[128. Absatz]
»Die Poesie will vorzüglich«, fuhr Klingsohr fort,
»als strenge Kunst getrieben werden. Als bloßer
Genuß hört sie auf Poesie zu sein. Ein Dichter muß
nicht den ganzen Tag müßig umherlaufen, und auf
Bilder und Gefühle Jagd machen. Das ist ganz der
verkehrte Weg. Ein reines offenes Gemüt,
Gewandtheit im Nachdenken und Betrachten, und
Geschicklichkeit alle seine Fähigkeiten in eine
gegenseitig belebende Tätigkeit zu versetzen und
darin zu erhalten, das sind die Erfordernisse
unserer Kunst. Wenn Ihr Euch mir überlassen wollt,
so soll kein Tag Euch vergehn, wo Ihr nicht Eure
Kenntnisse bereichert, und einige nützliche
Einsichten erlangt habt. Die Stadt ist reich an
Künstlern aller Art. Es gibt einige erfahrne
Staatsmänner, einige gebildete Kaufleute hier. Man
kann ohne große Umstände mit allen Ständen, mit
allen Gewerben, mit allen Verhältnissen und
Erfordernissen der menschlichen Gesellschaft sich
bekannt machen. Ich will Euch mit Freuden in dem
Handwerksmäßigen unserer Kunst unterrichten, und
die merkwürdigsten Schriften mit Euch lesen. Ihr
könnt Mathildens Lehrstunden teilen, und sie wird
Euch gern die Gitarre spielen lehren. Jede
Beschäftigung wird die übrigen vorbereiten, und
wenn Ihr so Euren Tag gut angelegt habt, so werden
Euch das Gespräch und die Freuden des
gesellschaftlichen Abends, und die Ansichten der
schönen Landschaft umher mit den heitersten
Genüssen immer wieder überraschen.«
(RUB 8939, S. 111–112)
[127. Absatz]
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