[24. Absatz]
Die Kaufleute sagten darauf: »Wir haben uns
freilich nie um die Geheimnisse der Dichter
bekümmert, wenn wir gleich mit Vergnügen ihrem
Gesange zugehört. Es mag wohl wahr sein, daß eine
besondere Gestirnung dazu gehört, wenn ein Dichter
zur Welt kommen soll; denn es ist gewiß eine recht
wunderbare Sache mit dieser Kunst. Auch sind die
andern Künste gar sehr davon unterschieden, und
lassen sich weit eher begreifen. Bei den Malern
und Tonkünstlern kann man leicht einsehn, wie es
zugeht, und mit Fleiß und Geduld läßt sich beides
lernen. Die Töne liegen schon in den Saiten, und
es gehört nur eine Fertigkeit dazu, diese zu
bewegen um jene in einer reizenden Folge
aufzuwecken. Bei den Bildern ist die Natur die
herrlichste Lehrmeisterin. Sie erzeugt unzählige
schöne und wunderliche Figuren, gibt die Farben,
das Licht und den Schatten, und so kann eine
geübte Hand, ein richtiges Auge, und die Kenntnis
von der Bereitung und Vermischung der Farben, die
Natur auf das vollkommenste nachahmen. Wie
natürlich ist daher auch die Wirkung dieser
Künste, das Wohlgefallen an ihren Werken, zu
begreifen. Der Gesang der Nachtigall, das Sausen
des Windes, und die herrlichen Lichter, Farben und
Gestalten gefallen uns, weil sie unsere Sinne
angenehm beschäftigen; und da unsere Sinne dazu
von der Natur, die auch jenes hervorbringt, so
eingerichtet sind, so muß uns auch die künstliche
Nachahmung der Natur gefallen. Die Natur will
selbst auch einen Genuß von ihrer großen
Künstlichkeit haben, und darum hat sie sich in
Menschen verwandelt, wo sie nun selber sich über
ihre Herrlichkeit freut, das Angenehme und
Liebliche von den Dingen absondert, und es auf
solche Art allein hervorbringt, daß sie es auf
mannigfaltigere Weise, und zu allen Zeiten und
allen Orten haben und genießen kann. Dagegen ist
von der Dichtkunst sonst nirgends äußerlich etwas
anzutreffen. Auch schafft sie nichts mit
Werkzeugen und Händen; das Auge und das Ohr
vernehmen nichts davon: denn das bloße Hören der
Worte ist nicht die eigentliche Wirkung dieser
geheimen Kunst. Es ist alles innerlich, und wie
jene Künstler die äußern Sinne mit angenehmen
Empfindungen erfüllen, so erfüllt der Dichter das
inwendige Heiligtum des Gemüts mit neuen,
wunderbaren und gefälligen Gedanken. Er weiß jene
geheimen Kräfte in uns nach Belieben zu erregen,
und gibt uns durch Worte eine unbekannte herrliche
Welt zu vernehmen. Wie aus tiefen Höhlen steigen
alte und künftige Zeiten, unzählige Menschen,
wunderbare Gegenden, und die seltsamsten
Begebenheiten in uns herauf, und entreißen uns der
bekannten Gegenwart. Man hört fremde Worte und
weiß doch, was sie bedeuten sollen. Eine magische
Gewalt üben die Sprüche des Dichters aus; auch die
gewöhnlichen Worte kommen in reizenden Klängen
vor, und berauschen die festgebannten Zuhörer.«
(RUB 8939, S. 26–27)
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