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»O trefflicher Vater!« unterbrach ihn Heinrich,
»mit welcher Freude erfüllt mich das Licht, das
aus Euren Worten ausgeht! Also ist der wahre Geist
der Fabel eine freundliche Verkleidung des Geistes
der Tugend, und der eigentliche Geist der
untergeordneten Dichtkunst, die Regsamkeit des
höchsten, eigentümlichsten Daseins. Eine
überraschende Selbstheit ist zwischen einem
wahrhaften Liede und einer edlen Handlung. Das
müßige Gewissen in einer glatten nicht
widerstehenden Welt wird zum fesselnden Gespräche,
zur alleserzählenden Fabel. In den Fluren und
Hallen dieser Urwelt lebt der Dichter, und die
Tugend ist der Geist seiner irdischen Bewegungen
und Einflüsse. So wie diese die unmittelbar
wirkende Gottheit unter den Menschen und das
wunderbare Widerlicht der höheren Welt ist, so ist
es auch die Fabel. Wie sicher kann nun der Dichter
den Eingebungen seiner Begeisterung, oder, wenn auch
er einen höhern überirdischen Sinn hat, höhern
Wesen folgen, und sich seinem Berufe mit kindlicher
Demut überlassen. Auch in ihm redet die höhere
Stimme des Weltalls, und ruft mit bezaubernden
Sprüchen in erfreulichere, bekanntere Welten. Wie
sich die Religion zur Tugend verhält, so die
Begeisterung zur Fabellehre, und wenn in heiligen
Schriften die Geschichten der Offenbarung
aufbehalten sind, so bildet in der Fabellehre das
Leben einer höheren Welt sich in
wunderbar entstandene Dichtungen auf mannigfache
Weise ab. Fabel und Geschichte begleiten sich in
den innigsten Beziehungen auf den verschlungensten
Pfaden und in den seltsamsten Verkleidungen, und
die Bibel und die Fabellehre sind Stern-Bilder
Eines Umlaufs.«
(RUB 8939, S. 173)
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