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Ein Enthusiasmus ward großmütig dem armen
Menschengeschlechte übriggelassen und als
Prüfstein der höchsten Bildung jedem
Aktionär derselben unentbehrlich gemacht.
Der Enthusiasmus für diese
herrliche, großartige Philosophie und
insbesondere für ihre Priester und ihre
Mystagogen. Frankreich war so glücklich
der Schoß und der Sitz dieses neuen
Glaubens zu werden, der aus lauter Wissen
zusammen geklebt war. So verschrien die
Poesie in dieser neuen Kirche war, so gab
es doch einige Poeten darunter, die des
Effekts wegen, noch des alten Schmucks und
der alten Lichter sich bedienten, aber
dabei in Gefahr kamen, das neue Weltsystem
mit altem Feuer zu entzünden. Klügere
Mitglieder wußten jedoch die schon
warmgewordenen Zuhörer sogleich wieder mit
kaltem Wasser zu begießen. Die Mitglieder
waren rastlos beschäftigt, die Natur, den
Erdboden, die menschlichen Seelen und die
Wissenschaften von der Poesie zu säubern,
jede Spur des Heiligen zu
vertilgen, das Andenken an alle erhebende
Vorfälle und Menschen durch Sarkasmen zu
verleiden, und die Welt alles bunten
Schmucks zu entkleiden. Das Licht war
wegen seines mathematischen Gehorsams und
seiner Frechheit ihr Liebling geworden.
Sie freuten sich, daß es sich eher
zerbrechen ließ, als daß es mit Farben
gespielt hätte, und so benannten sie nach
ihm ihr großes Geschäft, Aufklärung. In
Deutschland betrieb man dieses Geschäft
gründlicher, man reformierte das
Erziehungswesen, man suchte der alten
Religion einen neuern vernünftigen,
gemeinern Sinn zu geben, indem man alles
Wunderbare und Geheimnisvolle sorgfältig
von ihr abwusch; alle Gelehrsamkeit ward
aufgeboten um die Zuflucht zur Geschichte
abzuschneiden, indem man die Geschichte zu
einem häuslichen und bürgerlichen Sitten-
und Familien-Gemälde zu veredeln sich
bemühte. Gott wurde zum müßigen
Zuschauer des großen rührenden
Schauspiels, das die Gelehrten aufführten,
gemacht, welcher am Ende die Dichter und
Spieler feierlich bewirten und bewundern
sollte.
Das gemeine Volk wurde recht mit Vorliebe
aufgeklärt, und zu jenem gebildeten
Enthusiasmus erzogen, und so entstand eine
neue europäische Zunft: die Philanthropen
und Aufklärer. Schade daß die Natur so
wunderbar und unbegreiflich, so poetisch
und unendlich blieb, allen Bemühungen sie
zu modernisieren zum Trotz. Duckte sich ja
irgendwo ein alter Aberglaube an eine
höhere Welt und sonst auf, so wurde gleich
von allen Seiten Lärm geblasen, und wo
möglich der gefährliche Funke durch
Philosophie und Witz in der Asche
erstickt; dennoch war Toleranz das
Losungswort der Gebildeten, und besonders
in Frankreich gleichbedeutend mit
Philosophie. Höchst merkwürdig ist diese
Geschichte des modernen Unglaubens, und
der Schlüssel zu allen ungeheuren
Phänomenen der neuern Zeit. Erst in diesem
Jahrhundert und besonders in seiner
letzten Hälfte beginnt sie und wächst in
kurzer Zeit zu einer unübersehlichen Größe
und Mannigfaltigkeit; eine zweite
Reformation, eine umfassendere und
eigentümlichere war unvermeidlich, und
mußte das Land zuerst treffen, das am
meisten modernisiert war, und am längsten
aus Mangel an Freiheit in asthenischem
Zustande gelegen hatte. Längst hätte sich
das überirdische Feuer Luft gemacht, und
die klugen Aufklärungs-Pläne vereitelt,
wenn nicht weltlicher Druck und Einfluß
denselben zustatten gekommen wären. In dem
Augenblick aber, wo ein Zwiespalt unter
den Gelehrten und Regierungen, unter den
Feinden der Religion und ihrer ganzen
Genossenschaft entstand, mußte sie wieder
als drittes tonangebendes vermittelndes
Glied hervortreten, und diesen Hervortritt
muß nun jeder Freund derselben anerkennen
und verkündigen, wenn er noch nicht
merklich genug sein sollte. Daß die Zeit
der Auferstehung gekommen ist, und grade
die Begebenheiten, die gegen ihre Belebung
gerichtet zu sein schienen und ihren
Untergang zu vollenden drohten, die
günstigsten Zeichen ihrer Regeneration
geworden sind, dieses kann einem
historischen Gemüte gar nicht zweifelhaft
bleiben. Wahrhafte Anarchie ist das
Zeugungselement der Religion.
Aus der Vernichtung alles Positiven hebt
sie ihr glorreiches Haupt als neue
Weltstifterin empor. Wie von selbst steigt
der Mensch gen Himmel auf, wenn ihn nichts
mehr bindet, die höhern Organe treten von
selbst aus der allgemeinen gleichförmigen
Mischung und vollständigen Auflösung aller
menschlichen Anlagen und Kräfte, als der
Urkern der irdischen Gestaltung zuerst
heraus. Der Geist Gottes schwebt über den
Wassern und ein himmlisches Eiland wird
als Wohnstätte der neuen Menschen, als
Stromgebiet des ewigen Lebens zuerst
sichtbar über den zurückströmenden
Wogen.
(RUB 8030, S. 77–80)
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