[210. Absatz]
»Ich lerne«, versetzte Heinrich, »meine Gegend
erst recht kennen, seit ich weg bin und viele
andere Gegenden gesehn habe. Jede Pflanze, jeder
Baum, jeder Hügel und Berg hat seinen besondern
Gesichtskreis, seine eigentümliche Gegend, sie
gehört zu ihm, und sein Bau, seine ganze
Beschaffenheit wird durch sie erklärt. Nur das
Tier und der Mensch können zu allen Gegenden
kommen, alle Gegenden sind die Ihrigen. So machen
alle zusammen eine große Weltgegend, einen
unendlichen Gesichtskreis aus, dessen Einfluß auf
den Menschen und das Tier ebenso sichtbar ist, wie
der Einfluß der engeren Umgebung auf die Pflanze.
Daher Menschen die viel gereist sind, Zugvögel
und Raubtiere, unter den übrigen sich durch
besondern Verstand und andre wunderbare Gaben
auszeichnen. Doch gibt es auch gewiß mehr
oder weniger Fähigkeit unter ihnen, von diesen
Weltkreisen und ihrem mannigfaltigen Inhalt und
ihrer Ordnung gerührt und gebildet zu werden. Auch
fehlt wohl manchen Menschen die nötige
Aufmerksamkeit und Gelassenheit, um den Wechsel
der Gegenstände und ihre Zusammenstellung erst
gehörig zu betrachten, und dann darüber
nachzudenken, und die nötigen Vergleichungen
vorzunehmen. Oft fühl ich jetzt, wie mein
Vaterland meine frühesten Gedanken mit
unvergänglichen Farben angehaucht hat, und sein
Bild eine seltsame Andeutung meines Gemütes
geworden ist, die ich immer mehr errate, je tiefer
ich einsehe, daß Schicksal und Gemüt Namen Eines
Begriffes sind.«
(RUB 8939, S. 167–168)
[209. Absatz]
|
[211. Absatz]
|
|