Sommerexkursion
Auf den Spuren zweier Dichterpersönlichkeiten
unserer Heimat wandelten die Mitglieder des
Literaturkreises Novalis im Rahmen ihrer
diesjährigen Sommerexkursion, die in das
nördliche Harzvorland führte. Erste Station
war das mittelalterliche Halberstadt, das
erstmals 804 als Bischofssitz Erwähnung fand.
Interessante Gespräche im Gleim-Haus in Halberstadt
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Entsprechend der Spezifik der
Vereinsarbeit stand hier der Besuch des
»Gleim-Hauses« im Mittelpunkt,
das dem Werk des Dichters der Aufklärung
Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803)
gewidmet ist. Es war seinerzeit ein
offenes Geheimnis, daß »Vater
Gleim«, wie man ihn liebevoll nannte,
jeden, der vor seiner Schwelle stand,
»gern sieht«. Und zu diesen
Gästen gehörte auch Johann Gottfried
Seume, der 1798 den Domjuristen besuchte
und dessen Grab er zum Abschluß seiner
Reise im Sommer 1805 aufsuchte. Seume
wurde auch von Gleim mehrfach finanziell
unterstützt.
Von dem kollegialen Verhältnis beider
Dichter kündet eine umfangreiche
Korrespondenz, die sowohl in der
Halberstädter Sammlung als auch im Museum
Lützen vorhanden ist, ebenso wie ein
Porträt unseres Landsmannes Schnorr von
Carolsfeld, das im
»Freundschafts-Tempel« des
»Gleim-Hauses« besichtigt
werden kann. Ausgiebig wurde
von den Exkursionsteilnehmern in
Halberstadt auch die Frage diskutiert, ob
Novalis im April 1793 bei seiner
angeblichen Reise von Wittenberg über
Dessau, Bernburg und Aschersleben nach
Wernigerode, über die ein Reise-Journal
vorliegt, Halberstadt besucht hat. Die
neueste Forschung hat nach genauer
Untersuchung des überkommenen Textes
erhebliche Schwierigkeiten, dieses
Manuskript, in dem Halberstadt ausführlich
beschrieben wird, Novalis zuzuordnen. Eine
Stadtführung unter Leitung des
Verantwortlichen für die Sanierung der
Modellstadt, ein Besuch des gotischen Doms
und die Teilnahme an einem Orgelkonzert
rundeten den ersten Exkursionstag ab.
Zu Gast in Lucklum
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Am zweiten Tag ging die Fahrt weiter nach
Nordwesten zu dem am Südhang des Elm
gelegenen Dörfchen Lucklum. Hier befand
sich die Ballei Sachsen des Deutschen
Ritterordens. Dieser stand Friedrich
Wilhelm von Hardenberg (1728-1800), ein
Onkel von Novalis, seit 1775 als
Landkomtur und Statthalter vor. In dessen
weltoffenem Haus weilte der junge
Friedrich von Hardenberg 1782 und 1786/87
mehrfach über längere und kürzere Zeit.
Dank des freundlichen Entgegenkommens der
Eigentümer des sich in Privatbesitz
befindlichen Schlosses konnten hier die
Kirche und die Repräsentationsräume
besichtigt werden. Letzte Station der
interessanten Exkursion bildete dann
Wolfenbüttel mit seinem nahezu
unveränderten historischen Stadtkern. Die
Weißenfelser Literaturfreunde zog es
folgerichtig in das Lessinghaus und die
1572 entstandene berühmte
Herzog-August-Bibliothek. Letztere galt im
16. und beginnenden 17. Jahrhundert als die
bedeutendste Büchersammlung. Deren
wertvollstes Stück ist heute das
Evangeliar Heinrichs des Löwen, das 1983
für 32,5 Millionen Mark ersteigert wurde
den höchsten Preis, den jemals ein
einzelnes Buch erzielte. Die heutige
Forschungsbibliothek mit ihrem Schwerpunkt
an Drucken des 17. Jahrhunderts stellt
auch für den Weißenfelser
Regionalhistoriker eine
»Fundstätte« dar, denn wer über
Kultur und Geschehen am Weißenfelser
Herzogshofe arbeiten will, kommt an den
Wolfenbütteler Beständen nicht vorbei.
Auch Heinrich Schütz besaß von Weißenfels
aus enge Beziehungen zum Wolfenbütteler
Hof, wie Dokumente belegen. So finden wir
den »Vater der deutschen Musik«
1645 und 1660 in der Stadt an der Oker, wo
er »Oberhofkapellmeister von Haus
aus« und Berater der Hofkapelle war.
Am »10. Aprili Anno 1665«
schickte Schütz aus Weißenfels das 22
Blatt umfassende autographische Manuskript
seiner Johannespassion nach
»Wolfenbitel«.
Ingo Bach, Mitteldeutsche/Weißenfelser Zeitung vom 30. Juni 1998
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