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Das Haus des alten Schwaning fanden sie
erleuchtet, und eine lustige Musik tönte ihnen
entgegen. »Was gilts«, sagten die Kaufleute,
»Euer Großvater gibt ein fröhliches Fest. Wir
kommen wie gerufen. Wie wird er über die
ungeladenen Gäste erstaunen. Er läßt es sich wohl
nicht träumen, daß das wahre Fest nun erst angehn
wird.« Heinrich fühlte sich verlegen, und seine
Mutter war nur wegen ihres Anzugs in Sorgen. Sie
stiegen ab, die Kaufleute blieben bei den Pferden,
und Heinrich und seine Mutter traten in das
prächtige Haus. Unten war kein Hausgenosse zu
sehen. Sie mußten die breite Wendeltreppe hinauf.
Einige Diener liefen vorüber, die sie baten, dem
alten Schwaning die Ankunft einiger Fremden
anzusagen, die ihn zu sprechen wünschten. Die
Diener machten anfangs einige Schwierigkeiten; die
Reisenden sahen nicht zum besten aus; doch
meldeten sie es dem Herrn des Hauses. Der alte
Schwaning kam heraus. Er kannte sie nicht gleich,
und fragte nach ihrem Namen und Anliegen.
Heinrichs Mutter weinte, und fiel ihm um den Hals.
»Kennt Ihr Eure Tochter nicht mehr?« rief sie
weinend. »Ich bringe Euch meinen Sohn.« Der alte
Vater war äußerst gerührt. Er drückte sie lange an
seine Brust; Heinrich sank auf ein Knie, und küßte
ihm zärtlich die Hand. Er hob ihn zu sich, und
hielt Mutter und Sohn umarmt. »Geschwind herein«,
sagte Schwaning, »ich habe lauter Freunde und
Bekannte bei mir, die sich herzlich mit mir freuen
werden.« Heinrichs Mutter schien einige Zweifel zu
haben. Sie hatte keine Zeit sich zu besinnen. Der
Vater führte beide in den hohen, erleuchteten
Saal. »Da bringe ich meine Tochter und meinen
Enkel aus Eisenach«, rief Schwaning in das frohe
Getümmel glänzend gekleideter Menschen. Alle Augen
kehrten sich nach der Tür; alles lief herzu, die
Musik schwieg, und die beiden Reisenden standen
verwirrt und geblendet in ihren staubigen
Kleidern, mitten in der bunten Schar. Tausend
freudige Ausrufungen gingen von Mund zu Mund. Alte
Bekannte drängten sich um die Mutter. Es gab
unzählige Fragen. Jedes wollte zuerst gekannt und
bewillkommet sein. Während der ältere Teil der
Gesellschaft sich mit der Mutter beschäftigte,
heftete sich die Aufmerksamkeit des jüngeren Teils
auf den fremden Jüngling, der mit gesenktem Blick
dastand, und nicht das Herz hatte, die unbekannten
Gesichter wieder zu betrachten. Sein Großvater
machte ihn mit der Gesellschaft bekannt, und
erkundigte sich nach seinem Vater und den
Vorfällen ihrer Reise.
(RUB 8939, S. 95–96)
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