»Athenaeum« als Programmzeitschrift für viele Leser zu hoch
Gerda Heinrich im Weißenfelser Heinrich-Schütz-Haus zu Gast
Die Literaturhistorikerin Dr. Gerda Heinrich referierte kürzlich
als Gast des Literaturkreises Novalis im Weißenfelser
Heinrich-Schütz-Haus über das »Athenaeum«. Das erste
Heft dieser Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst erschien im
April 1798 und gilt in der literarischen Welt als
»Gründungsdokument der Romantischen Schule«. Die
Herausgeber, die Gebrüder August Wilhelm und Friedrich Schlegel,
und ihre Mitstreiter Friedrich von Hardenberg (Novalis),
Ludwig Tieck, Friedrich Schleiermacher und der zu Unrecht
unbekannt gebliebene August Ludwig Hülsen hatten sich vorgenommen,
mit rücksichtsloser Kritik gegen offenkundige Missstände in
der literarischen Welt vorzugehen. In den letzten Jahrzehnten
des 18. Jahrhunderts hatten sich die Anzahl der Schriftsteller
und die ihrer Werke verdoppelt. Das Niveau der unter den
Neuerscheinungen auftauchenden Räuber- und Ritterromane
entsprach den Interessen neu hinzu gekommener Leser aus den
mittleren und unteren Schichten der Bevölkerung.
Die Autoren des Athenaeums hingegen wandten sich vornehmlich
an die wissenschaftlich interessierten Bevölkerungskreise. Die
mit der französischen Revolution einhergehenden gesellschaftlichen
Umwandlungen veranlassten zusätzlich zu kritischen Beiträgen
über politische und soziale Missstände in den zahllosen kleinen
deutschen Fürstentümern. Die geäußerten
republikanischen Gedankengänge waren geradezu sensationell und
riefen die Zensurbehörde auf den Plan. Zu ihrem Schutz bedienten
sich die Autoren neuer literarischer Formen wie der Ironie und der
Fragmente. Diese, an eine breitere Leserschicht gestellten
Ansprüche, waren zu hoch und führten neben dem finanziellen
Misserfolg zum schnellen Ende des Athenaeums. Wie aktuell
die Anliegen der Frühromantiker bis heute geblieben sind,
war an den Reaktionen der Zuhörer abzulesen.
Dr. Werner Kneist, Mitteldeutsche/Weißenfelser Zeitung, 28. Oktober 2000
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