[151. Absatz]
Der Vater der Kinder ging immer ein und aus, indem
er jedesmal die Kinder betrachtete und Ginnistan
freundlich begrüßte. Er hatte unaufhörlich dem
Schreiber etwas zu sagen. Dieser vernahm ihn
genau, und wenn er es aufgezeichnet hatte, reichte
er die Blätter einer edlen, göttergleichen Frau
hin, die sich an einen Altar lehnte, auf welchem
eine dunkle Schale mit klarem Wasser stand, in
welches sie mit heiterm Lächeln blickte. Sie
tauchte die Blätter jedesmal hinein, und wenn sie
beim Herausziehn gewahr wurde, daß einige Schrift
stehen geblieben und glänzend geworden war, so gab
sie das Blatt dem Schreiber zurück, der es in ein
großes Buch heftete, und oft verdrießlich zu sein
schien, wenn seine Mühe vergeblich gewesen und
alles ausgelöscht war. Die Frau wandte sich
zuzeiten gegen Ginnistan und die Kinder, tauchte
den Finger in die Schale, und sprützte einige
Tropfen auf sie hin, die, sobald sie die Amme, das
Kind, oder die Wiege berührten, in einen blauen
Dunst zerrannen, der tausend seltsame Bilder
zeigte, und beständig um sie herzog und sich
veränderte. Traf einer davon zufällig auf den
Schreiber, so fielen eine Menge Zahlen und
geometrische Figuren nieder, die er mit vieler
Emsigkeit auf einen Faden zog, und sich zum Zierat
um den magern Hals hing. Die Mutter des Knaben,
die wie die Anmut und Lieblichkeit selbst aussah,
kam oft herein. Sie schien beständig beschäftigt,
und trug immer irgend ein Stück Hausgeräte mit sich
hinaus: bemerkte es der argwöhnische und mit
spähenden Blicken sie verfolgende Schreiber, so
begann er eine lange Strafrede, auf die aber kein
Mensch achtete. Alle schienen seiner unnützen
Widerreden gewohnt. Die Mutter gab auf einige
Augenblicke der kleinen Fabel die Brust; aber bald
ward sie wieder abgerufen, und dann nahm Ginnistan
das Kind zurück, das an ihr lieber zu trinken
schien. Auf einmal brachte der Vater ein zartes
eisernes Stäbchen herein, das er im Hofe gefunden
hatte. Der Schreiber besah es und drehte es mit
vieler Lebhaftigkeit herum, und brachte bald
heraus, daß es sich von selbst, in der Mitte an
einem Faden aufgehängt, nach Norden drehe.
Ginnistan nahm es auch in die Hand, bog es,
drückte es, hauchte es an, und hatte ihm bald die
Gestalt einer Schlange gegeben, die sich nun
plötzlich in den Schwanz biß. Der Schreiber ward
bald des Betrachtens überdrüssig. Er schrieb alles
genau auf, und war sehr weitläuftig über den
Nutzen, den dieser Fund gewähren könne. Wie
ärgerlich war er aber, als sein ganzes Schreibwerk
die Probe nicht bestand, und das Papier weiß aus
der Schale hervorkam. Die Amme spielte fort.
Zuweilen berührte sie die Wiege damit, da fing der
Knabe an wach zu werden, schlug die Decke zurück,
hielt die eine Hand gegen das Licht, und langte
mit der andern nach der Schlange. Wie er sie
erhielt, sprang er rüstig, daß Ginnistan erschrak,
und der Schreiber beinah vor Entsetzen vom Stuhle
fiel, aus der Wiege, stand, nur von seinen langen
goldnen Haaren bedeckt, im Zimmer, und betrachtete
mit unaussprechlicher Freude das Kleinod, das sich
in seinen Händen nach Norden ausstreckte, und ihn
heftig im Innern zu bewegen schien. Zusehends
wuchs er.
(RUB 8939, S. 125–127)
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