen herrlichern
Gestalten auszugehn über die veränderte
Welt. Im Volk, das vor allen verachtet zu
früh reif und der seligen Unschuld der
Jugend trotzig fremd geworden war,
erschien mit niegesehenem Angesicht die
neue Welt In der Armut
dichterischer Hütte Ein Sohn der
ersten Jungfrau und Mutter
Geheimnisvoller Umarmung unendliche
Frucht. Des Morgenlands ahndende,
blütenreiche Weisheit erkannte zuerst der
neuen Zeit Beginn Zu des Königs
demütiger Wiege wies ihr ein Stern den
Weg. In der weiten Zukunft Namen huldigten
sie ihm mit Glanz und Duft, den höchsten
Wundern der Natur. Einsam entfaltete das
himmlische Herz sich zu einem Blütenkelch
allmächtger Liebe des Vaters hohem
Antlitz zugewandt und ruhend an dem
ahndungsselgen Busen der lieblich ernsten
Mutter. Mit vergötternder Inbrunst schaute
das weissagende Auge des blühenden Kindes
auf die Tage der Zukunft, nach seinen
Geliebten, den Sprossen seines
Götterstamms, unbekümmert über seiner Tage
irdisches Schicksal. Bald sammelten die
kindlichsten Gemüter von inniger Liebe
wundersam ergriffen sich um ihn her. Wie
Blumen keimte ein neues fremdes Leben in
seiner Nähe. Unerschöpfliche Worte und der
Botschaften fröhlichste fielen wie Funken
eines göttlichen Geistes von seinen
freundlichen Lippen. Von ferner Küste,
unter Hellas heiterm Himmel geboren, kam
ein Sänger nach Palästina und ergab sein
ganzes Herz dem Wunderkinde:
Der Jüngling bist du, der seit langer Zeit
Auf unsern Gräbern steht in tiefen Sinnen;
Ein tröstlich Zeichen in der Dunkelheit
Der höhern Menschheit freudiges Beginnen.
Was uns gesenkt in tiefe Traurigkeit
Zieht uns mit süßer Sehnsucht nun von hinnen.
Im Tode ward das ewge Leben kund,
Du bist der Tod und machst uns erst gesund.
Der Sänger zog voll Freudigkeit nach
Indostan das Herz von süßer Liebe
trunken; und schüttete in feurigen
Gesängen es unter jenem milden Himmel aus,
daß tausend Herzen sich zu ihm neigten,
und die fröhliche Botschaft tausendzweigig
emporwuchs. Bald nach des Sängers Abschied
ward das köstliche Leben ein Opfer des
menschlichen tiefen Verfalls Er
starb in jungen Jahren, weggerissen von
der geliebten Welt, von der weinenden
Mutter und seinen zagenden Freunden. Der
unsäglichen Leiden dunkeln Kelch leerte
der liebliche Mund In entsetzlicher
Angst nahte die Stunde der Geburt der
neuen Welt. Hart rang er mit des alten
Todes Schrecken Schwer lag der
Druck der alten Welt auf ihm. Noch einmal
sah er freundlich nach der Mutter
da kam der ewigen Liebe lösende Hand
und er entschlief. Nur wenig Tage
hing ein tiefer Schleier über das
brausende Meer, über das bebende Land
unzählige Tränen weinten die
Geliebten Entsiegelt ward das
Geheimnis himmlische Geister hoben
den uralten Stein vom dunkeln Grabe. Engel
saßen bei dem Schlummernden aus
seinen Träumen zartgebildet Erwacht
in neuer Götterherrlichkeit erstieg er die
Höhe der neugebornen Welt begrub
mit eigner Hand der Alten Leichnam in die
verlaßne Höhle, und legte mit allmächtiger
Hand den Stein, den keine Macht erhebt,
darauf.
Noch weinen deine Lieben Tränen der Freude,
Tränen der Rührung und des unendlichen Danks
an deinem Grabe sehn dich noch immer,
freudig erschreckt, auferstehn und
sich mit dir; sehn dich weinen mit süßer
Inbrunst an der Mutter seligem Busen, ernst
mit den Freunden wandeln, Worte sagen, wie
vom Baum des Lebens gebrochen; sehen dich
eilen mit voller Sehnsucht in des Vaters
Arm, bringend die junge Menschheit, und
der goldnen Zukunft unversieglichen
Becher. Die Mutter eilte bald dir nach
in himmlischem Triumph Sie
war die Erste in der neuen Heimat bei dir.
Lange Zeiten entflossen seitdem, und in
immer höherm Glanze regte deine neue
Schöpfung sich und Tausende zogen
aus Schmerzen und Qualen, voll Glauben und
Sehnsucht und Treue dir nach wallen
mit dir und der himmlischen Jungfrau im
Reiche der Liebe dienen im Tempel
des himmlischen Todes und sind in Ewigkeit
dein.
Gehoben ist der Stein
Die Menschheit ist erstanden
Wir alle bleiben dein
Und fühlen keine Banden.
Der herbste Kummer fleucht
Vor deiner goldnen Schale,
Wenn Erd und Leben weicht,
Im letzten Abendmahle.
Zur Hochzeit ruft der Tod
Die Lampen brennen helle
Die Jungfraun sind zur Stelle
Um Öl ist keine Not
Erklänge doch die Ferne
Von deinem Zuge schon,
Und ruften uns die Sterne
Mit Menschenzung und Ton.
Nach dir, Maria, heben
Schon tausend Herzen sich.
In diesem Schattenleben
Verlangten sie nur dich.
Sie hoffen zu genesen
Mit ahndungsvoller Lust
Drückst du sie, heilges Wesen,
An deine treue Brust.
So manche, die sich glühend
In bittrer Qual verzehrt,
Und dieser Welt entfliehend
Nach dir sich hingekehrt;
Die hülfreich uns erschienen
In mancher Not und Pein
Wir kommen nun zu ihnen
Um ewig da zu sein.
Nun weint an keinem Grabe,
Für Schmerz, wer liebend glaubt.
Der Liebe süße Habe
Wird keinem nicht geraubt
Die Sehnsucht ihm zu lindern,
Begeistert ihn die Nacht
Von treuen Himmelskindern
Wird ihm sein Herz bewacht.
Getrost, das Leben schreitet
Zum ewgen Leben hin;
Von innrer Glut geweitet
Verklärt sich unser Sinn.
Die Sternwelt wird zerfließen
Zum goldnen Lebenswein,
Wir werden sie genießen
Und lichte Sterne sein.
Die Lieb ist frei gegeben,
und keine Trennung mehr.
Es wogt das volle Leben
Wie ein unendlich Meer.
Nur Eine Nacht der Wonne
Ein ewiges Gedicht
Und unser aller Sonne
Ist Gottes Angesicht.
(RUB 7991, S. 155-160)
4.
|
6.
|
|