Barth, Andreas: Inverse Verkehrung der Reflexion. Ironische Textverfahren bei Friedrich Schlegel und Novalis. Heidelberg: C. Winter, 2001. 392 S. (Neues Forum f. Allg. u. Vergl. Lit.-Wiss., 14) Gb DM 98.- / Euro 50.- / ATS 715.- / Sfr. 86
Im Zentrum von Andreas Barths Dissertation
über die Inverse Verkehrung der Reflexion
steht die Untersuchung der romantischen
Ironie als philosophisch-epistemologisches
Problem und als Textverfahren. Angesichts
der sehr detaillierten Analyse stellt sich
für den geneigten Leser die Frage, welche
Relevanz man den Ergebnissen Barths
zumessen soll, zumal er sich auf eine
geistigen Strömung beschränkt, die vor
beinahe zweihundert Jahren bedeutsam war.
Unter kulturtheoretischem Blickwinkel
betrachtet ist Barths Untersuchung sehr
spezialisiert, da er sich auf die großen
Namen der deutschen Romantik beschränkt
und dies damit begründet, daß es sich um
eine repräsentative Auswahl handle.
Repräsentativ kann diese Auswahl jedoch
nur dann sein, wenn man stillschweigend
davon ausgeht, daß sich die Romantik
weitestgehend auf den deutschsprachigen
Raum konzentriert. Mit der Entscheidung
für eine quasi zeitlose philologische
Vorgehensweise blendet Barth die
Breitenwirkung und Funktionalisierung
romantischer Ideen sowie die Frage nach
der Verständlichkeit der ironischen
Verfahren und nach dem konkreten
Zielpublikum aus. Er verkürzt diese
Probleme, indem er in guter Tradition der
Rezeptionsästhetik Wolfgang Isers
Textstrukturen mit Annahmen über eine
(idealisierte) implizite Leserrolle
verbindet. Die in der Dissertation
festgestellten Verfahren der Ironie treten
durch hermeneutische und
strukturalistische Methoden zwar ans
Licht, unklar bleibt jedoch, inwiefern sie
nur für einen elitären, weil in
philosophische Probleme eingeweihten
Intellektuellenzirkel gedacht waren.
Anhand der im zweiten Kapitel
präsentierten Überlegungen läßt sich
immerhin die Problemgenese der
romantischen Ironie im kritischen Dialog
mit bestimmten deutschen Aufklärern (vor
allem Kant) nachvollziehen, aber ein
breiter angelegtes Einbetten der
romantischen Position in ein System von
Diskursen – ähnlich der Untersuchungen
Michel Foucaults – fehlt, weswegen weder
Zweck noch Motivation und Funktion der
romantischen Konzepte deutlich wird.
Soziohistorische Kontexte, die die
Problemgenese und die
Konfliktkonstellation zwischen den
verschiedenen Philosophenschulen
beeinflussen, spielen nur am Rande eine
Rolle, weil personelle,
rezeptionsgeschichtliche und
institutionelle Verbindungen zwischen den
Philosophen lediglich angedeutet werden.
Auf diese Weise wird eine Problemdimension
unterbelichtet, die zeigen kann, daß sich
gerade aus der Institutionalisierung
bestimmter philosophischer Schulen (z. B.
Kantianismus und Idealismus) in Bildung
und Wissenschaft ein Machtkampf mit der
romantischen Gegenbewegung entwickelt, die
sich wiederum ideell und personell
abgrenzen möchte und gerade erst dabei
ist, sich zu etablieren. Barth skizziert
hier lediglich den Konflikt zwischen der
abstrakten Grundsatzphilosophie und dem
praktischen Lebensbezug sowie die
Methodenkontroversen zwischen »harten«
naturwissenschaftlich-mathematischen und
»weichen« geisteswissenschaftlichen
Ansätzen. Er behauptet zwar den Aufbau
eines neuen Paradigmas, beantwortet jedoch
nicht die Frage, wie homogen diese neue
romantische Schule ist und ob sie sich
zufällig – allein durch die gemeinsamen
Gegner – oder durch wechselseitigen
Gedankenaustausch und Rezeption
konstituiert. All diese Aspekte sind
jedoch bedeutsam, weil Barth auf die
Prozesse zwischen Kunst und Wissenschaft
eingeht und behauptet, daß die Romantiker
mit ihren ironisch-künstlerischen
Verfahren Probleme lösen wollen, die das
Wissenschaftssystem bisher nicht lösen
konnte. An diesem Punkt zeigt sich, daß
Barths Argumentation, ohne daß das
explizit markiert wird, in
kulturtheoretische und
wissenssoziologische Bereiche übergeht,
die jedoch nicht ausreichend durch
Datenmaterial und Methodik fundiert sind.
