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Der Abend war unter ihren Gesprächen
herbeigekommen. Es fing an Nacht zu werden, und
der Mond hob sich aus dem feuchten Walde mit
beruhigendem Glanze herauf. Sie stiegen langsam
nach dem Schlosse; Heinrich war voll Gedanken, die
kriegerische Begeisterung war gänzlich
verschwunden. Er merkte eine wunderliche
Verwirrung in der Welt; der Mond zeigte ihm das
Bild eines tröstenden Zuschauers und erhob ihn
über die Unebenheiten der Erdoberfläche, die in
der Höhe so unbeträchtlich erschienen, so wild und
unersteiglich sie auch dem Wanderer vorkamen.
Zulima ging still neben ihm her, und führte das
Kind. Heinrich trug die Laute. Er suchte die
sinkende Hoffnung seiner Begleiterin, ihr
Vaterland dereinst wiederzusehn, zu beleben, indem
er innerlich einen heftigen Beruf fühlte, ihr
Retter zu sein, ohne zu wissen, auf welche Art es
geschehen könne. Eine besondere Kraft schien in
seinen einfachen Worten zu liegen, denn Zulima
empfand eine ungewohnte Beruhigung und dankte ihm
für seine Zusprache auf die rührendste Weise. Die
Ritter waren noch bei ihren Bechern und die Mutter
in häuslichen Gesprächen. Heinrich hatte keine
Lust in den lärmenden Saal zurückzugehn. Er fühlte
sich müde, und begab sich bald mit seiner Mutter
in das angewiesene Schlafgemach. Er erzählte ihr
vor dem Schlafengehn, was ihm begegnet sei, und
schlief bald zu unterhaltenden Träumen ein. Die
Kaufleute hatten sich auch zeitig fortbegeben, und
waren früh wieder munter. Die Ritter lagen in
tiefer Ruhe, als sie abreisten; die Hausfrau aber
nahm zärtlichen Abschied. Zulima hatte wenig
geschlafen, eine innere Freude hatte sie wach
erhalten; sie erschien beim Abschiede, und
bediente die Reisenden demütig und emsig. Als sie
Abschied nahmen, brachte sie mit vielen Tränen
ihre Laute zu Heinrich, und bat mit rührender
Stimme, sie zu Zulimas Andenken mitzunehmen. »Es
war meines Bruders Laute«, sagte sie, »der sie mir
beim Abschied schenkte; es ist das einzige
Besitztum, was ich gerettet habe. Sie schien Euch
gestern zu gefallen, und Ihr laßt mir ein
unschätzbares Geschenk zurück, süße Hoffnung.
Nehmt dieses geringe Zeichen meiner Dankbarkeit,
und laßt es ein Pfand Eures Andenkens an die arme
Zulima sein. Wir werden uns gewiß wiedersehn, und
dann bin ich vielleicht glücklicher.« Heinrich
weinte; er weigerte sich, diese ihr so
unentbehrliche Laute anzunehmen: »Gebt mir«, sagte
er, »das goldene Band mit den unbekannten
Buchstaben aus Euren Haaren, wenn es nicht ein
Andenken Eurer Eltern oder Geschwister ist, und
nehmt dagegen einen Schleier an, den mir meine
Mutter gern abtreten wird.« Sie wich endlich seinem
Zureden und gab ihm das Band, indem sie sagte: »Es
ist mein Name in den Buchstaben meiner
Muttersprache, den ich in bessern Zeiten selbst in
dieses Band gestickt habe. Betrachtet es gern, und
denkt, daß es eine lange, kummervolle Zeit meine
Haare festgehalten hat, und mit seiner Besitzerin
verbleicht ist.« Heinrichs Mutter zog den Schleier
heraus, und reichte ihr ihn hin, indem sie sie an
sich zog und weinend umarmte. –
(RUB 8939, S. 59–60)
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