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Aquarium > Das Werk > Heinrich von Ofterdingen (1799–1800) > [197. Absatz]


[197. Absatz]

»Es ist Mathildens Stimme!« rief der Pilger und fiel auf seine Kniee, um zu beten. Da drang durch die Äste ein langer Strahl zu seinen Augen und er sah durch den Strahl in eine ferne kleine wundersame Herrlichkeit hinein, welche nicht zu beschreiben, noch kunstreich mit Farben nachzubilden möglich gewesen wäre. Es waren überaus feine Figuren, und die innigste Lust und Freude, ja eine himmlische Glückseligkeit war darin überall zu schauen, sogar daß die leblosen Gefäße, das Säulwerk, die Teppiche, Zieraten und alles, was zu sehen war, nicht gemacht, sondern wie ein vollsaftiges Kraut also gewachsen und zusammen gekommen zu sein schien. Es waren die schönsten menschlichen Gestalten, die dazwischen umhergingen und sich über die Maßen freundlich und holdselig gegeneinander erzeigten. Ganz vorn stand die Geliebte des Pilgers, und es hatte das Ansehn, als wolle sie mit ihm sprechen, doch war nichts zu hören; und der Pilger betrachtete nur mit tiefer Sehnsucht ihre anmutigen Züge, und wie sie so freundlich und lächelnd ihm zuwinkte, und die Hand auf ihre linke Brust legte. Der Anblick war unendlich tröstend und erquickend, und der Pilger lag noch lang in heiliger Entzückung, als die Erscheinung wieder hinweggenommen war. Der heilige Strahl hatte alle Schmerzen und Bekümmernisse aus seinem Herzen gesogen, so daß sein Gemüt wieder rein und leicht, und sein Geist wieder frei und fröhlich war wie vordem. Nichts war übrig geblieben, als ein stilles inniges Sehnen, und ein wehmütiger Klang im Aller-Innersten: aber die wilden Qualen der Einsamkeit, die herbe Pein eines unsäglichen Verlustes, die trübe entsetzliche Leere, die irdische Ohnmacht war gewichen, und der Pilgrim sah sich wieder in einer vollen bedeutsamen Welt. Stimme und Sprache waren wieder lebendig bei ihm geworden, und es dünkte ihm nunmehr alles viel bekannter und weissagender als ehemals, so daß ihm der Tod wie eine höhere Offenbarung des Lebens erschien, und er sein eigenes, schnell vorübergehendes Dasein mit kindlicher heiterer Rührung betrachtete. Zukunft und Vergangenheit hatten sich in ihm berührt und einen innigen Verein geschlossen; er stand weit außer der Gegenwart und die Welt ward ihm erst teuer, wie er sie verloren hatte, und sich nur als Fremdling in ihr fand, der ihre weiten bunten Säle noch eine kurze Weile durchwandern sollte. Es war Abend geworden, und die Erde lag vor ihm wie ein altes liebes Wohnhaus, das er nach langer Entfernung wiederfände. Tausend Erinnerungen wurden ihm gegenwärtig; jeder Stein, jeder Baum, jede Anhöhe wollte wieder gekannt sein, jedes war das Merkmal einer alten Geschichte.

(RUB 8939, S. 160–161)

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Letzte Änderung am 04.02.2002.
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