[205. Absatz]
»Ich weiß selbst nicht«, erwiderte Heinrich, »was
Erziehung heißt, wenn es nicht das Leben und die
Sinnesweise meiner Eltern ist, oder der Unterricht
meines Lehrers, des Hofkaplans. Mein Vater scheint
mir, bei aller seiner kühlen und durchaus festen
Denkungsart, die ihn alle Verhältnisse wie ein
Stück Metall und eine künstliche Arbeit ansehn
läßt, doch unwillkürlich und ohne es selbst
zu wissen, eine stille Ehrfurcht und Gottesfurcht
vor allen unbegreiflichen und höhern Erscheinungen
zu haben, und daher das Aufblühen eines Kindes mit
demütiger Selbstverleugnung zu betrachten. Ein
Geist ist hier geschäftig, der frisch aus der
unendlichen Quelle kommt, und dieses Gefühl der
Überlegenheit eines Kindes in den allerhöchsten
Dingen, der unwiderstehliche Gedanke einer nähern
Führung dieses unschuldigen Wesens, das jetzt im
Begriff steht, eine so bedenkliche Laufbahn
anzutreten, das Gepräge einer
wunderbaren Welt, was noch keine
irdische Flut unkenntlich gemacht hat, und endlich
die Sympathie der Selbst-Erinnerung jener
fabelhaften Zeiten, wo die Welt uns heller,
freundlicher und seltsamer dünkte, und der Geist
der Weissagung fast sichtbar uns begleitete, alles
dies hat meinen Vater gewiß zu der andächtigsten
und bescheidensten Behandlung vermocht.«
(RUB 8939, S. 166)
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