Wenn man wie Barth die Kontroversen im
Wissenschaftssystem hinsichtlich der
richtigen Methode als Anlaß sieht, daß
epistemologische Probleme ins Kunstsystem
hinüberwandern und mit Hilfe der Ironie
veranschaulicht werden, muß man auch eine
geeignete, theoretisch fundierte
Vorstellung über das Wechselspiel zwischen
Kunstsystem und Wissenschaftssystem sowie
über deren interne
Differenzierungsprozesse haben. Barths
Methode erweist sich hier als begrenzt,
zumal sie nicht Stellung bezieht gegenüber
den einschlägig bekannten Theorien, wie
zum Beispiel die funktionale
Ausdifferenzierung der Systemtheorie
Niklas Luhmanns oder die differenzierte
Feldanalyse Pierre Bourdieus. Die
erstgenannte Theorie könnte die Trennung
zwischen Kunst und Wissenschaft erklären,
während die letztgenannte Theorie
Konkurrenz und Distinktionsprozesse
zwischen verschiedenen Gruppen eines
Feldes zu beschreiben vermag. Da Barth
nicht darauf zurückgreift, lassen sich die
Prozesse der Wissensformation und der
sozialen Distinktion, die der
Herausbildung der romantischen Schule und
ihrer Weltanschauung zugrunde liegen,
nicht genau feststellen und erklären. Es
verwundert also kaum, wenn im
abschließenden Kapitel »Heteronomie und
Autonomie« Barths Aussagen zu dieser
Problematik nicht eindeutig klären, ob die
Romantik als ein Motor der
Ausdifferenzierung des modernen
Kunstsystems zu sehen ist, weil die
Romantiker die Genregrenzen zwischen
künstlerischen und philosophischen Texten
respektieren, oder ob die Romantik gerade
der Differenzierung von Kunst und
Wissenschaft mittels holistischen
Konzepten entgegensteuern will.
Potentielle Momente für eine
kulturtheoretische Ausweitung der
Untersuchung ergeben sich eher durch
medientheoretische Annahmen, wie sie Barth
bei Novalis rekonstruiert, der Sprache als
Zusammenspiel von individueller Fähigkeit
der Zuordnung von »Signifikat« und
»Signifikant« und sozialer Konventionen
auffaßt (die man als wechselseitige
»Erwartenserwartungen« im Sinne Luhmanns
oder als Konversationsmaximen im Sinne
Grices definieren kann, S. 262f.). Der
wohl eindeutigste Anknüpfungspunkt
zwischen Barths Ergebnissen und
kulturtheoretischen Vorgehensweisen findet
sich im Kapitel über Schlegels
Stellungnahmen zur »Querelle des Anciens
et des Modernes«, da dort die
epistemologischen Grundlagen des
Ironiekonzeptes in Richtung Anthropologie
und Geschichtsphilosophie weitergeführt
werden. Zu diesem Kapitel kann man die
folgenden Überlegungen ergänzen: Die
Kulturdebatte seit der Aufklärung
zentriert sich auf das Wesen des Menschen
zwischen Natur und Kultur und das
Verhältnis zwischen Konstanten und
historischem Wandel. Individualistische
Konzepte des Menschen führen einerseits
zur Bewußtseinsphilosophie und damit zur
Anthropologie, Psychologie und
Epistemologie, andererseits bringen sie im
Kontext des Naturrechts
gesellschaftspolitische Programme hervor,
wobei die Natur des Menschen über
anthropologische Konstanten definiert
wird. Barth betont, daß es im Falle der
Romantik um den anthropologisch
betrachteten menschlichen Geist geht, der
im »ironischen« Widerspruch einen Motor
für die Suche nach dem Selbst sieht. Auf
diese Weise ergeben sich Anschlußpunkte zu
kulturtheoretischen Untersuchungen, die
Barth selbst aufgrund
forschungspragmatischer Beschränkungen
nicht weiterverfolgt hat: Durch die Kunst
– also durch kulturell geformte Medien –
provoziert die Ironie individuelle
Selbstreflexionen, gleichzeitig findet sie
sich auch in der Geschichtsphilosophie als
kulturell gesteuerte kritische
Selbstbeschreibung bestimmter Gruppen
wieder, die über die Konstruktion von
Epochen sich selbst definieren. Insofern
ist die romantische Ironietheorie Teil
aktueller Debatten über das Verhältnis von
Natur, Kultur und Geschichte im Wesen des
Menschen, über Konstruktion und Realität
sowie über die Selbstreflexion der
Moderne.
Dr. des. Mirjam-Kerstin Holl, Universität Stuttgart, Institut für Neuere Deutsche Literatur II
Langfassung der Autorin. Gekürzte Fassung erschienen in:
Dialektik. Zeitschrift für Kulturphilosophie 2002, S. 187-188.
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