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»Ein schöner Prophet!« riefen die Mädchen.
Schwaning freute sich herzlich. Sie machten noch
einige Einwendungen, aber es half nichts. Sie
mußten ihm die süßen Lippen hinreichen. Heinrich
schämte sich nur vor seiner ernsten Nachbarin,
sonst hätte er sich laut über das Vorrecht der
Dichter gefreut. Veronika war unter den
Kranzträgerinnen. Sie kam fröhlich zurück und
sagte zu Heinrich: »Nicht wahr, es ist hübsch,
wenn man ein Dichter ist?« Heinrich getraute sich
nicht, diese Frage zu benutzen. Der Übermut der
Freude und der Ernst der ersten Liebe kämpften in
seinem Gemüt. Die reizende Veronika scherzte mit
den andern, und so gewann er Zeit, den ersten
etwas zu dämpfen. Mathilde erzählte ihm, daß sie
die Gitarre spiele. »Ach!« sagte Heinrich, »von
Euch möchte ich sie lernen. Ich habe mich lange
darnach gesehnt.« – »Mein Vater hat mich
unterrichtet. Er spielt sie unvergleichlich«,
sagte sie errötend. – »Ich glaube doch«, erwiderte
Heinrich, »daß ich sie schneller bei Euch lerne.
Wie freue ich mich Euren Gesang zu hören.« –
»Stellt Euch nur nicht zu viel vor.« – »O!« sagte
Heinrich, »was sollte ich nicht erwarten können,
da Eure bloße Rede schon Gesang ist, und Eure
Gestalt eine himmlische Musik verkündigt.«
(RUB 8939, S. 103–104)
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