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Aquarium > Das Werk > Heinrich von Ofterdingen (1799–1800) > [85. Absatz]


[85. Absatz]

»Wenn man«, sagte der Unbekannte, »die Schätze bedenkt, die im Orient zu Hause sind, so ist daran kein Zweifel, und ist das ferne Indien, Afrika und Spanien nicht schon im Altertum durch die Reichtümer seines Bodens bekannt gewesen? Als Kriegsmann gibt man freilich nicht so genau auf die Adern und Klüfte der Berge acht, indes habe ich doch zuweilen meine Betrachtungen über diese glänzenden Streifen gehabt, die wie seltsame Knospen auf eine unerwartete Blüte und Frucht deuten. Wie hätte ich damals denken können, wenn ich froh über das Licht des Tages an diesen dunkeln Behausungen vorbeizog, daß ich noch im Schoße eines Berges mein Leben beschließen würde. Meine Liebe trug mich stolz über den Erdboden, und in ihrer Umarmung hoffte ich in späten Jahren zu entschlafen. Der Krieg endigte, und ich zog nach Hause, voll froher Erwartungen eines erquicklichen Herbstes. Aber der Geist des Krieges schien der Geist meines Glücks zu sein. Meine Marie hatte mir zwei Kinder im Orient geboren. Sie waren die Freude unsers Lebens. Die Seefahrt und die rauhere abendländische Luft störte ihre Blüte. Ich begrub sie wenig Tage nach meiner Ankunft in Europa. Kummervoll führte ich meine trostlose Gattin nach meiner Heimat. Ein stiller Gram mochte den Faden ihres Lebens mürbe gemacht haben. Auf einer Reise, die ich bald darauf unternehmen mußte, auf der sie mich wie immer begleitete, verschied sie sanft und plötzlich in meinen Armen. Es war hier nahe bei, wo unsere irdische Wallfahrt zu Ende ging. Mein Entschluß war im Augenblicke reif. Ich fand, was ich nie erwartet hatte; eine göttliche Erleuchtung kam über mich, und seit dem Tage, da ich sie hier selbst begrub, nahm eine himmlische Hand allen Kummer von meinem Herzen. Das Grabmal habe ich nachher errichten lassen. Oft scheint eine Begebenheit sich zu endigen, wenn sie erst eigentlich beginnt, und dies hat bei meinem Leben stattgefunden. Gott verleihe euch allen ein seliges Alter, und ein so geruhiges Gemüt wie mir.«

(RUB 8939, S. 88–89)

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Letzte Änderung am 04.02.2002.
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