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Plötzlich wurde die Stille durch leise Laute einer
unbekannten schönen Stimme unterbrochen, die von
einer uralten Eiche herzukommen schienen. Alle
Blicke richteten sich dahin, und man sah einen
Jüngling in einfacher, aber fremder Tracht stehen,
der eine Laute im Arm hielt, und ruhig in seinem
Gesange fortfuhr, indem er jedoch, wie der König
seinen Blick nach ihm wandte, eine tiefe
Verbeugung machte. Die Stimme war außerordentlich
schön, und der Gesang trug ein fremdes,
wunderbares Gepräge. Er handelte von dem Ursprunge
der Welt, von der Entstehung der Gestirne, der
Pflanzen, Tiere und Menschen, von der allmächtigen
Sympathie der Natur, von der uralten goldenen Zeit
und ihren Beherrscherinnen, der Liebe und Poesie,
von der Erscheinung des Hasses und der Barbarei
und ihren Kämpfen mit jenen wohltätigen Göttinnen,
und endlich von dem zukünftigen Triumph der
letztern, dem Ende der Trübsale, der Verjüngung
der Natur und der Wiederkehr eines ewigen goldenen
Zeitalters. Die alten Dichter traten selbst von
Begeisterung hingerissen, während des Gesanges
näher um den seltsamen Fremdling her. Ein
niegefühltes Entzücken ergriff die Zuschauer, und
der König selbst fühlte sich wie auf einem Strom
des Himmels weggetragen. Ein solcher Gesang war
nie vernommen worden, und alle glaubten, ein
himmlisches Wesen sei unter ihnen erschienen,
besonders da der Jüngling unterm Singen immer
schöner, immer herrlicher, und seine Stimme immer
gewaltiger zu werden schien. Die Luft spielte mit
seinen goldenen Locken. Die Laute schien sich
unter seinen Händen zu beseelen, und sein Blick
schien trunken in eine geheimere Welt
hinüberzuschauen. Auch die Kinderunschuld und
Einfalt seines Gesichts schien allen
übernatürlich. Nun war der herrliche Gesang
geendigt. Die bejahrten Dichter drückten den
Jüngling mit Freudentränen an ihre Brust. Ein
stilles inniges Jauchzen ging durch die
Versammlung. Der König kam gerührt auf ihn zu. Der
Jüngling warf sich ihm bescheiden zu Füßen. Der
König hob ihn auf, umarmte ihn herzlich, und hieß
ihn sich eine Gabe ausbitten. Da bat er mit
glühenden Wangen den König, noch ein Lied gnädig
anzuhören, und dann über seine Bitte zu
entscheiden. Der König trat einige Schritte zurück
und der Fremdling fing an:
Der Sänger geht auf rauhen Pfaden,
Zerreißt in Dornen sein Gewand;
Er muß durch Fluß und Sümpfe baden,
Und keins reicht hülfreich ihm die Hand.
Einsam und pfadlos fließt in Klagen
Jetzt über sein ermattet Herz;
Er kann die Laute kaum noch tragen,
Ihn übermannt ein tiefer Schmerz.
›Ein traurig Los ward mir beschieden,
Ich irre ganz verlassen hier,
Ich brachte allen Lust und Frieden,
Doch keiner teilte sie mit mir.
Es wird ein jeder seiner Habe
Und seines Lebens froh durch mich;
Doch weisen sie mit karger Gabe
Des Herzens Forderung von sich.
Man läßt mich ruhig Abschied nehmen,
Wie man den Frühling wandern sieht;
Es wird sich keiner um ihn grämen,
Wenn er betrübt von dannen zieht.
Verlangend sehn sie nach den Früchten,
Und wissen nicht, daß er sie sät;
Ich kann den Himmel für sie dichten,
Doch meiner denkt nicht Ein Gebet.
Ich fühle dankbar Zaubermächte
An diese Lippen festgebannt.
O! knüpfte nur an meine Rechte
Sich auch der Liebe Zauberband.
Es kümmert keine sich des Armen,
Der dürftig aus der Ferne kam;
Welch Herz wird Sein sich noch erbarmen
Und lösen seinen tiefen Gram?‹
Er sinkt im hohen Grase nieder,
Und schläft mit nassen Wangen ein;
Da schwebt der hohe Geist der Lieder
In die beklemmte Brust hinein:
›Vergiß anjetzt, was du gelitten,
In kurzem schwindet deine Last,
Was du umsonst gesucht in Hütten,
Das wirst du finden im Palast.
Du nahst dem höchsten Erdenlohne,
Bald endigt der verschlungne Lauf;
Der Myrtenkranz wird eine Krone,
Dir setzt die treuste Hand sie auf.
Ein Herz voll Einklang ist berufen
Zur Glorie um einen Thron;
Der Dichter steigt auf rauhen Stufen
Hinan, und wird des Königs Sohn.‹
(RUB 8939, S. 44–47)
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