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Aquarium > Rezensionen > »Système minéralogique et cosmologie chez Novalis«


Margantin, Laurent: Système minéralogique et cosmologie chez Novalis ou les plis de la terre. – Paris: Harmattan, 1998. 296 S. (L'ouverture philosophique)   ISBN 2-7384-7388-1

Ist Novalis einer der vergessenen Vorläufer unserer wissenschaftlichen Modernität? Diese Frage scheint oft im Mittelpunkt der heutigen Forschung über den frühromantischen Dichter zu stehen (s. Novalis und die Wissenschaften, 1997, vgl. Germanistik 38. 1997. Nr. 6584). Margantins facettenreiche Studie über N. und sein Verhältnis zum Mineralreich gibt (besonders dem französischen Leser) eine gut informierte Darstellung des philosophischen Hintergrunds (Hemsterhuis, Leibniz, Kant) und des zeitgenössischen wissenschaftlichen Kontexts (Ritters Galvanismus, usw.) von N.' großem, aber unvollendetem Enzyklopädieprojekt, dem Allgemeinen Brouillon. Aber der französische Germanist bemüht sich auch darum, die modernen, ja ›postmodernen‹ Nachklänge dieses Projekts hören zu lassen, dank einer aktualisierenden Deutung der »Freiberger Notizhefte«, die der junge Schüler von Abraham Gottlob Werner zur Zeit seiner Bildung als Bergassessor in der Bergakademie zu Freiberg in Sachsen redigierte (1797-1799). Im Zentrum dieser Anmerkungen über »die vermannigfaltende Kraft der Natur« – die »Falten« der Erde (les plis de la terre) – findet man Begriffe wie »das Flüssige« und »das Chaos«, die in der heutigen Physik eine neue Relevanz gefunden haben. N., so schreibt Margantin, hätte »die Ankunft einer Physik vorweggenommen, die sich für unstabile dynamische Systeme interessiert und die jede morphologische Stabilität als transitorisch betrachtet«. – Ist N.' »geognostische Wanderung« (errance) eine echte Antizipation der modernen Chaosforschung, eine geheimnisvolle Vorahnung des heutigen Standes der Wissenschaften, oder nur die mystische Wiederbelebung einer uralten Sehnsucht nach der Einheit der Welt, der Traum einer magischen »Ehe von Natur und Geist«? Diese Frage sei dahingestellt. Für Margantin ist N. die Quelle einer notwendigen Neuorientierung des Denkens im 20. Jh., das Symbol einer Orientierung nach der »Erde«, einer neuen Beziehung zur empirischen Welt der Dinge und der »Phänomene« – um Goethes Worte zu gebrauchen –, im Rahmen aber einer Kombinatorik, die die alten Grenzen zwischen den Wissenschaften verwischt und in jedem Bereich des Wissens Übergänge findet. Die Welt wird mit einem dunklen Wirbel verglichen, und es ist der Menschen Aufgabe und Pflicht, diesen »Strudel der Empirie« zu erforschen, zu organisieren und zu »poetisieren«. Diese Aufgabe, die der frühromantische Dichter einst mit dem Ausdruck »Bildung der Erde« umschrieb, erscheint im Hinblick auf die »geopoetische«, vielleicht utopische Idee einer »neuen romantischen Kultur« (278) gegenwärtig aktueller denn je.

Jean Lacoste, Paris

Erschienen in Germanistik, Band 41 (2000) Heft 2, Seite 529–530.



 


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Letzte Änderung am 29.12.2003.
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