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Aquarium > Rezensionen > »Die Lehrlinge zu Sais. Ein Hör-Buch«


Novalis: Die Lehrlinge zu Sais. Ein Hör-Buch.
Medien- und Bühnenproduktion Thomas Schmalz, Freiberg 2001.
ISBN 3-00-008615-3

Prof. Dr. phil. habil. Dorothea Gelbrich, ao. Professorin für neuere deutsche Literatur an der TU Dresden:

Hör-Buch in Blau

Was soll das nun wieder: ein Hör-Buch (nicht Hörbuch?), in Blau? Mit ratlosem Blick auf das in Buntheit explodierende Angebot des Bücher- und Medienmarktes eine eher mißtrauische als neugierige Frage. Nun, ich versichere, in diesem Fall darf, sollte man ohne Argwohn neugierig sein – vor allem dann, wenn man nach Unterhaltung sucht, die ein bißchen »anders«, besonderer Art ist (das heißt: sich nicht in Wiederholung abnutzt) und dabei trotzdem nicht durch Kompliziertheit des Anspruchs verschreckt.

Um es mit einem altmodischen Wort zu sagen: Das Hör-Buch in Blau hat Anmut. Schon seine Aufmachung schreit uns nicht nach Art der Illustrierten an, sondern vertraut auf die intensive, ruhige Sogwirkung von Blau und Silber. Es ist überhaupt auf mehrere Weise blau und silbern. Denn man bekommt es mit Novalis zu tun (Ogottnein, stöhnt da wer mit Abitur, bitte nicht Die-Merkmale-der-Romantik, während jemand ohne Abitur abwinkt: langweilig, weil was für Spezialisten.). Nicht doch! Man bekommt es mit Novalis zu tun über Augen und Ohren. Wie das? Es geht zauberhaft zu.

Wissen Sie, was eine Glasharmonika ist? Wie sie klingt? Wissen Sie, was es mit dem verschleierten Bild zu Sais auf sich hat (dem aus Schillers Ballade)? Übrigens die Stadt hat es wirklich gegeben (in grauer Vorzeit: Hauptstadt Unterägyptens mit prächtig-wundersamem Tempel einer Göttin, deren Name weder bei Schiller noch Novalis genannt wird und den Sie folglich für den Genuß des Hör-Buchs gar nicht brauchen).

Das Buch ist auch inwendig Blau, sozusagen buchstäblich Blaudruck: Schrift, Seitenzahlen, reiche und anregende Bebilderung, auch drei schmale pergamentene Einlagen mit Reprintleseproben aus dem Romanfragment des Novalis Die Lehrlinge zu Sais – alles in Blau. Es ist ein Vergnügen, lesend zu blättern, blätternd zu lesen, was Frau Dr. Sabine Schetelich so gediegen informativ wie unterhaltsam anschaulich an Wissens- und Sehenswertem um dieses Werk herum zusammengestellt hat: Vor uns entsteht ein lebendiges Bild des reich begabten, jung gestorbenen Dichters und naturwissenschaftlich bewanderten Bergbauspezialisten, zugleich eine kleine Kulturgeschichte Freibergs, seiner traditionsreichen Bergakademie und kluger Köpfe aus jener Zeit, da Novalis dort studierte und dabei seine »Nebensache Schriftstellerei« zur produktiven Hauptsache machte, indem er auf einzigartige Weise poetische Phantasie und philosophisch-naturwissenschaftliches Denken zusammenbrachte. Blau, wie man weiß, hat Novalis die Blume der Romantik in seinem anderen, bekannteren Romanfragment Heinrich von Ofterdingen erblühen lassen, ein seither unverwelktes traumhaftes Symbol.

Was aber hat es mit dem Silber auf sich? Anspielung auf das einst in Freiberg geförderte Edelmetall? Auf den blauen Umschlagdeckeln des Büchleins prangen Titel und Novalisportät mit Namenszug in Silber. Das Wichtigste aber: Man kann es hören. In den Innenseiten der Buchdeckel stecken die beiden silbernen Scheiben, auf denen der Schauspieler und Regisseur Andreas Greiner Die Lehrlinge zu Sais ungekürzt hörbar macht – eine Weltpremiere. Der Text zeichnet sich nicht durch nacherzählbaren Handlungsgang aus, sondern dadurch, daß er gleichsam vom Medium des Gesprächs bestimmt ist: Der wahrheitssuchende Lehrling ist im Gespräch mit dem Lehrer als Meister und mit anderen Lehrlingen; er lauscht verwirrt den »sich kreuzenden Stimmen« der mannigfaltigen Natur; ein »muntrer Gespiele, dem Rosen und Winden die Schläfen zierten«, erzählt das Märchen von Hyazinth und Rosenblüth; Reisende sind miteinander im Gespräch, zu denen wiederum der Lehrer spricht usw. Warum nur hat bisher niemand bemerkt, daß sich dieser geheimnisvolle Text geradezu anbietet, gesprochen und genußvoll anregend angehört zu werden? Der Sprecher jedenfalls leistet dazu professionell das Seine, als habe der Text auf ihn gewartet, um als Hörerlebnis atemberaubend aufzugehen, über den Abgrund der historischen Distanz hinweg geradewegs in unsere Sinne hinein.

Schließlich die Glasharmonika; aller guten Dinge sind drei: Die Rückseite des Blaubuches erklärt uns mit Abbildung Aussehen und Funktionsweise; das entzückend Zaubrische aber ist, daß wir dieses verflossene Instrument, auf dem die Verlobte Novalis', Julie von Charpentier, im Haus Nr. 9 auf der heutigen Freiberger Burgstraße anmutig zu spielen wußte und für das übrigens Mozart und auch der Dresdner Hofkapellmeister Johann Gottlieb Naumann komponiert haben, auf beiden CD ebenfalls hören können. Es klingt wie – Silber? Sie müssen es selbst hören. Das Wunder ist dem Augsburger Bruno Kliegl zu verdanken, der eine solche alte Glasharmonika noch besitzt und zu spielen versteht; das Novalisfragment hat ihn zu seinen Improvisationen inspiriert.

Daß aber die drei Produzenten sich zu diesem Projekt verbanden und neben enthusiastischen Helfern sogar einen privaten Verleger fanden, so daß wir es zu moderatem Preis erwerben können – das ist ein schieres blaues Wunder.

Erschienen in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau. 54. Jg., 1/2002, S. 63.

Hörbeispiele und Informationen über Bestellmöglichkeiten gibt es hier.



 


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Letzte Änderung am 20.02.2002.
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