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Bark, Irene: »Steine in Potenzen«. Konstruktive Rezeption der Mineralogie bei Novalis. – Tübingen: Niemeyer, 1999. XI, 509 S. (Hermaea; N. F., Bd. 88)   ISBN 3-484-15088-2: DM 152.00

Nicht der Traum der »blauen Blume«, sondern »der Stein« und der wissenschaftliche Bereich des »Mineralischen« stehen im Mittelpunkt dieser umfangreichen und originellen Untersuchung (Univ. Tübingen, Diss., 1997) über N.' Symbolik. Wie ein zentrales Kap. über die »Methode« dieser Studie es zeigt, hat sich die Verf. es zur Aufgabe gemacht, N.' produktive »Adaptation« oder »Rezeption« zeitgenössischer chemisch-physikalischer Anschauungen in seinem Gesamtwerk zu analysieren, und so die »Bausteine« einer neuen Poetik »aus interdisziplinärer« Sicht anzusammeln. – N.' Affinität zur Welt der Mineralien und der Gesteine – sein »Steinsinn« – erklärt sich vielleicht biographisch aus seiner naturwissenschaftlichen und technischen Ausbildung an der Bergakademie in Freiberg und seiner Berufstätigkeit bei den Salinen in Weißenfels (1798-1800). Die Verf. erinnert jedoch daran, daß die frühromantische Naturphilosophie und Naturwissenschaft allgemein dem Reich des Anorganischen einen besonderen symbolischen Stellenwert als Metapher der Evolution des Geistes gaben. Man interessierte sich für die verschiedenen Formen der natürlichen Selbstorganisation der Materie, welche oftmals als ein »schlafender Geist«, eine »schlafende Intelligenz«, betrachtet wurde. In einem eigenständigen zweiten Kap. bietet die Verf. einen Überblick über den »theoretischen Status des Anorganischen in der Naturwissenschaft und Naturphilosophie des ausgehenden 18. Jahrhunderts«, z. B. über die »Geschichte der Erde« und die Mineralogie (Buffon und Werner), über die »Schwere«, die »Wahlverwandschaft« der chemischen Stoffe oder Blumenbachs »Bildungstrieb« usw. Diese faszinierenden Erläuterungen bilden den in der Tat mehr als »skizzierten« historischen »Verständnishintergrund« für die Analyse des Steinmotivs im Werk N.', die den eigentlichen Kern dieses Buches ausmacht. – Am Beispiel spezieller Motive (Haüys »Dekreszenz« (décroissement) der Kristalle, die galvanische Kette, die Reizwirkung) zeigt die Verf. wie N.' Dichtung Begriffe und Bilder umdeuten, die aus der zeitgenössischen Physik, Chemie, Physiologie und Mineralogie direkt stammen. Obwohl diese »Denkfiguren« auf eine ältere Symbolik, z. B. auf mittelalterliche und alchemistische Anschauungen und Legenden verweisen können, werden sie, dank einer spekulativen (von Fichte beeinflußten und in den »Fichtestudien« von 1795/96 verarbeiteten) Theorie des Selbstbewußtseins, von N. auf schöpferische Weise rezipiert und interpretiert, d. h., mit den Worten der Verf., »in Richtung einer poetologischen Selbstaussage des Dichters umfunktionalisiert«. Kein Wunder, daß man am Ende dieser Studie einen suggestiven, aber zu kurzen, Hinweis auf Celans Interesse für den Bereich des »Mineralischen« und seine Affinität zur »frühromantischen Poetologie« findet.

Jean Lacoste, Paris

Erschienen in Germanistik, Band 41 (2000) Heft 3/4, Seite 934–935.



 


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Letzte Änderung am 29.12.2003.
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