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»Wenn man«, sagte der Unbekannte, »die Schätze
bedenkt, die im Orient zu Hause sind, so ist daran
kein Zweifel, und ist das ferne Indien, Afrika und
Spanien nicht schon im Altertum durch die Reichtümer
seines Bodens bekannt gewesen? Als Kriegsmann gibt
man freilich nicht so genau auf die Adern und
Klüfte der Berge acht, indes habe ich doch
zuweilen meine Betrachtungen über diese glänzenden
Streifen gehabt, die wie seltsame Knospen auf eine
unerwartete Blüte und Frucht deuten. Wie hätte ich
damals denken können, wenn ich froh über das Licht
des Tages an diesen dunkeln Behausungen vorbeizog,
daß ich noch im Schoße eines Berges mein Leben
beschließen würde. Meine Liebe trug mich stolz
über den Erdboden, und in ihrer Umarmung hoffte
ich in späten Jahren zu entschlafen. Der Krieg
endigte, und ich zog nach Hause, voll froher
Erwartungen eines erquicklichen Herbstes. Aber der
Geist des Krieges schien der Geist meines Glücks
zu sein. Meine Marie hatte mir zwei Kinder im
Orient geboren. Sie waren die Freude unsers
Lebens. Die Seefahrt und die rauhere
abendländische Luft störte ihre Blüte. Ich begrub
sie wenig Tage nach meiner Ankunft in Europa.
Kummervoll führte ich meine trostlose Gattin nach
meiner Heimat. Ein stiller Gram mochte den Faden
ihres Lebens mürbe gemacht haben. Auf einer Reise,
die ich bald darauf unternehmen mußte, auf der sie
mich wie immer begleitete, verschied sie sanft und
plötzlich in meinen Armen. Es war hier nahe bei,
wo unsere irdische Wallfahrt zu Ende ging. Mein
Entschluß war im Augenblicke reif. Ich fand, was
ich nie erwartet hatte; eine göttliche Erleuchtung
kam über mich, und seit dem Tage, da ich sie hier
selbst begrub, nahm eine himmlische Hand allen
Kummer von meinem Herzen. Das Grabmal habe ich
nachher errichten lassen. Oft scheint eine
Begebenheit sich zu endigen, wenn sie erst
eigentlich beginnt, und dies hat bei meinem Leben
stattgefunden. Gott verleihe euch allen ein
seliges Alter, und ein so geruhiges Gemüt wie mir.«
(RUB 8939, S. 88–89)
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