Tief verstrickt in einem Jahrhundert
Jens-Fietje Dwars stellt sein Buch über Johannes R. Becher vor
Buchcover: Abgrund des Widerspruchs
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Zu einer äußerst interessanten Buchlesung
hatte der Weißenfelser Literaturkreis
Novalis am Mittwoch in den Gartenpavillon,
Klosterstraße 24, der Saalstadt
eingeladen. Hier stellte der 1960 in
Weißenfels geborene und aufgewachsene,
heute in Jena lebende Autor Dr. Jens-Fietje
Dwars, den die »Frankfurter
Allgemeine Zeitung« als einen
»solide gebildeten Gelehrten, der an
drei Hochschulen Philosophie studierte und
über Ludwig Feuerbach promovierte«
bezeichnete, seine im Aufbau-Verlag Berlin
erschienene Mammut-Biographie mit der
Lebens- und Werkgeschichte des Dichters
und Kulturpolitikers Johannes R. Becher
(1891-1958) vor. Es wurde ein äußerst
interessanter Abend, was auch dadurch
bedingt war, dass Dr. Dwars mit seinem
fundierten Wissen und seiner Rhetorik dem
»Genius loci« huldigte und die
vielfältigen Verknüpfungen Bechers mit dem
Werk des Friedrich von Hardenberg/Novalis
herausarbeitete. Dadurch wich diese
Buchvorstellung erheblich von dem
allgemein üblichen Prozedere bei
Schriftstellerlesungen ab, was als
angenehm empfunden wurde.
Johannes R. Becher, und dies war auch der
Leitfaden diees Gesprächsabends, war wie
kein zweiter deutscher Dichter so tief in
die politische und kulturelle Entwicklung
des 20. Jahrhunderts vom Kaiserreich über
die Weimarer Republik, über den
Exilaufenthalt in der stalinistischen
Sowjetunion mit ihren
»Säuberungen« was auch in
der Diskussion eine Rolle spielte
und in der frühen DDR verstrickt. Der
Jenenser Publizist zeigte ebenso, dass
Becher sich für eine »Kultur in der
Kultur« einsetzte, dass er sich mit
der »Macht der Poesie« sowohl
als Dichter als auch als Kultusminister
gegen die Formalismusdiskussion wehrte und
der forcierten Dominanz des
sozialistischen Realismus widersprach.
Becher wollte eine Vielfalt der Kunst und
er zerbrach daran.
Ebenso erläuterte der Buchautor, dass
Becher sich als einer der führenden
Dichter des Expressionismus in den Jahren
vor dem ersten Weltkrieg mit der
Poesieauffassung des Novalis
auseinandergesetzt und die Naturlyrik
Friedrich Nietzsches bei ihm in dieser
Zeit eine wesentliche Rolle gespielt hat.
Und Jens-Fietje Dwars dokumentierte, dass
sein voluminöses Buch mit dem Titel
»Abgrund des Widerspruchs« den
»DDR-Staatsdichter als einen
skrupellosen Opportunisten ebenso wie
einen selbstzweifelnden, sensiblen
Schriftsteller, der sich in
Autoritätskonflikten verzehrte«,
beschreibt und so »zu einem
aufregenden Lesebuch des 20.
Jahrhunderts« wird.
Ingo Bach, Mitteldeutsche/Weißenfelser Zeitung, 28. Januar 2000
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