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Das waren die schönen wesentlichen Züge
der echt katholischen oder echt
christlichen Zeiten. Noch war die
Menschheit für dieses herrliche Reich
nicht reif, nicht gebildet genug. Es war
eine erste Liebe, die im Drucke des
Geschäftlebens entschlummerte, deren
Andenken durch eigennützige Sorgen
verdrängt, und deren Band nachher als Trug
und Wahn ausgeschrien und nach spätern
Erfahrungen beurteilt, auf immer
von einem großen Teil der Europäer
zerrissen wurde. Diese innere große
Spaltung, die zerstörende Kriege
begleiteten, war ein merkwürdiges Zeichen
der Schädlichkeit der Kultur, für den Sinn
des Unsichtbaren, wenigstens einer
temporellen Schädlichkeit der Kultur einer
gewissen Stufe. Vernichtet kann jener
unsterbliche Sinn nicht werden, aber
getrübt, gelähmt, von andern Sinnen
verdrängt. Eine längere
Gemeinschaft der Menschen vermindert die
Neigungen, den Glauben an ihr Geschlecht,
und gewöhnt sie ihr ganzes Dichten und
Trachten, den Mitteln des Wohlbefindens
allein zuzuwenden, die Bedürfnisse und die
Künste ihrer Befriedigung werden
verwickelter, der habsüchtige Mensch hat,
so viel Zeit nötig sich mit ihnen bekannt
zu machen und Fertigkeiten in ihnen sich
zu erwerben, daß keine Zeit zum stillen
Sammeln des Gemüts, zur aufmerksamen
Betrachtung der innern Welt übrigbleibt.
In Kollisions-Fällen scheint ihm
das gegenwärtige Interesse näher zu
liegen, und so fällt die schöne Blüte
seiner Jugend, Glauben und Liebe ab, und
macht den derbern Früchten, Wissen und
Haben Platz. Man gedenkt des Frühlings im
Spätherbst, wie eines kindischen Traums
und hofft mit kindischer Einfalt, die
vollen Speicher sollen auf immer
aushalten. Eine gewisse Einsamkeit,
scheint dem Gedeihen der höhern Sinne
notwendig zu sein, und daher muß ein zu
ausgebreiteter Umgang der Menschen
miteinander, manchen heiligen Keim
ersticken und die Götter, die den
unruhigen Tumult zerstreuender
Gesellschaften, und die Verhandlungen
kleinlicher Angelegenheiten fliehen,
verscheuchen.
Überdem haben wir ja mit Zeiten und
Perioden zu tun, und ist diesen eine
Oszillation, ein Wechsel entgegengesetzter
Bewegungen nicht wesentlich? und ist
diesen eine beschränkte Dauer nicht
eigentümlich, ein Wachstum und ein
Abnehmen nicht ihre Natur? aber auch eine
Auferstehung, eine Verjüngung, in neuer,
tüchtiger Gestalt, nicht auch von ihnen
mit Gewißheit zu erwarten?
fortschreitende, immer mehr sich
vergrößernde Evolutionen sind der Stoff
der Geschichte. Was jetzt nicht die
Vollendung erreicht, wird sie bei einem
künftigen Versuch erreichen, oder bei
einem abermaligen; vergänglich ist nichts
was die Geschichte ergriff, aus unzähligen
Verwandlungen geht es in immer reicheren
Gestalten erneuet wieder hervor. Einmal
war doch das Christentum mit voller Macht
und Herrlichkeit erschienen, bis zu einer
neuen Welt-Inspiration herrschte seine
Ruine, sein Buchstabe mit immer
zunehmender Ohnmacht und Verspottung.
Unendliche Trägheit lag schwer auf der
sicher gewordenen Zunft der Geistlichkeit.
Sie war stehn geblieben im Gefühl ihres
Ansehns und ihrer Bequemlichkeit, während
die Laien ihr unter den Händen Erfahrung
und Gelehrsamkeit entwandt und mächtige
Schritte auf dem Wege der Bildung
vorausgetan hatten. In der Vergessenheit
ihres eigentlichen Amts, die Ersten unter
den Menschen an Geist, Einsicht und
Bildung zu sein, waren ihnen die niedrigen
Begierden zu Kopf gewachsen, und die
Gemeinheit und Niedrigkeit ihrer
Denkungsart wurde durch ihre Kleidung und
ihren Beruf noch widerlicher. So fielen
Achtung und Zutrauen, die Stützen dieses
und jedes Reichs, allmählich weg, und
damit war jene Zunft vernichtet, und die
eigentliche Herrschaft Roms hatte lange
vor der gewaltsamen Insurrektion
stillschweigend aufgehört. Nur kluge, also
auch nur zeitliche, Maßregeln hielten den
Leichnam der Verfassung noch zusammen, und
bewahrten ihn vor zu schleuniger
Auflösung, wohin denn z.B. die
Abschaffung der Priester-Ehe vorzüglich
gehörte.
Eine Maßregel die analog angewandt auch
dem ähnlichen Soldatenstand eine
fürchterliche Konsistenz verleihen und
sein Leben noch lange fristen könnte. Was
war natürlicher, als daß endlich ein
feuerfangender Kopf öffentlichen Aufstand
gegen den despotischen Buchstaben der
ehemaligen Verfassung predigte, und mit um
so größerm Glück, da er selbst
Zunft-Genosse war.
(RUB 8030, S. 70–72)
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