[10. Absatz]
Die Reformation war ein Zeichen der Zeit
gewesen. Sie war für ganz Europa
bedeutend, wenn sie gleich nur im wahrhaft
freien Deutschland öffentlich ausgebrochen
war. Die guten Köpfe aller Nationen waren
heimlich mündig geworden, und lehnten sich
im täuschenden Gefühl ihres Berufs um
desto dreister gegen verjährten Zwang auf.
Aus Instinkt ist der Gelehrte Feind der
Geistlichkeit nach alter Verfassung; der
gelehrte und der geistliche Stand müssen
Vertilgungskriege führen, wenn sie
getrennt sind; denn sie streiten um Eine
Stelle. Diese Trennung tat sich immer mehr
hervor, und die Gelehrten gewannen desto
mehr Feld, je mehr sich die Geistlichkeit
der europäischen Menschheit dem Zeitraum
der triumphierenden Gelehrsamkeit näherte,
und Wissen und Glauben in eine
entschiedenere Opposition traten. Im
Glauben suchte man den Grund der
allgemeinen Stockung, und durch das
durchdringende Wissen hoffte man sie zu
heben. Überall litt der heilige Sinn unter
den mannigfachen Verfolgungen seiner
bisherigen Art, seiner zeitigen
Personalität. Das Resultat der modernen
Denkungsart nannte man Philosophie und
rechnete alles dazu was dem Alten entgegen
war, vorzüglich also jeden Einfall gegen
die Religion. Der anfängliche Personalhaß
gegen den katholischen Glauben ging
allmählich in Haß gegen die Bibel, gegen
den christlichen Glauben und endlich gar
gegen die Religion über. Noch mehr
der Religions-Haß, dehnte sich sehr
natürlich und folgerecht auf alle
Gegenstände des Enthusiasmus aus,
verketzerte Phantasie und Gefühl,
Sittlichkeit und Kunstliebe, Zukunft und
Vorzeit, setzte den Menschen in der Reihe
der Naturwesen mit Not oben an, und machte
die unendliche schöpferische Musik des
Weltalls zum einförmigen Klappern einer
ungeheuren Mühle, die vom Strom des
Zufalls getrieben und auf ihm schwimmend,
eine Mühle an sich, ohne Baumeister und
Müller und eigentlich ein echtes Perpetuum
mobile, eine sich selbst mahlende Mühle
sei.
(RUB 8030, S. 76–77)
[9. Absatz]
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[11. Absatz]
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