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Kein Staat ist mehr als Fabrik verwaltet
worden, als Preußen, seit Friedrich
Wilhelm des Ersten Tode. So nötig
vielleicht eine solche maschinistische
Administration zur physischen Gesundheit,
Stärkung und Gewandtheit des Staats sein
mag, so geht doch der Staat, wenn er bloß
auf diese Art behandelt wird, im
wesentlichen darüber zugrunde. Das Prinzip
des alten berühmten Systems ist, jeden
durch Eigennutz an den Staat zu binden.
Die klugen Politiker hatten das Ideal
eines Staats vor sich, wo das Interesse
des Staats, eigennützig, wie das Interesse
der Untertanen, so künstlich jedoch mit
demselben verknüpft wäre, daß beide
einander wechselseitig beförderten.
An diese politische Quadratur des Zirkels ist
sehr viel Mühe gewandt worden: aber der
rohe Eigennutz scheint durchaus
unermeßlich, antisystematisch zu sein. Er
hat sich durchaus nicht beschränken
lassen, was doch die Natur jeder
Staatseinrichtung notwendig erfordert.
Indes ist durch diese förmliche Aufnahme
des gemeinen Egoismus, als Prinzip, ein
ungeheurer Schade geschehn und der Keim
der Revolution unserer Tage liegt
nirgends, als hier.
Mit wachsender Kultur mußten die Bedürfnisse
mannigfacher werden, und der Wert der Mittel
ihrer Befriedigung um so mehr steigen, je
weiter die moralische Gesinnung hinter allen
diesen Erfindungen des Luxus, hinter allen
Raffinements des Lebensgenusses und der
Bequemlichkeit zurückgeblieben war. Die
Sinnlichkeit hatte zu schnell ungeheures
Feld gewonnen. In eben dem Verhältnisse,
als die Menschen auf dieser Seite ihre
Natur ausbildeten, und sich in der
vielfachsten Tätigkeit und dem
behaglichsten Selbstgefühl verloren, mußte
ihnen die andere Seite unscheinbar, eng
und fern vorkommen. Hier meinten sie nun
den rechten Weg ihrer Bestimmung
eingeschlagen zu haben, hieher alle Kräfte
verwenden zu müssen. So wurde grober
Eigennutz zur Leidenschaft, und zugleich
seine Maxime zum Resultat des höchsten
Verstandes; und dies machte die
Leidenschaft so gefährlich und
unüberwindlich. Wie herrlich wär es, wenn
der jetzige König sich wahrhaft
überzeugte, daß man auf diesem Wege nur
das flüchtige Glück eines Spielers machen
könne, das von einer so veränderlichen
Größe bestimmt wird, als die Imbezillität,
und der Mangel an Routine und Finesse
seiner Mitspieler. Durch Betrogenwerden
lernt man Betrügen und wie bald ändert
sich da nicht das Blatt, und der Meister
wird Schüler seines Schülers. Ein
dauerhaftes Glück macht nur der rechtliche
Mann, und der rechtliche Staat. Was helfen
mir alle Reichtümer, wenn sie sich bei mir
nur aufhalten, um frische Pferde zu nehmen
und schneller ihre Reise um die Welt
zurückzulegen? Uneigennützige Liebe im
Herzen und ihre Maxime im Kopf, das ist
die alleinige, ewige Basis aller
wahrhaften, unzertrennlichen Verbindung,
und was ist die Staatsverbindung anders,
als eine Ehe?
(RUB 8030, S. 54 f.)
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