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Aquarium > Weißenfels > Veranstaltungen 2000 > Vortrag 26.01.


Tief verstrickt in einem Jahrhundert

Jens-Fietje Dwars stellt sein Buch über Johannes R. Becher vor

Buchcover: Abgrund des Widerspruchs
Buchcover: Abgrund des Widerspruchs
Zu einer äußerst interessanten Buchlesung hatte der Weißenfelser Literaturkreis Novalis am Mittwoch in den Gartenpavillon, Klosterstraße 24, der Saalstadt eingeladen. Hier stellte der 1960 in Weißenfels geborene und aufgewachsene, heute in Jena lebende Autor Dr. Jens-Fietje Dwars, den die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« als einen »solide gebildeten Gelehrten, der an drei Hochschulen Philosophie studierte und über Ludwig Feuerbach promovierte« bezeichnete, seine im Aufbau-Verlag Berlin erschienene Mammut-Biographie mit der Lebens- und Werkgeschichte des Dichters und Kulturpolitikers Johannes R. Becher (1891-1958) vor. Es wurde ein äußerst interessanter Abend, was auch dadurch bedingt war, dass Dr. Dwars mit seinem fundierten Wissen und seiner Rhetorik dem »Genius loci« huldigte und die vielfältigen Verknüpfungen Bechers mit dem Werk des Friedrich von Hardenberg/Novalis herausarbeitete. Dadurch wich diese Buchvorstellung erheblich von dem allgemein üblichen Prozedere bei Schriftstellerlesungen ab, was als angenehm empfunden wurde.

Johannes R. Becher, und dies war auch der Leitfaden diees Gesprächsabends, war wie kein zweiter deutscher Dichter so tief in die politische und kulturelle Entwicklung des 20. Jahrhunderts vom Kaiserreich über die Weimarer Republik, über den Exilaufenthalt in der stalinistischen Sowjetunion mit ihren »Säuberungen« — was auch in der Diskussion eine Rolle spielte — und in der frühen DDR verstrickt. Der Jenenser Publizist zeigte ebenso, dass Becher sich für eine »Kultur in der Kultur« einsetzte, dass er sich mit der »Macht der Poesie« sowohl als Dichter als auch als Kultusminister gegen die Formalismusdiskussion wehrte und der forcierten Dominanz des sozialistischen Realismus widersprach. Becher wollte eine Vielfalt der Kunst und er zerbrach daran.

Ebenso erläuterte der Buchautor, dass Becher sich als einer der führenden Dichter des Expressionismus in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg mit der Poesieauffassung des Novalis auseinandergesetzt und die Naturlyrik Friedrich Nietzsches bei ihm in dieser Zeit eine wesentliche Rolle gespielt hat. Und Jens-Fietje Dwars dokumentierte, dass sein voluminöses Buch mit dem Titel »Abgrund des Widerspruchs« den »DDR-Staatsdichter als einen skrupellosen Opportunisten ebenso wie einen selbstzweifelnden, sensiblen Schriftsteller, der sich in Autoritätskonflikten verzehrte«, beschreibt und so »zu einem aufregenden Lesebuch des 20. Jahrhunderts« wird.

Ingo Bach, Mitteldeutsche/Weißenfelser Zeitung, 28. Januar 2000



 


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Letzte Änderung am 04.04.2000.
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